In Bewegung kommen …

Seit Anfang Februar ist es nun also geschnürt – jenes Sparpaket, mit dessen Hilfe die österreichische Bundesregierung die finanzpolitischen Folgen der seit 2008 manifesten Wirtschaftskrise mit Blick auf das Ziel eines „ausgeglichenen Staatshaushaltes“ zu meistern beabsichtigt.

Lehren aus den Protesten der Plattform25 in der Steiermark für zivilgesellschaftliches Engagement gegen Austeritätspolitiken auf der Bundesebene

Seit Anfang Februar ist es nun also geschnürt – jenes Sparpaket, mit dessen Hilfe die österreichische Bundesregierung die finanzpolitischen Folgen der seit 2008 manifesten Wirtschaftskrise mit Blick auf das Ziel eines „ausgeglichenen Staatshaushaltes“ zu meistern beabsichtigt. Doch während Gewerkschaften und Arbeiterkammer vor den sozialen Konsequenzen warnen und Interessenvertretungen wie die IG Kultur Österreich die drohenden Einschnitte in Bereichen wie Kultur, Bildung und Soziales kritisieren, ist von breiterem Protest bislang wenig zu vernehmen.

Ein völlig anderes Szenario spielte sich in diesem Zusammenhang vor rund einem Jahr in der Steiermark ab: In Reaktion auf die Ankündigung massiver Kürzungen durch die steirische Landesregierung im Rahmen ihres Doppelbudgets 2011/12 formierte sich dort unter dem Label Plattform25 ein zivilgesellschaftliches Protestbündnis von beeindruckender Breite und Heterogenität. Durch mehrere Großdemonstrationen und zahlreiche andere Aktionen konnte so während der ersten Monate des Jahres 2011 ein intensiver – wenn auch hinsichtlich seiner konkreten Ergebnisse nur bedingt erfolgreicher – öffentlicher Diskussionsprozess über staatliche Finanzpolitiken zwischen Bankenrettung und Sozialabbau in Gang gesetzt werden.

Im Rahmen eines Kongresses Ende März 2012 in Graz und einer Buchpublikation unter dem Titel „Angekommen: Krise & Protest in der Steiermark“ wurden zuletzt die Erfahrungen der Plattform25 kritisch bilanziert. Die Kulturrisse trafen mit Leo Kühberger einen der Herausgeber des Buchs anlässlich dessen Präsentation Anfang März in Wien zum Interview und sprachen mit ihm über die Lehren aus besagten Erfahrungen für zivilgesellschaftliches Engagement auf der Bundesebene.

Kulturrisse: Am 25. März 2011 folgten rund 10.000 Menschen dem Aufruf der – nach diesem Datum benannten – Plattform25 zu einer Demonstration in Graz. Ein knappes Monat später, am 26. April 2011, waren es gar 15.000, die gegen das Sparpaket demonstrierten. Was waren die zentralen Faktoren, welche eine derart massive Mobilisierung ermöglichten, und wie kam es dazu?

Leo Kühberger: Anfang 2011 gab es schon Gerüchte, dass die rot-schwarze Landesregierung ein Budget vorlegen wird, das Kürzungen im Ausmaß von 25 Prozent beinhaltet. Die KulturarbeiterInnen waren die ersten, die sich getroffen haben und etwas dagegen unternehmen wollten. Dann war recht schnell klar, dass im Sozial- und Gesundheitsbereich hunderte, wenn nicht tausende Jobs gefährdet sind und viele Leistungen einfach gestrichen werden sollen. Auf Initiative der KPÖ gab es dann ein erstes Treffen von Leuten aus den unterschiedlichen betroffenen Bereichen. Innerhalb kürzester Zeit haben sich diesem Bündnis in der Folge fast 600 Organisationen angeschlossen.

Die Frage, warum tausende Menschen in diesen Wochen auf die Straße gegangen sind, ist schwer zu beantworten. Aber es hatte sicher sehr viel damit zu tun, dass im Zuge des Wahlkampfes niemand von diesen Kürzungen geredet hat und ein paar Monate später dann dieses Paket auf den Tisch geknallt wurde. Eine Rolle gespielt hat sicher auch, dass vor allem die Care-Ökonomie betroffen ist. Jahrelang erzählt man den Leuten, wie gesellschaftlich notwendig und wichtig ihre Arbeit ist und dass dieser Sektor ja die Zukunftsbranche schlechthin darstellt, und dann kürzt man hier radikal zusammen. Nicht zuletzt hat die allgemeine Krisensituation, die wir ja eigentlich seit den 1970er Jahren erleben, viel dazu beigetragen. Die Beschäftigten in diesen Niedriglohnsektoren sind beispielsweise viel stärker von der Inflation betroffen als andere. In der Steiermark wird zudem deutlich, dass die Krise auch eine Krise der bürgerlichen Demokratie ist. Da hatten schon sehr viele zumindest das Gefühl, dass da nichts mehr zusammengeht.

Am Tag nach der erwähnten Großdemonstration Ende April verabschiedete die Regierungsmehrheit von SPÖ und ÖVP im steirischen Landtag allen Protesten zum Trotz ihr nur geringfügig modifiziertes Doppelbudget 2011/12. Welche Einschätzungen gab es auf Seiten der verschiedenen beteiligten AkteurInnen zu diesem vorläufigen Ende eines Prozesses – und war es auch das Ende der Bewegung als solcher?

Der Budgetbeschluss hat eine Zäsur für die Bewegung bedeutet. Viele haben das als Niederlage erlebt und gedacht, dass es damit zu Ende ist. Seitens der Plattform25 war aber klar, dass man auf alle Fälle weitermacht, denn das Budget definiert ja nur den Rahmen, und die Details der Kürzungen wurden erst später beschlossen. Im Mai und Juni hat die Plattform25 versucht, durch verschiedene medienwirksame Aktionen weiterhin auf der Straße präsent zu sein und Kritik zu üben.

Der ÖGB hat sich mit der Landesregierung an den Verhandlungstisch gesetzt und Mitte Mai einen „tragfähigen Kompromiss“ präsentiert, der aber keine wirklichen Verbesserungen gebracht hat. Dem Gewerkschaftsbund ging es wohl vor allem darum, seine Legitimation als Interessenvertretung zurückzugewinnen. Der ÖGB hat sich von Beginn an sehr zurückhaltend verhalten und wurde erst durch den Druck der Straße überhaupt aktiv. Innerhalb weniger Wochen hat ihm die Plattform25, die ja nicht mehr als ein loses Bündnis von Organisationen und Einzelpersonen ist, den Rang abgelaufen. Mit diesem „tragfähigen Kompromiss“, den sie da ausverhandelt haben, war die Geschichte für den ÖGB erledigt. Aktiv geworden ist er erst wieder im Februar, als es um die Kollektivertragsverhandlungen im Sozialbereich ging. Da wurden Betriebsversammlungen abgehalten und eine Demo organisiert. Das war natürlich wichtig, aber zugleich ist es eigenartig, dass der ÖGB nichts mehr unternimmt, wenn einige Monate zuvor durch ein Budget hunderte Jobs gestrichen und die Arbeitsbedingungen massiv verschlechtert werden. Das hat nicht nur damit zu tun, dass der ÖGB nun mal sozialdemokratisch dominiert ist, sondern auch damit, dass in den betroffenen Bereichen vor allem Frauen arbeiten. Würden in der Industrie tausende Jobs von Männern wackeln, dann wäre der ÖGB wohl anders aufgetreten.

Im Buch „Angekommen: Krise & Protest in der Steiermark ist viel von einer „neuen Demonstrationskultur“ die Rede. Welche Rolle spielten künstlerische und kulturarbeiterische Praxen – bzw. auch die entsprechenden AkteurInnen – jenseits simpler „Behübschung“ im Rahmen der Proteste?

Ganz widerspruchsfrei ist das nach wie vor nicht. Für so einige sind die KulturarbeiterInnen wahrscheinlich noch immer die, die man eben anruft, weil sie die Profis sind, damit die Aktion besser rüberkommt. Einen Unterschied hat es wahrscheinlich gemacht, dass sehr viele KulturarbeiterInnen in der Vorbereitung der Aktionen und Demonstrationen stark involviert sind, es also keine Trennung zwischen den Polit-Profis auf der einen und den KünstlerInnen auf der anderen Seite gegeben hat. Aber insgesamt haben da in den letzten Monaten auf beiden Seiten Lernprozesse stattgefunden. Das macht so eine Bewegung ja auch aus.

Die Plattform25 ist ein Zusammenschluss von Organisationen mit unterschiedlichsten sozialen und ideologischen Hintergründen. Dass bei einem derart heterogenen Bündnis nicht immer alles konfliktfrei verläuft, machen bereits die zum Teil durchaus kontroversen Debattenbeiträge im angesprochenen Buch deutlich. Wie war es trotz aller Widersprüche und allem Dissens möglich, gemeinsam handlungsfähig zu bleiben?

Es gab und gibt Konflikte, keine Frage. Es haben sich auch einige aus der Plattform25 zurückgezogen, weil es ihnen entweder zu angepasst und handzahm, oder zu links und radikal oder sonst was ist. Schwierig ist zudem, dass die beiden Oppositionsparteien – KPÖ und Grüne – in der Plattform25 mitmischen. Parteien verfolgen ihre eigenen Interessen und müssen nolens volens nach Parteilogik agieren. Aber schlussendlich gab es eine einende Klammer und die heißt gegen dieses Budget und gegen diese Landesregierung! Aber insgesamt ist es einfach überraschend, dass diese Unterschiede gelebt werden können, und das hat wohl sehr viel mit dieser besonderen Situation der Krise zu tun.

In einem Beitrag zum Buch „Angekommen“ vertreten Georg Fuchs und Anita Hofer die Einschätzung, das Sparpaket in der Steiermark habe als eine Art „Versuchsballon“ für die Bundesebene gedient: Würde es gelingen, die Kürzungen hier durchzusetzen, ließe sich Vergleichbares auch dort exekutieren. Siehst du diese Einschätzung angesichts der aktuellen Entwicklungen bestätigt?

Jein. Es war ja von vornherein klar, dass über kurz oder lang auf allen Ebenen ähnliche Kürzungen folgen werden. Interessant finde ich hingegen, wie schnell und einfach es gegangen ist, dass genau jene Landesregierung, die durch ihre Politik die größten Proteste seit Jahrzehnten ausgelöst hat, innerhalb weniger Wochen zu dem Vorzeigemodell avancieren konnte. Die steirische „Reformpartnerschaft“, die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass sie über jedweden Dissens und über jedwede Kritik einfach d’rüberfährt, wird nun österreichweit als Modell rumgereicht, das in anderen Bundesländern und auf Bundesebene zu kopieren wäre.

Was die konkreten Praxen der Plattform25 anbelangt: Welche Anknüpfungspunkte siehst du hier für zivilgesellschaftliches Engagement auf der Bundesebene im Zusammenhang mit den aktuellen Auseinandersetzungen um die staatliche Finanzpolitik? Was genau hat also beispielsweise eine Politisierung von (bzw. über) fiskalische Maßnahmen ermöglicht und was die Allianzenbildungsprozesse zwischen den unterschiedlichen „Betroffenengruppen“ befördert?

In der Steiermark waren die fiskalischen Maßnahmen eben sehr konkret. Die Beschäftigten in den Betrieben haben sich sehr schnell ausrechnen können, wie viele von ihnen gehen müssen, betroffene Eltern wussten, welche Leistung für ihr Kind mit Behinderung demnächst nicht mehr finanziert wird usw. Diese Allianz aus Betroffenen, Beschäftigten und Angehörigen wurde in einem gewissen Sinne ja „von außen“ durch die Landesregierung geschaffen, weil die Kürzungen niemanden ausgelassen haben. Die Plattform25 ist auf alle Fälle eine Erfahrung, die für die kommenden Auseinandersetzungen wichtig sein kann. Sie kann genau dort beispielgebend sein, wenn es darum geht, über ideologische Unterschiede hinweg gemeinsam handlungsfähig zu werden. Zugleich braucht die Plattform25 die Erfahrungen aus anderen Bewegungen und Kämpfen. Schlussendlich treten wir in der Steiermark seit einigen Monaten auf der Stelle. Es gab zwar diese große Mobilisierungen, aber nun beschränkt man sich auf symbolische Aktionen, die natürlich nicht geeignet sind, den gesellschaftlichen Druck zu erhöhen. Man hat zwar immer nach Spanien, Griechenland und sogar nach Ägypten geschielt, aber zugleich davor zurückgescheut, deren Kampfformen auch nur anzudenken. Die Diskussion über Streiks und Besetzungen beispielsweise wurde jedes Mal im Keim erstickt.

Im Buch meint einer der AutorInnen, für eine ernstzunehmende Beantwortung von Perspektivenfragen verändere sich die Welt aktuell einfach zu schnell. Im Rahmen der Buchpräsentation in Wien hast du dich allerdings sowohl hinsichtlich globaler Bewegungs-Dynamiken als auch im Hinblick auf lokale Auseinandersetzungen verhalten optimistisch gezeigt. Siehst du auf der Bundesebene ebenfalls Gründe für Optimismus in diesem Zusammenhang?

Wir sind angehalten, in größeren zeitlichen und räumlichen Zusammenhängen zu denken. Natürlich geht es allerorten zu langsam, und wir erleben mehr Rückschläge als sonst was. Aber wir müssen uns doch nur die Geschichte der ArbeiterInnenbewegung im 19. Jahrhundert ansehen. Das war ein Prozess, der Jahrzehnte gedauert hat! Abgesehen davon nährt sich der Optimismus aber daraus, dass sich auf lokaler und regionaler Ebene in allen gesellschaftlichen Bereichen vermehrt Protest und Widerstand regt. Ich möchte an dieser Stelle nur an die Studierendenbewegung, die ACTA-Proteste oder den MetallerInnenstreik erinnern, oder an das, was sich im Energiesektor tut. In Graz wehrt mensch sich gegen den Bau der Murkraftwerke, in Voitsberg wurden die Leute gegen die Inbetriebnahme eines Kohlekraftwerks aktiv, im Weinviertel gegen die Förderung von Schiefergas durch die ÖMV usw. usf. Die Liste könnte man noch fortsetzen – und wann waren wir denn das letzte Mal in der Situation, überhaupt eine solche Liste zu haben? Also da kommt schon etwas in Bewegung!

 

Literatur

Kühberger, Leo/Stuhlpfarrer, Samuel (2011): Angekommen: Krise & Protest in der Steiermark. Graz: Forum Stadtpark Verlag.     

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