Biometrie

Seit Anfang Oktober versuchen großflächige Plakate entlang der Avenue Kakatare davon zu überzeugen, dass aus der Kombination von Fingerabdruck und Gesichtserfassung makellose Wahlberechtigte entstehen.

Tabaski, jabbama und alhamdullilah! Seit Generationen bahnt sich die jährlich wiederkehrende Freude zum islamischen Opferfest ihren Weg auch durch die staubigen Alleen der Avenue Kakatare. Sobald der Imam der angrenzenden Moschee zum Gebet anstimmt, herrscht rund um das Telegraphenamt zunächst ehrfürchtige Stille. Im Anschluss daran wird es dafür umso lauter. Wer es sich leisten kann, schlachtet ein Schaf oder eine Ziege, teilt die Gaben mit Bedürftigen und feiert zumeist bis in die frühen Morgenstunden im Kreise der Familie.

Doch in diesem Jahr war die Stimmung merklich getrübt. Es dauerte nicht lange, kam auch dem Telegraphenamt zu Ohren, dass eine neuartige Technologie zum Stadtgespräch geworden ist, die für die Eintragung in die Wählerevidenz mehr Transparenz und Sicherheit verspricht. Tatsächlich hatte die Opposition 2011 die de facto konkurrenzlose Wiederwahl des seit drei Jahrzehnten in Kamerun uneingeschränkt amtierenden Präsidenten auf massive Unregelmäßigkeiten beim Urnengang zurückgeführt. Im Hinblick auf die Parlamentswahlen 2013 sollte nun durch biometrische Registrierung Abhilfe geschaffen werden. Möglich gemacht hat es nach einem millionenschweren Großauftrag der Hightech-Transfer aus deutscher Wertarbeit. Seit Anfang Oktober versuchen großflächige Plakate entlang der Avenue Kakatare davon zu überzeugen, dass aus der Kombination von Fingerabdruck und Gesichtserfassung makellose Wahlberechtigte entstehen.

Der vermeintliche Fortschritt hat die islamische Glaubensgemeinschaft gegen sich aufgebracht. Ihrer Tradition zufolge dürfen Frauen das Haus zwar mit Genehmigung des Mannes verlassen – keinesfalls aber ohne Verschleierung. Das war immer so, daran hat vor einem Jahr die Popularisierung kostenloser Personalausweise nichts geändert, umso mehr zeigt man auch jetzt der Strafandrohung im Falle einer Biometrie-Verweigerung die kalte Schulter. Sie stemmt sich gegen das Rad der Zeit, das schon unter den frühen Kolonialregimen kräftig Fahrt aufgenommen hat. Das Telegraphenamt konnte dazu erforschen, dass die „Policey-Wissenschaft“ des 17. und 18. Jahrhunderts eine weit reichende Regulierung der menschlichen Lebensverhältnisse anstrebte, insbesondere aber eine „Ordnung der Körper“. Identifikationstechniken erfuhren in weiterer Folge einen regelrechten Konjunkturaufschwung. Die britische Herrschaft hatte stets die Nase vorne. Sie unterwarf Indien 1871 der „Erfassung, Überwachung und Kontrolle von bestimmten kriminellen Stämmen“. Mit der Einschränkung der Mobilität ging die Vorstellung einher, dass sich das Verbrechen durch wechselhafte Identitäten der Sichtbarkeit entziehe. Wer sich also zwischen den Milieus bewegen wollte, oder auch nur von einer Stadt zur anderen, landete durch den biometrischen Zugriff im Panopticon der modernen Machtausübung.

Das Verdikt der britischen Krone zog seine Kreise weit über die Kolonialzeiten hinaus. Kein Wunder also, dass der historische Spuk ungefähr ein Jahrhundert später wieder auf der Bühne der Gegenwart erscheint. „Wenn Kamerun die Demokratie stärken wolle“, erklärte im Frühjahr 2012 der Staatssekretär für Mittelstand und Tourismus im deutschen Wirtschaftsministerium, „dürfen wir nicht abseits stehen“. Die muslimischen Frauen im Norden, die oft verzweifelt um kleinste Freiheiten zu kämpfen haben, werden es ihm sicher danken – zum nächsten Opferfest mit einem Schaf.

Ähnliche Artikel

Eine Karte als post/koloniales Archiv
Anmerkungen zur musealen Repräsentation der Migration
Die Recherchen begannen dort, wo sie ihren Ausgang nehmen sollten – bei Google.