Deep Search. Politik des Suchens jenseits von Google

Die uferlose Fülle an Information und das vermeintliche Chaos sintflutartiger Datenmengen schienen dabei keinen Platz mehr für eine zentrale Autorität zur Wiederherstellung der Ordnung zu lassen. Und auch wenn in jüngster Zeit einem Konzern wie Google – ob nun zum Guten oder Schlechten – eine solche ordnungsstiftende Funktion zugesprochen wird, ist es doch gerade die Suchmaschine aus Mountain View, welche die letzten Überreste einer hierarchisierten Wissensordnung hinter sich gelassen hat.

Wer kennt es noch, das smaragdgrüne, vom Sternenhimmel erleuchtete Steuerrad, mit dem der erste kommerzielle Webbrowser namens Netscape dem/der Nutzer/ in die Kontrollierbarkeit des kybernetischen Raums suggerieren wollte? Der Cyberspace erschien damals als weitgehend glatter Raum, der keine absolute Hierarchie, vielmehr bestimmte und mit jeder Seite variierende Formen der Hierarchisierung enthielt. So nannte sich eines der ersten Webportale noch yet another hierarchical officious order! (kurz Yahoo!), was selbst wiederum auf die ambivalente Haltung gegenüber einer scheinbar aus dem Ruder gelaufenen Informationsflut verweist. Die uferlose Fülle an Information und das vermeintliche Chaos sintflutartiger Datenmengen schienen dabei keinen Platz mehr für eine zentrale Autorität zur Wiederherstellung der Ordnung zu lassen. Und auch wenn in jüngster Zeit einem Konzern wie Google – ob nun zum Guten oder Schlechten – eine solche ordnungsstiftende Funktion zugesprochen wird, ist es doch gerade die Suchmaschine aus Mountain View, welche die letzten Überreste einer hierarchisierten Wissensordnung hinter sich gelassen hat. So listet Google mittels seines lizenzierten PageRank die Ergebnisse nach der Intertextualität des Internets, indem der Wert einer Seite lediglich durch die auf sie führenden Links bemessen und damit losgelöst von jeglichen bisherigen Bedeutungskriterien erstellt wird.

Dass es sich hierbei allerdings nicht einfach um einen kontinuierlichen Fortschritt hin zu immer offeneren Informationslandschaften handelt, zeigt der von Konrad Becker und Felix Stalder nunmehr auf Deutsch erschienene Sammelband „Deep Search. Politik des Suchens jenseits von Google“. Als Weiterführung der am 18. November 2008 vom World-Information Institute in Wien organisierten Deep Search Conference umfasst das Buch eine Sammlung von 13 Texten, die sich mit den sozialen und politischen Folgen (digitaler) Navigationshilfen beschäftigen. Denn hinter dem vermeintlich neutralen Code dieser kognitiven Technologien verbergen sich immer schon kulturelle Filter, die nicht alleine den Zugang zu Information und Wissen festlegen, sondern darüber hinaus die Art und Weise, wie wir in gegenwärtigen Informationssystemen überhaupt etwas von der Welt in Erfahrung bringen können. Und wie Paul Diguid in seinem einleitenden Artikel aus historischer Perspektive feststellt, zeigt sich in den kulturellen Praxen des Suchens, dass gerade die „Informationsbeschränkungen, die wir so oft überwinden wollen, gleichzeitig Informationsquellen sein können“. Nicht die vermeintlich „freie“ Information schafft demnach Wissen, sondern die Fähigkeit, „das Gefundene in kulturell spezifischer Weise beurteilen“ zu können.

Anstelle des bisherigen Projekts einer Kartographierung des Datenraumes bedarf es eines kritischen Blicks auf die sozialen und technischen Konstruktionsweisen von Information und Wissen. Die neuen Universalmaschinen bieten dabei auch die Chance, über das Geschäftsmodell eines einzelnen Unternehmens hinaus neue Formen der Informationssuche als Teil der Wissensvermittlung zu etablieren und somit die Autonomie der Nutzer/innen im Umgang mit diesen neuen Kulturtechnologien zu stärken. Anstatt uns also „gegen die ,Informationsflut‘ zu verteidigen“, so Geert Lovink in seinem Buchbeitrag, „sollten wir der Situation kreativ begegnen“. Demnach gilt es, den Vermittlungsprozess selbst sichtbar und damit zugänglich zu machen, um in weiterer Folge neue Instrumente der Indexierung und Suche erfinden zu können. Und eben hierzu leistet der vorliegende Sammelband einen ersten und daher umso wichtigeren Beitrag, auch wenn dieser – dem Themenfeld entsprechend – keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann und wohl auch gar nicht will.

Konrad Becker/Felix Stalder (Hg.): Deep Search. Politik des Suchens jenseits von Google. Innsbruck/Wien/Bozen: StudienVerlag 2009

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