Die Großen jammern und klagen, die Kleinen freuen sich

Wer heute ein Indielabel für Musik betreibt, hat oftmals Erklärungsbedarf und muss sich weiters auch an Misstrauen gewöhnen, da viele Plattenfirmen den Ruf haben, durch Verträge ihre Artists „abzuzocken“. Den Begriff der Kreativwirtschaft im Bereich Musik möchte ich an dieser Stelle noch gar nicht bemühen.

Die Independent Music-Szene in Österreich im Spagat zwischen DIY und Creative Industries. 

Vor einiger Zeit schrieb mir ein Freund, der seit Ende der 1980er-Jahre mit seiner Musik im Bereich Metalmusik sehr erfolgreich ist, dazwischen eine kleine Pause gemacht hat und jetzt mit seiner neuen Band durchstartet, dass er alles, was seinen nächsten Release betrifft (Produktion, Vervielfältigung, Downloadplattformen, Merchandising), selbst machen und kontrollieren möchte. Davon ausgenommen sollen nur Promotion, Booking und Vertrieb sein, weil es dafür tatsächlich Profis braucht, deren Tätigkeit von Künstler_innen kaum abgedeckt werden kann. Wortwörtlich: „Ich lasse jetzt das Label aus, denn die sind sowieso nur Gangster!“ Kurz sei dazu angemerkt, dass das Publikum gerade im Rock-/Metalbereich sehr treu ist und meist tatsächlich auch noch Tonträger, T-Shirts, Konzertkarten etc. kauft.

Wer heute ein Indielabel für Musik betreibt, hat oftmals Erklärungsbedarf und muss sich weiters auch an Misstrauen gewöhnen, da viele Plattenfirmen den Ruf haben, durch Verträge ihre Artists „abzuzocken“. Den Begriff der Kreativwirtschaft im Bereich Musik möchte ich an dieser Stelle noch gar nicht bemühen. Was aber ist ein Indielabel? Oftmals wird nicht unterschieden zwischen Indielabel und Subfirma oder -vertrieb eines Majors. In diesem Text möchte ich beispielhaft auf einige sogenannte Independent Record Labels eingehen, die allesamt in Wien beheimatet sind, unterschiedlich lang existieren, verschiedene Musikrichtungen veröffentlichen und sich völlig divergent finanzieren, erhalten und arbeiten. Einige davon werden in Österreich über Trost – einem Independent Distributor – vertrieben.

Ein Indielabel verdient den Namen dadurch, dass es unabhängig arbeitet und nicht zu den Major Labels (Universal, Sony, Warner, EMI) mit all deren Sublabels gehört. Aus der Satzung 4.1 des vtmö (Verband unabhängiger Tonträgerunternehmen, Musikverlage und Musikproduzenten Österreich) geht hervor, dass nur Unternehmungen Mitglieder werden können, die „nicht mehr als fünf Prozent Marktanteil haben (insbesondere wenn sie mit der Herstellung oder dem Vertrieb von Ton-/Tonbildaufnahmen befasst sind oder einen Musikverlag betreiben)“. In den letzten Jahren haben sich in Österreich mit Trost/CIEN FUEGOS, EDITIONS Mego, laton, Fettkakao, Seayou, Siluh, Mosz, temp-records, konkord, Wohnzimmer, unrecords, Asinella, Problembär, comfortzone und vielen mehr Labels gegründet, die auf ihre spezielle Weise entweder über Freundschaft und Vernetzung funktionieren, oder sich durch langjährige Erfahrung und verschiedene Geschäftsmodelle ihren Platz beim Verteilen des kleinen Kuchens in Form von Tonträgerverkäufen, Preisen, Förderungen etc. erkämpfen. Do-It-Yourself (DIY) und Pragmatismus sind so „fast“ keine Widersprüche mehr.

No Gods, no Masters!

Vom Punk und seinem DIY-Gestus kommt Konstantin Drobil, Betreiber von Trost Records Label & Distribution (seit circa 15 Jahren) und dem Plattengeschäft Substance (seit zehn Jahren): „Mir war es wichtig, frei von kommerziellen Überlegungen die Musik rauszubringen, die mir wirklich etwas bedeutet – ohne Genregrenzen mit Freund_innen zu arbeiten beziehungsweise aus der Szene um das altes Flex heraus. Es ging darum, über die Produktionsmittel selbst zu bestimmen.“ Trost veröffentliche unter anderen Snakker du Densk, Kurort, Bul Bul, Valina, Aber das Leben lebt und TV Buddhas. Parallel existiert seit circa einem Jahr das Sublabel CIEN FUEGOS, das mit Reissues bekannter Musiker wie Peter Brötzmann, Hotel Morphila Orchester, Chuzpe und vielem anderem mehr auch international Erfolg hat. Trost arbeitet von Beginn an mit gespartem Geld und dem Rückfluss über Verkauf beziehungsweise Merchandise (T-Shirts, Taschen …), einige Produktionen wurden mit einem kleinen Produktionskostenanteil des SKE-Fonds (Soziale und Kulturelle Einrichtungen der Austro Mechana) unterstützt.

EDITIONS Mego, aus dem vor einigen Jahren an zu vielen Unwägbarkeiten gescheiterten Label Mego extrahiert, zählt zu den international wichtigsten Indielabels für avancierte Musik. Peter Rehberg betont, gänzlich ohne Förderungen und Sponsoring auskommen zu wollen, und koordiniert die Auflage der Veröffentlichungen mit den Vorbestellungen internationaler Vertriebe. Manche Releases sind bereits vor Anlieferung durch das Presswerk ausverkauft.

Seit Jahrzehnten in der Szene als Musiker und Autor (Chefredaktion SKUG) umtriebig und gewohnt, den Bereich Pop sowohl von der praktischen als auch theoretischen Ebene her zu betrachten, unterstützt Didi Neidhart junge Bands aus Westösterreich als Leiter der mica-Servicestelle Salzburg. Neidhart schreibt in einer E-Mail an mich auf die Frage nach seinem Indiebegriff: „Indie war mal der Versuch, eine parallele Musikökonomie zu installieren, also die Macht über die Produktionsmittel zu haben und gegen die Majors zu agieren (die ersten Indielabels waren dann auch afro-amerikanische Jazzlables zu Zeiten von free jazz und black power). Nur, Indie wurde – spätestens in den späten 1980ern/frühen 1990ern – auch zu einer moralischen Ideologie: Indie bedeute nicht finanzielle oder ästhetische, sondern moralische Unabhängigkeit (alle waren prekär angestellt, und das war eben auch die Ideologie dahinter). Das war gut eingebettet zwischen linksliberal und gefühlslinks und führte zu den bekannten Problemen (schlechte Musik musste gut sein, weil auf einem Indie). Spätestens nach Grunge nahmen sich Majors des Begriffs an, um damit wieder mal das ,echte‘, ,unverbrauchte‘, ,authentische‘, nicht-entfremdete ihrer Produkte verkaufen zu können. Indie stand nun für einen Sound (ähnlich dem ,fm4-sound‘ bzw. den ,fm4-bands‘), der überhaupt nichts mehr mit den ursprünglichen politischen Intentionen ,unabhängiger‘ Labels zu tun hatte, wobei ,Indies‘ schon immer zwischen Gangstertum – auch die Mafia hatte mit Roulette Records ,ihr‘ Indielabel – und (linkem) Idealismus angesiedelt waren. Mittlerweile sind daraus brunznormale mittelständische Klein- und Kleinstbetriebe geworden, die leider auch ebensolche Musik produzieren.“

Platz da! Hier kommen wir!

Es ist aus diesem Text bis jetzt nicht schwer rauszulesen, dass die Indieszene in Österreich scheinbar zum großen Teil sehr männlich dominiert ist. Mit mosz (Michaele Schwentner), -temp (Patricia Irradiation), Indigo Inc. (Electric Indigo), unrecords (aktuelle Neugründung) und comfortzone entstanden in den letzten Jahren jedoch Labels von Musikerinnen und DJs mit mehr oder weniger feministischem Ansatz. comfortzone und unrecords bezeichnen sich selbst als queer/feministisch. comfortzone, das von mir vor ca. 2,5 Jahren gegründete Label, arbeitet von Anfang an mit geborgtem Geld und mit Förderungen aus den Bereichen der Creative Industries (Jungunternehmer_innenförderung aws, departure) und dem SKE-Fonds.

Dadurch wurde es möglich, einen Grundstock an Veröffentlichungen und eine funktionierende Infrastruktur anzulegen und Musiker_innen zu fördern, die sozusagen relativ am Anfang ihrer „Karriere“ stehen, sie mit bekannten Größen zusammenzubringen und ihnen ein Umfeld zu schaffen, das es ihnen ermöglicht, nicht nur national, sondern auch international präsent zu sein. Auch wenn viele Releases über freundschaftliche Kontakte zustande kommen, musste ich selbst sehr schnell lernen, dass ein Begriff wie Dankbarkeit in einem Feld, wo die Ökonomie der Aufmerksamkeit oftmals schmerzlich regiert, keine Rolle spielt. Auch sind wir als Label mit Kleinauflagen derzeit nicht davon betroffen, dass unsere Musik unverhältnismäßig verbreitet wird, ohne dass es einen Rückfluss gibt, der die Produktionen schließlich finanzieren muss.

Ilias Dahimene, seit Kurzem Mitglied des Leitungsteams der vtmö und Betreiber des Labels Seayou Records ließ mir freundlicherweise seine persönliche Sicht auf die aktuelle Diskussion zum Urheber_innenrecht und die Arbeit im Indiebereich in Kurzform zukommen: „Mit der Kunst hat Recht-Kampagne katapultieren sich die Kunstschaffenden auf einen Diskussionsstand von ca. 2001 zurück und das, obwohl gerade diese zu den großen Gewinnern des Internetzeitalters gehören. Im Musikbereich bildet sich wohl zum ersten Mal in der Geschichte so etwas wie ein breiterer Mittelstand heraus, sogar die Verwertungsgesellschaften verzeichnen Jahr für Jahr höhere Urheberrechtseinnahmen. Klar, das Urheberrecht sollte modernisiert werden. Aber vorher sollten auf jeden Fall die Verwertungsgesellschaften selbst modernisiert werden: dass es im Jahr 2012 noch immer eine Trennung zwischen E und U gibt … Kunst mit verschiedenen Wertungen ist verabscheuungswürdig, und ich traue mich zu wetten, dass viele Künstler in den Pauschaltöpfen der Verwertungsgesellschaften mehr Geld verlieren als durch Urheberrechtsverletzungen im Internet (welche sich aber meist positiv für den Künstler auswirken. Liberales Urheberrecht = mehr Umsatz. Fact.).“

Derzeit kann sich der vtmö zum Thema Urheberrecht und zur Debatte über Kunst hat Recht noch auf keine Positionierung einigen. Die deutsche Interessenvertretung VUT (Verband unabhängiger Musikunternehmen) zur ähnlich gelagerten Diskussion in Deutschland und zu den Forderungen der Industrie und der Leistungsschutzgesellschaften: „Wir halten den Satz ,Copy kills Music‘ für zu simpel. Wir möchten kein Urheberrecht, das sich hauptsächlich an den Interessen großer Verlage und Tonträgerkonzerne orientiert. Wir möchten – im Interesse unserer Unternehmen – ein Urheberrecht, das den selbstbestimmten Umgang vor allem der Urheber selbst mit ihren Werken ermöglicht und nicht nur denen nutzt, die sich große Rechtsabteilungen leisten können!“

Heutzutage ein kleines Label zu betreiben, bedeutet in meinem Fall, einen mehrfachen Spagat zwischen Künstlerin zu sein, Labelverantwortung zu übernehmen und für eine Labelhaltung zu stehen, Abwicklungen zu koordinieren, Veranstaltungen zu planen, selbst aus Liebe zur Musik (nicht nur der Labelartists) darüber wiederum in Medien zu berichten – und um mein Leben finanzieren zu können, einer Teilzeitbeschäftigung nachzugehen, mit deren Einkommen ich zum Teil Produktionen wiederum vorfinanzieren muss. Und all denjenigen, die sich kritisch dazu äußern, dass mit Förderungen gearbeitet wird, sei gesagt: Um einen Euro Förderung tatsächlich zur Verfügung zu haben und ausgeben zu können, müssen zwei verdient werden! Im Indiebereich keine kleine Herausforderung!

Christina Nemec ist Musikerin und betreibt das Indielabel comfortzone.

Links

www.ske-fonds.at

www.awsg.at

www.departure.at

www.trost.at (Trost/CIEN FUEGOS)

www.editionsmego.com

www.comfortzonemusic.com

www.vtmoe.org

www.vut-online.de

www.mica.at

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