Europa – mit Theater aus der Krise?

<p>Während der "Sound of Europe" noch in unseren Ohren klang, strebte die österreichische EU-Ratspräsidentschaft mit "Café d´Europe" Anfang Mai bereits einem weiteren dramaturgischen Höhepunkt entgegen. Ziel dieses "europaweiten Kulturprojekts" war laut Staatssekretär Winkler, über den Genuss "typischer europäischer Mehlspeisen" die "emotionale und kulturelle Vielfalt Europas" zu entdecken.<br /> <br /> <i>Was haben Gugelhupf und Tiramisu eures Erachtens mit dem

Während der "Sound of Europe" noch in unseren Ohren klang, strebte die österreichische EU-Ratspräsidentschaft mit "Café d´Europe" Anfang Mai bereits einem weiteren dramaturgischen Höhepunkt entgegen. Ziel dieses "europaweiten Kulturprojekts" war laut Staatssekretär Winkler, über den Genuss "typischer europäischer Mehlspeisen" die "emotionale und kulturelle Vielfalt Europas" zu entdecken.

Was haben Gugelhupf und Tiramisu eures Erachtens mit dem derzeitigen politischen Kurs der Europäischen Union zu tun?

Gugelhupf und Tiramisu zur gleichen Zeit – am Europageburtstag – sollten suggerieren, dass Europa zwar zusammenwächst und sich integriert, dass aber gleichzeitig die kulturelle Vielfalt erhalten bleibt. Das ist das richtige Ziel und somit prinzipiell auch die richtige Botschaft. Doch soll sie von der Realität ablenken, in der tendenziell das Gegenteil stattfindet. Die einseitige Integration über den Binnenmarkt zerstört derzeit systematisch regionale Strukturen, kulturelle Vielfalt und ökologische Nischen. Die radikale Durchsetzung von freiem Warenverkehr und freiem Kapitalverkehr gefährden genau das, was Gugelhupf und Tiramisu symbolisieren sollen.

Ein Beispiel: 2004 investierte die EU 62% ihres Verkehrsbudgets in Schnellstraßen und Autobahnen, Bahn und öffentlicher Regionalverkehr erhielten nur einen Bruchteil. Die Binnenmarktfreiheit “Warenverkehr” geht vor allen anderen Zielen. Der Steuerwettbewerb innerhalb der EU führt dazu, dass die öffentlichen Kassen – in immer reicheren Volkswirtschaften – leer werden und die öffentliche Hand an allen Ecken und Enden zu kürzen beginnt. Unter den Opfern findet sich die regionale Infrastruktur: Postämter, Nebenbahnen, Kindergärten, Forstämter, Krankenhäuser. Die lokale Wirtschaft verliert ihre Basis und die Erosion und Abwanderung beginnt. So viel Gugelhupf kann man gar nicht essen, damit diese Spirale gebremst wird.

Anderes Beispiel: Das Atomenergie-Budget wurde soeben verdoppelt, während die – stärker regional eingebetteten – Alternativenergien am Hungertuch nagen. 1,25% der bäuerlichen Betriebe in der EU erhalten 25% aller Agrarförderungen. 54% werden mit 4% der Förderungen abgespeist. Die EU finanziert das BäuerInnensterben. Sie macht zwar auch Regionalförderung über verschiedensten Töpfe und Programme, diese können aber die Zerstörungswirkung der übergeordneten Wirtschafts-, Verkehrs-, Energie-, Agrar- und Wettbewerbspolitik nicht annähernd ausgleichen. Solange in der EU diese Prioritäten gelten, ist das Tiramisu- und Gugelhupf-Theater ein symbolischer Betrug.

Würdet ihr in Phänomen wie " Café d´Europe " eine Art allgemeiner Tendenz zur "Depolitisierung des Politischen" sehen oder handelt es sich dabei eures Erachtens mehr um ein "österreichisches Spezifikum"?

Wir sehen darin mehr einen “überregionalen” Trend in den so genannten “Post-Demokratien”. Formal gelten zwar noch die Kriterien der Demokratie, doch de facto werden sie durch massive Lobbying-Stukturen, neue Formen der Herrschafts-Kommunikation und mediale Konzentrationsprozesse Schritt für Schritt außer Kraft gesetzt. Die Brüsseler Institutionen sind von einem Ring aus 15.000 hauptamtlichen Industrie-LobbyistInnen umlagert, das ist ein wichtiger Grund für die neoliberale und konzernfreundliche Gesetzgebung in Brüssel, zum Beispiel in der Frage der Gentechnik, der Dienstleistungsrichtlinie oder des GATS.

Das GATS wurde die längste Zeit geheim verhandelt anstatt es demokratisch zu diskutieren, auch das ist ein wichtiger Hinweis auf Entpolitisierung – aber kein typisch österreichischer. Möglicherweise ist die konkrete Umsetzung der Inszenierung eine typisch österreichische. Dass etwa die Regierung nach Maria Zell pilgert oder Volkslieder mit Klampfe und Quetsche präsentiert. Oder dass zum Café d´Europe 70 SchülerInnen geladen wurden – zu einem Zeitpunkt, an dem die Jugendarbeitslosigkeit um über 50% in die Höhe geschnellt ist.

Angesichts des Umstandes, dass Kultur gegenwärtig verstärkt als Identitätsvehikel für das EUropäische Projekt in Dienst genommen wird, drängt sich die Frage auf, ob man durch die positive Bezugnahme auf eine "europäische Identität" – und sei es jene des vielzitierten "anderen Europa" – nicht zwangsläufig in eine quasi-nationalistische Falle neuen Typs geht, in der es vor allem um Abgrenzung nach außen geht. Welche Alternativen seht ihr in diesem Zusammenhang und vor allem in Bezug auf dieses "andere Europa"?

Eine europäische Identität kann es gar nicht geben, ebenso wenig eine österreichische. Es gibt Staaten, in denen unterschiedlichste Menschen und Kulturen mit unterschiedlichsten Identitäten zusammenleben. So gesehen wäre die einzig sagbare Identität Europas die kulturelle Vielfalt. Das soll uns aber nicht davon abhalten, in der europäischen und österreichischen Demokratie um Werte zu streiten. Und da sind die angeblichen europäischen Werte – Demokratie, Menschenrechte, Sozialmodell, ökologische Nachhaltigkeit, Subsidiarität und Vielfalt voll und ganz zu unterstützen. Die Arbeit von Attac besteht im Moment darin zu zeigen, dass die gegenwärtige Integration – der Vorrang für Binnenmarkt und Wirtschaftsfreiheiten – diese “europäischen” Werte gefährdet.

Wir fordern eine Neuausrichtung der Integration – Kooperation statt Wettbewerb, ökologische Kostenwahrheit, nachhaltige Entwicklung, Stärkung des Sozialmodells, Stärkung des öffentlichen Sektors. Das “andere Europa” hat keine Identität zum Ziel, sondern die Umsetzung der besagten Werte: eine andere, eigentlich nur eine kohärentere Politik.

Bereits im Oktober letzten Jahres präsentierte die Europäische Kommission ihren so genannten "PLAN D für Demokratie, Dialog und Diskussion", mit dessen Hilfe mal wieder die Kluft zwischen EU-Institutionen und ihren BürgerInnen überbrückt werden soll. Die damals postulierte "Zeit der Reflexion" nach dem Nein bei den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden zum Verfassungsvertrag sollte v.a. auf der Ebene der einzelnen Mitgliedsstaaten für einen intensivierten Dialog mit den BürgerInnen über die Zukunft der EU genutzt werden. Seht ihr darin eine erfolgversprechende Strategie und wenn nein, welche Alternativkonzepte wären aus eurer Perspektive konkret denkbar?

Eine Diskussionsoffensive kann kein Demokratiedefizit beheben. Wenn die EU-Eliten mehr Demokratie wollen, müssen sie Vorschläge zur Demokratisierung machen. Die Vorschläge von Attac: Angleichung der demokratischen Standards der EU-Ebene auf das schon erreichte Niveau der Mitgliederstaaten: Das Parlament erhält das Initiativrecht für Gesetze. Es darf die KommissarInnen einzeln wählen und abwählen.

Die repräsentative Demokratie wird durch die direkte ergänzt: Volksbegehren und Volksentscheid. Das Parlament wird verpflichtet, Volksinitiativen zu bearbeiten und der EU-Bevölkerung zur Abstimmung vorzulegen. Geht den Menschen eine Richtlinie gegen den Strich, können sie sie zu Fall bringen. Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip – wieder so ein Sonntagswert – darf die Verlagerung politischer Kompetenzen nach “Brüssel” nicht mit dem Verlust demokratischer Gestaltungsmöglichkeit auf der lokalen Ebene einhergehen.

Eine – namentlich nicht genannte – EU-Vertreterin wurde kürzlich im Hinblick auf Café d´Europe im Standard mit den Worten zitiert: "Das ist typisch für die österreichische Präsidentschaft: Wirklich gut bei den Showeinlagen, aber inhaltlich bringt sie fast nichts weiter". Wie würde ein Resümee zu der sich dem Ende zu neigenden österreichische EU-Ratspräsidentschaft aus eurer Perspektive ausfallen?

In den politischen Inszenierungen erhält die Regierung zweifellos eine gute Note, auch wenn diese nicht pannenfrei abliefen. Bezüglich der Substanz ging – aus neoliberaler Sicht – auch einiges weiter. Binnenmarkt-Kommissar McCreevy lobte Wirtschaftminister Bartenstein über den grünen Klee für seinen Einsatz für die Dienstleistungsrichtlinie. Aus der Sicht der sozialen, ökologischen, menschenrechtlichen Anliegen wurden zahlreiche Chancen verpasst. Die Tobinsteuer wurde andiskutiert, aber keine ernsthafte Initiative gestartet. Schwerster Fehler war die Diskreditierung des EU-Budgets: Wer Europa stärken will, darf ihm nicht den Geldhahn zudrehen.

Im Falle von Attac scheint es ja eine gewisse Ambivalenz zu geben, was das Agieren in Bezug auf die österreichische EU-Ratspräsidentschaft anbelangt: Auf der einen Seite kritisiert man zwar in vielen Punkten den eingeschlagenen Kurs, auf der anderen Seite scheint man jedoch mittels gezieltem Lobbying die Ratspräsidentschaft auch dafür nutzen zu wollen, eigene Forderungen wie die Tobin-Steuer auf die "Brüssler Agenda" zu hieven. Ist das nicht ein Widerspruch?

Wie sollen soziale Bewegungen ihre Anliegen durchsetzen, wenn sie sie nicht kundtun? Von den professionellen Lobbies in Brüssel unterscheidet uns, dass wir nicht im Eigeninteresse lobbyieren, sondern im Allgemeininteresse. Von der Tobin-Steuer erhält kein Attaci ein Taschengeld, wir fordern die Verwendung der Mittel für die globale Armutsbekämpfung.

Veranstaltungshinweis: Am 15. Juni findet um 11 Uhr im Wiener Volkstheater unter dem Titel “Europa – mit Theater aus der Krise?” eine u.a. von Attac und der IG Kultur Österreich veranstaltete Matinee mit Lesungen von Michael Köhlmeier, Robert Menasse u.v.a.m. sowie anschließender Diskussion statt.

Attac

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