Kleine fordistische Zeitreise

Es gehe nur darum, Feuer zu fangen, im Fluss zu sein und schon gehöre man dazu. Zu den – egal unter welchen (Arbeits-)Bedingungen vor sich hin schaffenden – ewig Jungen, Hippen und Inspirierten.

Wann immer der Begriff „Kreative Industrie“ fällt, muss ich unfreiwillig an einen Mann aus der tiefen Provinz meiner Kindheit denken, zu dem in eine zeitund ortlose Kleinfabrik, so die vergilbte Erinnerung, mein Großvater und ich einmal fuhren. Er zeigte uns die fordistische Arbeitstätte, und bald gingen wir mit sonderbaren, sorgfältig in Zeitungspapier eingewickelten Teilen wieder nach Hause. Weder die ominösen Teile noch die unspektakuläre Produktion der Fabrik hinterließen Spuren in meiner Erinnerung, wohl aber der Kommentar, der sich auf das auffällige Unverhältnis zwischen diesen bezog: „Das nennt man Kreative Industrie“, lautete der in etwa. Ich konnte mir das Wort schwer merken ...

Dieser Mann war bekannt für die individuellen bis eigenwilligen Lösungen für die vielfältigen Problemlagen seiner MitbürgerInnen. Er beriet das halbe Dorf, große Teile des Landes und hin und wieder auch Delegationen aus den brüderlichen Staaten in hochkomplexen technischen, ästhetischen sowie sonstigen Fragen. Die angebotene Mischung aus Produkt, Coaching und anderen Dienstleistungen, wie man heute sagen würde, kostete ihm beinahe seine gesamte Freizeit, ganz zu schweigen von seiner Privatsphäre: Ständig kam jemand Rat suchend vorbei, und auch die kleinste gesellschaftliche Zelle blieb nicht verschont, sie leistete meist die Distributionsdienste. Die Dorfkneipe und alle nennenswerten Events wie Jahrmärkte, Namenstage, Hochzeiten oder Begräbnisse dienten der Auftragsverhandlung. Das Kommunikationskonzept fußte vorwiegend auf Mundpropaganda, und nebenbei betrieb er eine Subsistenzwirtschaft.

Im Nachhinein betrachtet finden sich unzählige Übereinstimmungen mit dem Bild des heutigen Creative Workers, und eigentlich hätte gerade er fließend den Wechsel in das nächste ökonomische Regime meistern sollen. Dem war aber nicht so: Einige Jahre später, als im Zuge der so genannten Wende – nicht nur für PhilosophInnen sichtbar – alles in Fluss geriet, verfloss auch sein Arbeitsplatz, und seine Kreativität setzte zur Abwärtsbewegung an. Was hat es also mit dieser komischen Kreativität auf sich? Welcher Art sind ihre (Arbeits)Bedingungen? Wie ist sie strukturiert? Wie ist ihr Verhältnis zu Sicherheit?

Einige ihrer Eigenschaften liegen auf der Hand – sie ist jedem und allem unterstellbar, sie hilft sowohl bei erhöhtem als auch bei niedrigem IQ, sie ist Retterin aus den miserabelsten psychologischen, architektonischen oder gettoisierten Sackgassen, sie kann bei Bedarf massentauglich oder aber auch exklusiv daherkommen und kennt scheinbar weder Klasse, Geschlecht noch andere Schranken. Kurz, eine wahre Panazee, auf die Verlass ist und die alles Mögliche bewirken und beleben soll – vom Aquarellmalkurs bis zur Toleranz. Man könnte sich diese geheimnisvolle Kraft, welche an diversen Standorten jährlich zig-prozentiges Wachstum und damit ihre Sicherung bringt, bildlich als jenen geheimnisvollen Funken vorstellen, der unsichtbar vom mächtigen, energetisierenden Finger Gottes zu Adams Hand fließt. Unsichtbar, jedoch derart kraftvoll, dass – sobald er hinüber springt – der schlappe Körper mit Lebensgeist erfüllt wird. In unserem Fall kommt es sogar noch besser, denn auf die väterliche Überfigur kann getrost verzichtet werden, und so fließt die Kreativität sozusagen von ihrem rechten zu ihrem linken Finger und puff: Die Gedanken fließen in Antragstexte, der Geist entwirft am Fließband immer wieder neu, die Arbeit trifft auf ihren Sinn und ökonomisierbare Einfälle rasen dahin.

Es gehe nur darum, Feuer zu fangen, im Fluss zu sein und schon gehöre man dazu. Zu den – egal unter welchen (Arbeits-)Bedingungen vor sich hin schaffenden – ewig Jungen, Hippen und Inspirierten.

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