Neuer Spirit für den ÖGB? Managementphilosophien, ArbeitskraftunternehmerInnen und der Change-Prozess des ÖGB

Das "ganzheitliche Unternehmen" fordert den "ganzen Menschen", Machtverhältnisse in Betrieben ändern sich, Slogans wie "Ich mache mit, weil der Mief von gestern endlich weggeblasen werden muss!" oder "Die da oben und die da unten müssen ein Team werden" sollen immer öfter Belegschaften auf "neue Unternehmenskulturen" inklusive eventuell anstehender Kündigungen einschwören.

Management neu

Auf betrieblicher Ebene müsse die Gewerkschaft 'Solidarisierung neu' und 'Vertretung neu' versuchen, auf politischer Ebene ginge es darum, für gewerkschaftliche Anliegen wieder verstärkt Öffentlichkeit zu schaffen, meinte Dwora Stein, stellvertretende Vorsitzende der GPA auf einer Tagung der AK Wien im Mai dieses Jahres zu 'Macht und Strategie im Betrieb'. Denn F.W. Taylors 'Scientific Management', die Grundsätze kalkulierter Arbeitsteilung und strikter Trennung von Planung und Ausführung im Produktionsprozess scheinen ebenso obsolet wie der wohlfahrtsstaatliche Konsens, gesetzlich geregelte Mitbestimmung in Betrieben und Interessengegensätze. Schenkt man 'neuen' Unternehmenskulturen oder mächtigen Managementphilosophien Glauben, sitzen demnach in 'neuen', nämlich umstrukturierten Betrieben heutzutage "alle - die da oben und die da unten - im selben Boot", das kreativ, motiviert, bei vollem Einsatz selbstverständlich in nur eine Richtung gesteuert wird.

Das "ganzheitliche Unternehmen" fordert den "ganzen Menschen", Machtverhältnisse in Betrieben ändern sich, Slogans wie "Ich mache mit, weil der Mief von gestern endlich weggeblasen werden muss!" oder "Die da oben und die da unten müssen ein Team werden" sollen immer öfter Belegschaften auf "neue Unternehmenskulturen" inklusive eventuell anstehender Kündigungen einschwören. Re-Organisationsprojekte, Privatisierungen, Umstrukturierungen, Organisationsentwicklung (OE) in profit- wie non-profit-Organisationen - neue Unternehmenskulturen und -identitäten wollen gebildet werden. Und das alles immer öfter mit Beratung.

Ökonomische Relevanz und Einflusssphären der Consulting-, OE- und Unternehmensberatungsbranche boomen. Da macht sich eine Kraft auf, Expertin für Kommunikation, Arbeitsorganisation und "humane" wie auch "effiziente" Arbeit zu sein.

Allen voran die mächtige und mit eigener Forschungsabteilung einflussreiche Beratergruppe Neuwaldegg im größeren Kontext der so genannten "Wiener Schule der Organisationsentwicklung" kümmert sich mit einer Mischung aus soziologischer Systemtheorie, systemischer Familientherapie, Biologie, Kybernetik, Physik und Kommunikationstheorie um das Funktionieren, also das "störungsfreie" (!) funktionale Interagieren der Systemelemente im geschlossenen System Unternehmen, um eine reibungslose Anpassung an die Systemumwelt zu ermöglichen. Ihre Kundenkartei reicht von BMW, Audi, Deutsche Telekom bis hin zum ÖGB.

Damit verschiebt sich auch die Definitionsmacht. Mit den BeraterInnen/Beratungsinstitutionen brachte sich eine neue Gruppe ins Spiel, die in diesem 'Neuland' mit ihren immer neuen Methoden in die Offensive ging. Nicht mehr die ArbeiterInnenbewegung ist Expertin für "humane Arbeit", nicht mehr die (beiden) Interessengruppen sind (wie bisher) die alleinigen ExpertInnen der Arbeitswelt, sondern zunehmend die oft in großen (Beratungs- und Forschungs-)Gesellschaften organisierten OE-Institute.

Spirit neu

Entscheidend ist für die systemische Organisationsberatung die Fähigkeit des Systems, der Organisation, des Unternehmens (nach dem erfolgreichen Beratungsprozess), sich flexibel und selbsttätig optimal der Umwelt anpassen zu können. Zu erreichen wäre das durch einen Prozess der Veränderung, des Wandels. Hier stehen dann dualistisch "neues Denken" "altem Denken" und das "systemische Weltbild" dem "mechanistischen Weltbild" gegenüber. Alles "Neue" wird in Beratungsprojekten dementsprechend und scheinbar objektiv positiv besetzt. "Alte" Widersprüche, Konflikte, Interessengegensätze sind überholt, auf Veränderungen modern reagieren heißt "bejahend und engagiert" reagieren, und nicht etwa "ambivalent" oder "widerständlerisch". Konflikte können so zu Bewahrer-Veränderer-Kontroversen umgedeutet, die Verteilung von Macht (auch als begriffliche Kategorie) weitgehend ausgeblendet werden.

In all diesen Zusammenhängen ist unter anderem das "Feuer großer Gruppen" (so auch ein Buchtitel) von besonderem Interesse. Zum Beratungsprozess gehörige 'Großgruppenevents' mobilisieren Gefühle und designen scheinbare Mitbestimmung. Gefühle, gute wie schlechte, können - moderiert - mal rausgelassen werden. Hier wird auch (neben einigen schmerzlichen Entlassungen) für die verbliebenen "Neuen" der Spirit weitergegeben, motivierende Mythen und Geschichten können gefeiert werden. Oder feiert am besten doch gleich ein Fest! Initiiert doch eine eigene Unternehmens-/Organisations-Liturgie, wie Matthias zur Bonsen im "Feuer großer Gruppen" vorschlägt: Von der "Initiation der Neuen" im Jänner über das Sommerfest, das Herbstfasten, bis zum Winter-Familienfest gibt es genügend Vorschläge. Schließlich soll das dann auch zu einer "Liturgie für unseren Planeten" werden: "Planetare Großgruppen in vielen Ländern, vernetzt durch die Medien werden den Spirit der Menschheit auf der Erde erneuern."

KritikerInnen, die an dieser feierlichen Stimmung oder der entstandenen Dynamik etwas auszusetzen haben, verkommen dabei bequem zu "frustrierten Bewahrern" und "Betonköpfen". Abgesehen davon wurden Teile "antibürokratischer" Kritik vieler Menschen "fordistischen Arbeitsmodellen" gegenüber sowie Widerstand gegen Hierarchien oder monotone Arbeit ja vom 'Management neu' scheinbar aufgenommen, alles Kritikwürdige abgeschafft, denn Netzwerke, Kreativität und Flexibilität wurden ja schon längst verwirklicht.

Mitbestimmung neu

Nicht zuletzt nimmt die Macht der Mitbestimmung ab oder ändert sich grundlegend - gesetzlich verankerte Mitbestimmung, Mitbestimmung in Verteilungsfragen, etc. nehmen ab, arbeitsorganisatorische Mitbestimmung verändert sich. Also fragt sich auch die Gewerkschaft: "Sind Mitbestimmung oder Betriebsratskörperschaften Auslaufmodelle? Welche Handlungsoptionen haben Interessenvertretungen nun?" Tipps dazu gäbe es von GewerkschafterInnen oder PolitologInnen einige...

Solidarisierungsformen entwickeln, die Chance eventuell demokratisierender, informeller Strukturen in manchen Betrieben nutzen. Sich nicht auf die Kommunikationsstrategien des Managements verlassen, sondern unabhängige gewerkschaftliche Öffentlichkeit und Kommunikationsräume schaffen, und das innerhalb sowie außerhalb betrieblicher Strukturen. Konflikte nicht scheuen und sie schon gar nicht als Begleiterscheinung des "Veränderungsprozesses" Dynamik versus Bremsen verharmlosen lassen. Wieder widersprüchliche Interessen ins Spiel bringen, Interessengegensätze benennen und auch eine Vielzahl an Interessen anerkennen (denn nicht zuletzt auch die ArbeitnehmerInnen-Interessen werden heterogener). Autonomieforderungen der ArbeitnehmerInnen ernst nehmen.

Kommunikation neu

Der Gegenentwurf zu Arbeitsorganisation und Unternehmen alten Stils ist nicht nur das 'Unternehmen neu', sondern eben auch die traditionelle überbetriebliche und vor allem kollektive (Interessen-)Vertretung der ArbeitnehmerInnen. Kritik wurde von der Gegenseite aufgesogen, zum Teil für sich positiv besetzt. Sind wir davon überrascht? Wohl kaum. Denn wesentlicher Teil bisheriger Modernisierungsprozesse und -diskurse war doch die Gewerkschaft herself. Die OE des Taylorismus z.B. war in gewissem Maße der altbekannte Klassenkompromiss. Arbeitszeit, Arbeitsteilung wurden durchaus in legendären Experimenten sozialpartnerschaftlich erforscht und der "Volkswagen für alle" als Errungenschaft beider beteiligter Parteien gefeiert. Konkret wie symbolisch, Jahrzehnte lang. So leicht trennt man sich nicht von goldenen Zeitaltern, zaghaft erst näherte man sich nach und nach der Frage der Beurteilung von Veränderungen. Somit allerdings läuft man Gefahr, nicht nur wenig mitzuverändern, sondern auch an dem einen oder anderen veränderten Bedürfnis der zu Vertretenden vorbeizuschippern.

Subjektive Bedürfnisse wie subjektiver Widerstand waren nicht das Steckenpferd der VertreterInnen. Auch mit der geforderten 'Kommunikation von unten' als Behauptungsmittel gegen Management-Macht oder Manipulationsmethoden in Betrieben haben es die traditionellen Körperschaften nicht eben leicht. In der Schaffung von Kommunikationsräumen ist der ÖGB nicht so erfahren, das ist er nicht gewohnt, da doch bisher alles darauf ausgerichtet war, bestimmte Gremien mit bestimmten BetriebsrätInnen zu beschicken bzw. gesetzliche Bestimmungen die Mitbestimmung regeln zu lassen. Werden diese Rahmenbedingungen nun aufgeweicht, geschwächt, umgangen, und werden Mitbestimmung, Dienstrecht, Entgeltfragen "verbetrieblicht", wie die VertreterInnen es nennen, dann wird aus dem Zusammensitzen und Verhandeln wohl immer mehr eine politische Auseinandersetzung.

Der gute Wille dazu wird bekundet. Öffentlichkeitsarbeit, Aktionismus und Kampagnen (wie etwa laufend zu den Lohnnebenkosten oder FlexPower) wurden wiederentdeckt. Die oben angeführte Forderung Dwora Steins nach politischer und betrieblicher Einmischung und ihre Einschätzung, dass im Zusammenhang mit neuen Beschäftigungsformen, Arbeitsorganisation oder Unternehmenskulturen über Mitsprache und Öffentlichkeitsarbeit jenseits von Betriebsratskörperschaften gesprochen werden muss, stehen für diese internen Überlegungen.

Mobilisierung und politisches Agieren? - Spät, aber doch. Inhaltliche Positionierung und die eigene Organisationsentwicklung? - Noch offen bis umkämpft, Einmischung nötig.

Beschäftigung neu

Die deutlichsten 'Organisation neu'-Versuche gewerkschaftlicher oder politischer Vertretung gibt es bisher im Zusammenhang mit 'Beschäftigung neu.' "Atypische Verträge verlangen neue Organisationsformen", so ein anderer Diskussionsbeitrag bei eingangs erwähnter Tagung. In der Tat - die sozial- und arbeitsrechtlichen Implikationen der 'Freien Dienstverträge' sowie der Status der 'Neuen Selbstständigen' sind der Gewerkschaft die bisher schwierigste Hausaufgabe und Herausforderung.

Zum einen wächst eine heterogene Gruppe von Beschäftigten in unterschiedlichsten Branchen heran anstatt eines - und zusätzlich zu einem - homogenen Kollektiv(s) von Beschäftigten, Handlungsspielräume bei Verträgen und häufige Statusverschiebungen statt geregelter Kollektivverträge. Zum anderen sind die Betroffenen zu einem Gutteil eher jung und nicht sehr gewerkschaftlich orientiert, oder sie sind beschäftigt in Branchen und Bereichen ohne Vertretungs-Tradition. Wie also herankommen an diese Menschen? Wie für sie Beratung oder Vertretung versuchen ohne betriebliche oder ge-setzliche Rahmenbedingungen? Interesse für diese Betroffenen besteht, da alles daraufhin deutet, dass sie sich Vernetzung sehr wohl wünschen, Vertretung sehr wohl brauchen.

Solidarität neu

Freie Dienstverträge und Neue Selbstständigkeit haben mittlerweile dazu geführt, dass der "ArbeitnehmerInnenbegriff" von Gewerkschaftsseite offensiv diskutiert wird, dass "Selbstbestimmungsspielräume" und das "gleichberechtigte Recht auf Differenz aller Beschäftigten auf unterschiedliche Lebensplanung" in den Forderungskatalog (zumindest der GPA) aufgenommen wurde. Basisdemokratische Interessengruppen auch für Nicht-Mitglieder, wie z.B. die IG "@email", elektronische Plattformen, Beratungsservice und die Möglichkeit einer Verdienstentgangsversicherung für "Freie" und "Neue" (fast schon eine zeitgemäße Form der Streik-Kassa) - ein Teil der Hausaufgaben scheinen schon in Angriff genommen. Andere stehen noch aus.

Denn tendenziell steigend sind auch Teilzeitarbeit und andere Beschäftigungsformen, die das Maß aller Dinge - das Normalarbeitsverhältnis - aus dem Zentrum rücken. Allgemein überproportional vertreten in 'atypischen Erwerbsformen' sind Frauen. - Nicht die klassische Zielgruppe der Gewerkschaft, sie verstand sie wohl zu lange als "Dazuverdienerinnen". In bestimmten Branchen überproportional vertreten sind MigrantInnen. - Auch nicht die klassische Zielgruppe, nicht einmal das passive Wahlrecht für ausländische Beschäftigte wurde realisiert.

Für die Gewerkschaft als Agentin des inländischen Normal-, also Vollzeit-Arbeiters waren sie (Frauen, MigrantInnen,...) wie auch ein Gutteil ihrer Beschäftigungsverhältnisse nichts anderes als eine Randerscheinung. Erst jetzt, da Prekarität den Bereich des "exotischen", den Bereich der KünstlerInnen, TherapeutInnen und den Bereich des eher marginalisierten, den Bereich der Reinigungskräfte, PflegerInnen oder anderer DienstleisterInnen verlässt, erwacht der schlafende Riese langsam. Das atypische nimmt universellere Formen an. Also muss auch die Gewerkschaft mit.

Gewerkschaft neu?

Eine noch nicht veröffentlichte Studie von Ulrike Gschwandtner et.al. im Auftrag der AK Salzburg zu "Möglichkeiten und Grenzen betrieblicher Interessenvertretung in Unternehmen mit vorwiegend atypischen Beschäftigungsverhältnissen" betrifft sowohl die oben angesprochenen möglichen/nötigen Organisationsreformen wie auch die Frage: Was brauchen/wollen die Beschäftigten in Nicht-Normalarbeitsverhältnissen von den Interessenvertretungen? Denn Mitgliedszahlen und Organisierungsgrad sind gering, vor allem bei denen, die nicht Vollzeit arbeiten, bei jungen Leuten, und sie sind nach Branchen verschieden. Betriebsratskörperschaften, Gewerkschaft und AK müssen erst wieder als AkteurInnen und AdressatInnen für Wünsche und Bedürfnisse wahrgenommen werden. Und Wünsche und Bedürfnisse, derer gäbe es genügend. Vom Kampf um bessere Gehälter und gegen Arbeitsverdichtung über Vernetzung bis Information und rechtliche Beratung konnte in Befragungen einiges zusammen getragen werden, nicht zuletzt auch die Forderungen an eine Vertretung, nicht mehr nur zu reagieren, sondern in die Offensive zu gehen und unter anderem auch die Geringschätzung gegenüber manchen Branchen oder gegenüber Frauen auch innerhalb der eigenen Reihen aufzubrechen.

Die Studie kommt zu dem Schluss: Um partizipativen Demokratievorstellungen zu entsprechen, müssen "variable partizipative Organisations- und Aktionsformen gefunden werden". So wird durchaus auch intern "die herkömmliche Form der Gewerkschaftspolitik (vorrangige Orientierung auf Mitgliedschaft) in Frage" gestellt. "Die dominierende Form der reglementierten Mitbestimmung" wird da und dort "nicht mehr als geeignet angesehen".

Zu hoffen bleibt, der ÖGB ist für anstehende Reformen gut beraten. Und dass viele (aufgefordert oder unaufgefordert) lauthals mitberaten. Auch um uns vor ÖGB-Motivations-Slogans wie "Wirtschaft statt Herrschaft", "Gemeinschaft statt Egoismus" oder "Zukunft statt Vergangenheit" (?!) zu bewahren.

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