Paranoide Justiz

<p>Erst kürzlich – und schön langsam muss ich mich fragen, wie oft ich diese Kolumne mit einem Geständnis beginne – ertappte ich mich dabei, wie ich mein Handy aus der Tasche fischte und es mit einem kurzen Zögern auf den Schreibtisch legte. Ich war auf dem Weg zu einer Solidaritätsdemo gegen den §278. Es war das erste Mal, dass ich mein Handy bewusst zu Hause liegen ließ, manchmal passiert mir das zwar einfach (Vergesslichkeit in Ehren) und ein andermal ist gar

Erst kürzlich – und schön langsam muss ich mich fragen, wie oft ich diese Kolumne mit einem Geständnis beginne – ertappte ich mich dabei, wie ich mein Handy aus der Tasche fischte und es mit einem kurzen Zögern auf den Schreibtisch legte. Ich war auf dem Weg zu einer Solidaritätsdemo gegen den §278. Es war das erste Mal, dass ich mein Handy bewusst zu Hause liegen ließ, manchmal passiert mir das zwar einfach (Vergesslichkeit in Ehren) und ein andermal ist gar der Akku leer. Alles scheint mir für einen paranoiden Polizei- und Justizapparat gleichermaßen verdächtig, der ja nicht sonderlich darauf steht, wenn seine Bevölkerung sich nicht gläsern aufbereitet und jederzeit bereit ist, sich durchleuchten zu lassen. Früher war mir das herzlich egal, ich hab’s da eher immer wie mein Großvater gehalten, der 1938, als einer von drei, im oberösterreichischen Gaspoltshofen gegen den Anschluss gestimmt hat. Sollen sie ruhig wissen, woher der Wind weht, er hat es überlebt, und ich mach das eben genau so.

Aber was wollen diese Polizeiministerin und diese Justizministerin von mir? Wirklich? Die Paragrafen 278ff sind in Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 geschaffen worden, um Terrorist_innen und das organisierte Verbrechen zu bekämpfen, jedoch zeigt sich, dass die schwammige Formulierung der Paragrafen es ermöglicht, zivilgesellschaftliche Gruppierungen zu überwachen, anzuklagen, finanziell zu ruinieren und allgemein einzuschüchtern. Wer sich nämlich zu einer „unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen“ zusammenschließt und sich auf die eine „oder auf die andere Weise in dem Wissen beteiligt, dass er dadurch die Vereinigung ODER deren strafbare Handlungen fördert“, erscheint verdächtig. Unter anderem ist unter einer kriminellen Organisation eine Gruppe von Menschen zu verstehen, die „Einfluss auf Politik oder Wirtschaft“ nehmen will.

Moment, „Einfluss auf Politik und Wirtschaft“? Aber hallo, ist das der eigentliche Schauplatz der österreichischen Terrorismusbekämpfung? Die Produktion von „ja und amen“-Bürger_innen, ich geb’ auch wirklich meine Stimme an der Wahlurne ab, benutze sie nur leise bis zum nächsten Mal und lasse keinen Einkaufssamstag aus, um brav meine Pflicht als Konsument_in zu erfüllen, scheint ja in vollem Gang zu sein. Wie (selbst-)organisiert darf denn der Mensch noch sein? Ist ein Zusammenschluss zu einer Lebensmitteleinkaufsgemeinschaft, die den Supermarktketten die Gewinnspanne vermiest, schon genug Einfluss auf die Wirtschaft? Gab es da nicht auch mal Friedensaktivismus und Antiatomkraftbewegte, alle kriminell organisiert? Ja, ich war in Wackersdorf und Freund_innen waren in Hainburg und eine andere im Greenham Common Frauencamp, um gegen Nuklearwaffen zu demonstrieren, ich saß schon in besetzten Häusern und tu’ es immer noch, und ich interessiere mich für Freecycle und bookcrossing, wo ich Sachen, die ich nicht mehr haben will, verschenke und nicht auf einer Internetplattform verscherbel’, und ich berichte gern in Radiosendungen über diese, und ich war wieder auf der Uni, letzten Herbst. Und weil die Uni brennt und weil die Bildung brennt, werden diese Menschen nicht aufhören, lästig zu sein, auch wenn der Verdacht nahe liegt, dass auch diese kriminalisiert worden sind. „We didn’t start the fire, it was always burning, since the world’s been turning!“ (Billy Joel)

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