Quo Vadis Europa?

Quo Vadis Europa? Diese Frage stellt man sich beim allgegenwärtigen Aufschwung des Neonationalismus, Abspaltungs- und Unabhängigkeitsbestrebungen spätestens seit dem sehr realen Breixit.
Wo geht es hin? Eine entscheidende Frage könnte auch sein: Wo wollen wir überhaupt hin und was sind unsere Möglichkeiten?

Beyond the Obvious, Culture Action Europe

Catherine Cullen meint, „Beyond the Obvious“ sei nichts, was unsere Vorstellungskraft länger anstrengen müsste. Wir wären längst „Beyond the Obvious“. Es war nur zu offensichtlich, was nicht passieren könnte, was undenkbar war. „Breixit was obviously not going to happen. Trump, never! Trump was OBVIOUSLY never going to happen. LePen, obviously NOT! But we see that it is happening“. Doch genau diese Grenze haben wir überschritten. Und müssen erst verstehen lernen, was es bedeutet.

„Quo Vadis Europe?“ diskutierte man bei der Konferenz „Beyond the Obvious“. Diesen Titel trägt die Konferenz von Culture Action Europe (CAE). CAE ist ein Netzwerk für Non-Profit-Organisationen, das versucht, Kultur in das Zentrum der öffentlichen Debatte und der gesellschaftlichen Entscheidungsfindungsprozesse zu rücken, so Carla Schiavone, Kommunikationsmanagerin von CAE. Das Netzwerk hat nicht nur Kontakte zu über 80.000 Kulturschaffenden in ganz Europa, sie ist auch mit der Politik außerordentlich gut vernetzt. Bis zu seiner Berufung zum Vizebürgermeister der Stadt Rom, war Luca Bergamo mit der Geschäftsführung betraut. Bei den KonferenzbesucherInnen findet sich auch Corina Șuteu, als rumänische Kulturministerin tätig. Der EU-Kommissar für Kultur, Tibor Navracsics, ist ebenfalls zugegen, wobei die Gelegenheit ihn mit kritischen Fragen zu konfrontieren, leider ausgelassen wurde. Das stört die Optik ein wenig, wirkt den EntscheidungsträgerInnen gegenüber zu zahm, denn thematisch ist die Konferenz stark aufgestellt und ließe auf eine politisch sehr engagierte Organisation schließen. Mit ihrer Konferenz hoffen sie, gemeinsame Sinnstiftungsprozesse und Interpretationen zum gesellschaftlichen und politischen Wandel anzuregen. Kurz: Herauszufinden, wohin es geht, zu entscheiden, wohin wir wollen und zu beraten, wie wir die Entwicklungen entsprechend beeinflussen können. 

Der Titel der Konferenz ist eine offene Frage. Aus den gegenwärtigen Entwicklungen werden wohl noch viele Artikel die Zeitungen und Magazine zieren, ehe wir sie vollends verstanden haben. Viele Fragen beschäftigen uns schon seit Jahren oder sogar Jahrzehnten: Nationalismus, Fragmentierung, Gentrifizierung, Urbanisierung, Nachhaltigkeit. Die letzten Geschehnisse hätte aber wohl kaum jemand vorhergesehen. Yamam Al Zubaidi meint, der Westen erzittere vor den unvorhergesehenen Veränderungen, dabei hätte er sie selbst vor Jahrzehnten bereits angezettelt. Die Probleme kämen letzten Endes einfach nur nachhause. Mit Spanien und Schottland stehen schon die nächsten Dominosteine in Sachen nationalistische Unabhängigkeitsbestrebungen parat. Bel Olid erzählt uns, wie in den katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen die Frage der Kultur schließendlich entscheidend ist - für eine Abspaltung aber auch für den Verbleib. Wie fällt sie? So rückte der Breixit und Trump auf die Tagesordnung und damit der Aufstieg des Rechtspopulismus und Neonationalismus. Österreich ist mit der zweimal entschiedenen Präsidentschaftswahl noch einmal aus dem Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, die Silhouetten von LePen und Petry sind aber bereits am Horizont erkennbar. Mit den Wahlen in den Niederlanden und Frankreich vervollständigt sich das mögliche Erdbeben, das noch bevorstehen könnte. Während die nationalen Mehrheiten in der Regel ein Rennen zwischen rechts-autoritärem und links-liberalem Weltbild zeigen, liegt die Affinität zu Zweitem im Kulturbereich wohl bei gegen 100%. Warum geht die Kluft zur allgemeinen Gesellschaft so weit auseinander? Warum färben wir so schlecht ab? Warum ist der Kulturbereich fast wirkungslos gegen einen Breixit?


Es ist nicht eindeutig, was passiert, weshalb wir uns wohl auch so lange so schwer tun, gegenzusteuern. Gergely Pröhle erinnert uns an einen Sachverhalt, den wir erst einordnen werden müssen: Ist Ungarn europafeindlich? Nun ja, betreibt Orban eine Anti-EU-Politik? Ja. Sind die Zustimmungswerte der Bevölkerung Ungarns zu einem Verbleib in der EU mit die höchsten aller EU-Länder? Ja. Ähnlich ist es in Polen und vielen anderen Ländern. Dennoch wählen sie EU-feindliche Politk in so hohen Prozentsätzen in das Parlament, dass stark legitimierte Regierungen daraus werden, so problematisch ihre Politik auch ist. Was machen wir mit diesem Widerspruch? Am Ende ist es wahrscheinlich nicht so, dass die Bevölkerung eine europäische Union ablehnt, weil sie die Nachbarschaft nicht schätzt. Genausowenig offene Grenzen, eine gemeinsame Währung, eine Wirtschaftsunion oder das Friedensprojekt Europa. Wohl auch nicht, weil sie so egoistisch ist, dass sie nationale Interessen über jene einer europäischen oder gar globalen Gemeinschaft stellen würde. Sonst würden sie ja nicht so gerne bleiben, noch viel lieber als die politisch weitaus liberaleren Nachbarn in England, Deutschland oder den Niederlanden. 

Was ist also das Problem? Vielleicht waren wir der liberalistischen Hegemonie in all den Jahren gegenüber zu zahm, ließen sie auf Autopilot fahren, aus Angst, unser Widerstand würde nur den Neonationalismen zum Wiederaufstieg verhelfen. Wurden wir genau so zum Defibrillator dieser Politik? Wurde diese Gemeinschaft durch das Stillschweigen der Mitte bis hin zur gemäßigten Linken schlichtweg von ein paar Wenigen gekapert? Wurde das Ende der Geschichte ausgerufen, als sei ihre Darstellung der feste Rahmen, der den Spielraum festlegt? Ein Europa der Konzerne mit gesellschaftsliberalem Anstrich, die einzig mögliche Version eines vereinigten Europas? So meinte zumindest Franco Berardi auf unserem Symposium in Graz. Nur zu offensichtlich schien nämlich, was geschehen müsse, um das Undenkbare weiter zu verhindern: die Banken müsse man retten und wirtschaftlich schwachen Mitgliedsstaaten ein harsches Sparprogramm aufzwingen. TTIP müsse durchgewunken werden, ohne parlamentarische Kontrolle und öffentliche Debatte. Ganz gleich, was man über die diese Themen denkt: Was, wenn die Menschen das Gefühl haben, es gäbe nur eine einzige Option, zu verhindern, wie beispielsweise TTIP - und die Antwort heißt "Trump"? Welches Zeugnis legt das über unsere Demokratien ab? 

Was ist los mit der Wunderwaffe Kultur mit ihrer Partizipation, ihrem dichten Netz und engem Kontakt, der starken Sichtbarmachung und kritischen Diskursführung? Clymene Christoforou meint, nach dem Ergebnis hätte sie ein Schuldgefühl ereilt. Sie hätte an viel mehr Türen klopfen, viel mehr mit den Menschen diskutieren sollen. Sie hätte viel mehr Menschen überzeugen müssen. Wir werden uns auch in Österreich fragen müssen, ob wir zu wenig tun oder unsere Mittel falsch einsetzen. Die Prozentzahlen waren wohl auch beiden Präsidentschaftswahlen letzten Jahres ähnlich gelagert und klaffen beim Vergleich zum Voting der Gesamtbevölkerung ähnlich weit auseinander. Wenn man tatsächlich an jene Superkräfte glauben möchte, die im Kulturbereich von Mission Statement bis Tätigkeitsbericht überall aufblitzen, müsse man sich am Ende des Tages zumindest ernsthaft die Frage stellen, ob wir diesem Anspruch genüge tun. 


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"Beyond the Obvious" heißt die jährliche Konferenz von Culture Action Europe (CAE). Sie fand von 26. bis 28. Jänner 2017 in Budapest/Ungarn statt.

 

 

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