Schalom! Die Zeit heilt keine Wunden

<p><b>Bei der Rechnitzer Gedenkstätte Kreuzstadl wurde ein Open-Air-Museum eröffnet, die Suche nach den Ermordeten hält an.&nbsp;</b></p> <p>Drei Gedenktage gebe es im Burgenland jedes Jahr zu begehen, sagt Iby Pál/Paul Iby, emeritierter Bischof von Eisenstadt: einen für die Opfer des Roma-„Anhaltelagers“ der Nazis in Lackenbach, einen für die in Oberwart 1995 ermordeten Roma und einen für die Opfer des Südostwallbaus und des Kreuzstadlmassakers in

Bei der Rechnitzer Gedenkstätte Kreuzstadl wurde ein Open-Air-Museum eröffnet, die Suche nach den Ermordeten hält an. 

Drei Gedenktage gebe es im Burgenland jedes Jahr zu begehen, sagt Iby Pál/Paul Iby, emeritierter Bischof von Eisenstadt: einen für die Opfer des Roma-„Anhaltelagers“ der Nazis in Lackenbach, einen für die in Oberwart 1995 ermordeten Roma und einen für die Opfer des Südostwallbaus und des Kreuzstadlmassakers in Rechnitz.

Rechnitz ist in Kunst und Medien als Ort größter Naziverbrechen eingegangen. Margareta Heinrich hat einen Dokumentarfilm darüber gedreht, Elfriede Jelinek ein Theaterstück geschrieben, verschiedene Wissenschaftsdisziplinen von der Urgeschichte bis zur Politikwissenschaft haben sich daran abgearbeitet, und immer wieder flammt ein medialer Streit darüber auf, ob oder wie viel die Thyssen-Enkelin Margit von Batthány nun mit der Ermordung der rund 200 ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter_innen im März 1945 zu tun hatte.

Seit Ende März dieses Jahres ist Rechnitz aber auch um ein Gedenkmuseum reicher, das die Geschichte der Opfer des Massakers vom März 1945 und der Zwangsarbeiter_innen des Südostwallbaus mitten in der Landschaft platziert – einladend, offensiv und fordernd. Trotz der Videoüberwachung, auf die per Aufkleber aufmerksam gemacht wird, scheinen die Metallboxen mit den gläsernen Vitrinen und die großen, leicht gebogenen Texttafeln zerbrechlich zwischen der Ortseinfahrtsstraße und der Gedenkstätte Kreuzstadl zu stehen. Die Angst der Organisator_innen vor rechten Übergriffen ist gering, seit 16 Jahren schon stehe mitten am Feld, ohne jeglichen Schutz, ein Gedenkstein, der stellvertretend ist für die 180 fehlenden Grabsteine – und nicht ein einziges Mal wurde er auch nur angeschmiert. Die gleichen Erfahrungen hat auch die Gedenkinitiative in Krems gemacht, die am jüdischen Friedhof der Stadt gläserne Bücherregale aufgestellt hat, die zum Büchertausch einladen, Spezialgebiet: jüdische Geschichte und Theorie. Nur nicht defensiv werden, scheint die Devise zu sein – schließlich soll Geschichte ja nicht unangreifbar im stillen Kämmerlein verhandelt werden, sondern in solcher Form auftreten, dass sich alle damit konfrontieren können.

Kein stellvertretendes Wir-sind-wieder-gut

„Wir müssen trauern, auch mit Mahnmälern, und an den Denkmälern, denn es hilft uns, weiter zu leben und uns zu erinnern. Aber wir dürfen nicht stolz sein auf diese Andacht und unsere Trauer. An den Toten kann nichts wieder gut gemacht werden, und niemand kann an ihrer statt vergeben.“ Dieser Text von Ruth Klüger steht als Header auf einer der Ausstellungstafeln. Und ähnlich, wenn auch weiter metaphernreicher, formulierte es einer der Redner bei der diesjährigen Gedenkfeier, der Pfarrer Dantine, wenn er vom Irrglauben der wundenheilenden Zeit spricht: Gar nichts heilt es, auf das Vergessen zu warten.

„Wir suchen hier nicht weniger als acht Tonnen menschlicher Überreste“, stellt Gábor Vadász in seiner Hauptrede zur diesjährigen Gedenkfeier am Rechnitzer Kreuzstadl fest, und das sitzt. Gábor Vadász ist der Sohn von Geza Vadász, der unter der Nazi-Okkupation von Ungarn im Lager Köszeg Zwangsarbeit leisten musste und in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 in Rechnitz ermordet wurde. Mit ihm wurden rund 200 weitere ungarische Jüd_innen Opfer des sogenannten „Kreuzstadlmassakers“, das am Rande eines Fests der Gräfin Batthyány im Schloss Rechnitz in jener Nacht von (SS-)Festgästen begangen wurde. Das Schloss, das vom Vater Baron Thyssen-Bornemisza auf die Tochter Margit v. Batthány übergegangen war, wurde abgebrannt, als die Besitzer_innen es kurze Zeit später aus wohlwissendem Unbehagen vor der nahenden Roten Armee fluchtartig verließen – von ihnen selbst oder von den Alliierten, auch das ist Teil der „umstrittenen“ Dorf- und Adelsgeschichte.

Die Ruinen des Kreuzstadls stehen noch. Auf der Rückseite ist in die Schwelle eines Torbogens das Wort „Schalom“ eingraviert. Schalom ist ein Wort von zentraler Bedeutung im Judentum: Unversehrtheit, Frieden heißt es. Hier, am Ort eines der größten Nazi-Verbrechen im Burgenland, entbehrt es nicht der Schwere. Programmatische Utopie, ließe sich optimistisch interpretieren, angesichts der ernst gemeinten und langfristigen Gedenkarbeit, die in Rechnitz gemacht wird.

Seit 20 Jahren besteht die „Rechnitzer Flüchtlings- und Gedenkinitiative und Stiftung“ (RE.F.U.G.I.U.S), die anfänglich zu dem Zweck gegründet wurde, antirassistische und geschichtspolitische Arbeit im Burgenländischen Grenzgebiet zu machen und dazwischen einen Bogen zu schlagen. Für ein geplantes Haus für Flüchtlinge und übergreifende politische Kulturarbeit fanden sich nicht genügend Unterstützer_innen. Nach mehreren Anläufen wurden die Vereinsziele modifiziert, und die Arbeit konzentrierte sich nunmehr auf die Geschichtsbaustelle beim Kreuzstadl. Anfang der 1990er Jahre wurden mit privaten Geldern die verbliebenen Mauern des Kreuzstadls gekauft und später die umliegenden Felder dazu, um eine Suche nach den menschlichen Überresten der Ermordeten und eine Gestaltung des Gedenkens, einen Beitrag geschichtspolitischer Kultur im – sonst so gern für seine hübschen Landschaften gelobten – Burgenland möglich zu machen. Vor genau einem Jahr fand der Spatenstich für das Freiluftmuseum statt, das nun als Ort eröffnet wurde, der in respektvollem Abstand zum Kreuzstadl vom Massaker und vom Umgang mit seiner Geschichte erzählt.

„Danke, dass Sie dafür gesorgt haben, dass dieser Gedenkort hier entstehen konnte“, sagt der örtliche Bürgermeister, der Einladung zur eröffnenden Rede folgend, in Richtung des Vereinsvorstandes. Danke für Ihre Renitenz gegen die Sturheit der Gemeinde, möchte mensch hinzufügen. Aber der Tag ist so feierlich, Zynismus nicht angebracht.

Ein Archiv des Gedenkens

Die sanft geschwungene, in den Boden eingelassene Form des Museums soll an die Gräben des militärischen Befestigungssystems erinnern, das die Nazis in Zwangsarbeit zur versuchten Abwehr der Roten Armee in den letzten Wochen des Krieges und des Nationalsozialismus bauen ließen. In Vitrinen sind wenige Artefakte ausgestellt, die an die Ermordeten erinnern und an die Verbrechen, die an ihnen begangen wurden: Kleidung, Essgeschirr, der bei Ausgrabungen gefundene Teil eines Stahlhelms. Touchscreens lassen die Geschichte des Ortes nachvollziehen, Zeitzeug_innen kommen zu Wort. Auf großen, transparenten Tafeln, durch die die untergehende Sonne scheint, ist eine Art Archiv abgebildet: erklärende Texte zur Geschichte, Materialien der Prozesse gegen die Mörder, Bilder und Biografien der Ermordeten. Eine Tafel ist leer, sie wartet auf das Auffinden der Massengräber.

Die Suche nach den Massengräbern, in denen die Leichen der im März 1945 Erschossenen ruhen müssen, gestaltet sich schwieriger, als es sich Wolf Haas und Ulrich Seidl für eine makabere Co-Produktion ausdenken könnten. Schon in den Vierzigerjahren, kurz nach der Befreiung, kam es zu drei Exhumierungen. Eine davon wurde von der Roten Armee vorgenommen, um mögliche Opfer aus ihren Reihen zu finden, zwei weitere fanden im Zuge der Ermittlungen gegen die Mörder statt. Von keiner der Graböffnungen scheint es aber Unterlagen zu geben, die den Standort bestimmen ließen. In den späten 1960er Jahren übernahm der „Volksbund Deutscher Kriegsgräberfürsorge“ in Absprache mit dem Bundesinnenministerium und der Burgenländischen Landesregierung Exhumierungen und Umbettungen sowohl von Wehrmachtsangehörigen als auch von Opfern der NS-Verfolgung. Auf Grundlage von Suchgrabungen und Aussagen von Rechnitzer_innen konnte das Massengrab jener 18 Zwangsarbeiter_innen gefunden werden, die gezwungen worden waren, für die ersten etwa 180 Ermordeten Gräber auszuheben. Letztere aber konnten auch durch jahrzehntelange Bemühungen der Israelitischen Kultusgemeinde, das Einbinden des Instituts für Früh- und Urgeschichte der Universität Wien mit entsprechenden Suchtechniken und die intensiven Bemühungen von Angehörigen der Überlebenden bis heute nicht gefunden werden. Seine Mutter sei letztes Jahr hundertjährig verstorben, sagt Gábor Vadász. Und sie habe, solange sie konnte, nichts anderes versucht, als das Grab ihres Mannes finden zu lassen – gegen das Schweigen des Ortes, gegen bürokratische Unzulänglichkeiten, mit Unterstützung von immer mehr Seiten.

Gras wächst in die Gegenrichtung

„Unter dem Gras, das über die Sachen wächst, liegen noch immer die Toten.“ Dieses Zitat des (lokalen, mittlerweile globalen) Schriftstellers Clemens Berger beschreibt auf simpelste Weise die dringende, weil materielle Notwendigkeit des Open-Air-Museums.

Das mit dem Gras-drüber-wachsen-Lassen funktioniere aber sowieso nicht, stellt der Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg in seiner abschließenden Rede fest, und der Wink in Richtung Bundes-, Landes- und Gemeinde-Vorredner lässt sich kaum überhören. Je mehr nämlich versucht werde, zu verschweigen, zu vergessen oder vielleicht gar zu leugnen, desto weniger werde es Ruhe geben: „Weil Rechnitz die Verscharrten nicht freigeben wollte, ist genau das Gegenteil passiert.“ Eisenberg führt es primär auf Gottes Willen zurück, aber die zusätzliche Interpretation ist wohl auch zulässig, dass es Kraft der lokalen Gedenkinitiative und ihrer Unterstützer_innen nicht nur dazu gekommen ist, dass in Rechnitz ein solch gut durchdachter Punkt auf der Landkarte des gesellschaftlichen Gedächtnisses gesetzt wurde, sondern darüber hinaus auch dafür gesorgt wird, dass die Grabungen zur Auffindung der Ermordeten nicht in die Mühlen bürokratischer Vergesslichkeit geraten. Was im Übrigen auch von einem der Festredner, Heinz Fischer, zugesagt wurde.

Im Dokumentarfilm Totschweigen, den Margareta Heinrich und Eduard Erne in den 1990er Jahren über das Suchen und das Schweigen in Rechnitz gedreht haben, gibt es eine sehr schöne Szene: Ein Geschäftsbesitzer oder Filialleiter eines lokalen Kleidergeschäfts wird von den Filmemacher_innen um eine Aussage zum verlorenen Massengrab gebeten. „Habt’s ihr nix Besseres zum Tuan?“, fragt der daraufhin ungehalten, und von hinter der Kamera ertönt es phlegmatisch: „Na, im Moment ned.“ Auch diese Gruppe an Optimist_innen, die nun nach langen Kämpfen einen aus der Defensive kommenden, die Öffentlichkeit zur Konfrontation mit ihrer Geschichte einladenden Ort geschaffen hat, hat scheinbar nichts Besseres zu tun. Gut so.

Lisa Bolyos findet die Kombination aus Geschichtspolitik & Land hervorragend und arbeitet neuerdings als Redakteurin beim Augustin.

Anmerkung

Dieser Text ist eine Langfassung von „Gras über Sachen“, erschienen im Augustin Nr. 319, April 2012

Links

www.refugius.at
www.kreuzstadl.net

Literatur

Margareta Heinrich, Eduard Erne, 2011 (1994): Totschweigen. Taschenkino #1, Filmarchiv Austria, Wien.

Elfriede Jelinek (2009): Rechnitz (Der Würgeengel). Hamburg.

Walter Manoschek (Hg.) (2009): Der Fall Rechnitz. Das Massaker an Juden im März 1945. Wien.

 

 

 

 

 

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