Was ist ein/e MigrantIn, oder: Lässt sich aus dem Feminismus noch etwas lernen?

Es gibt gute Gründe, sich mit Migrationspolitik auseinanderzusetzen. Diese reichen vom menschenrechtlich fragwürdigen bis mörderischen Umgang mit AsylwerberInnen bis hin zur Unfähigkeit auf supranationaler Ebene, mit den Migrationsbewegungen umzugehen, mit denen die westlichen Industriestaaten und alle anderen auch konfrontiert sind. MigrantInnendiskurse haben daher Konjunktur.

Es gibt gute Gründe, sich mit Migrationspolitik auseinanderzusetzen. Diese reichen vom menschenrechtlich fragwürdigen bis mörderischen Umgang mit AsylwerberInnen bis hin zur Unfähigkeit auf supranationaler Ebene, mit den Migrationsbewegungen umzugehen, mit denen die westlichen Industriestaaten und alle anderen auch konfrontiert sind.

MigrantInnendiskurse haben daher Konjunktur. Sie verdrängen andere widerständige Diskurse. War etwa das Überkleben von Palmers-Plakaten in den 1980er-Jahren Ehrensache (auch einiger linker Männer), so drängt sich derzeit häufig der Eindruck auf, dass die Geschlechterfrage wieder zum Nebenwiderspruch geworden ist. Wie Altlinke wissen, implizierte der Begriff Nebenwiderspruch dazumal, dass der Widerspruch zwischen den Geschlechtern dem Widerspruch zwischen den Klassen unterzuordnen ist. Heutzutage allerdings ist der Klassenbegriff noch viel mehr out als Überlegungen zu Gender; schlagend wird im kritischen Zusammenhang der dritte Begriff der bekannten Trias, "race".

Konjunkturen widerständiger Diskurse sind notwendig. Denn nur durch unterschiedliche Gewichtungen ist es möglich, dem hegemonialen Diskurs an den Punkten entgegenzutreten, an denen dies zu einem konkreten Zeitpunkt am wichtigsten ist. Und zweifellos gehören die Fragen, wer zum Europa der EU gehört und wer nicht und welche Konsequenzen sich aus dieser Zuordnung ergeben, zu den dringlichsten politischen Fragen für Menschen, die sich für die Zukunft dieses Europas interessieren.

Konjunkturen widerständiger Diskurse sind aber auch problematisch, setzen sich in ihnen doch die Inhalte und Logiken hegemonialer Diskurse durch. Diese gegenseitige Durchdringung von Hegemonie und Kritik ist unvermeidlich - wünschenswert wäre indes, dass die Diskurse des Widerstands aneinander anschließen und sich aneinander reiben, statt unvermittelt neben- oder nacheinander stehen zu bleiben. In diesem Sinne wäre die Frage zu stellen, was aus den feministischen Debatten zwischen aktivistischer Frauenbewegung und akademischem Diskurs für die Migrationsdebatte fruchtbar gemacht werden kann.

Die wichtigste Gemeinsamkeit der feministischen und der Migrationsdebatte besteht wohl in dem problematischen Verhältnis zwischen politischer Praxis und Theorie: Was eigentlich ist die politische Bedeutung des Konzepts Frau oder des Konzepts MigrantIn? Welche Gemeinsamkeiten lassen sich daraus ableiten, ohne essenzialistisch oder gar biologisch-essenzialistisch zu werden?

Für die feministische Theorie hat Iris Marion Young mit dem Rückgriff auf Sartres Konzept der "seriellen Kollektivität" darauf eine pragmatische Antwort gefunden: Aufgrund historisch kontingenter Situationen finden sich Menschen zu bestimmten Zeitpunkten und in Bezug auf bestimmte Themen als Gruppe wieder - etwa weil sie alle auf einen Bus warten oder alle Radio hören. Daraus ergibt sich ein gewisses Maß an gemeinsamen Erfahrungen und/oder gemeinsamen Interessen.

Dies lässt sich wohl auf die Migrationsbewegung übertragen, denn zumindest in der gegenwärtigen politischen Situation scheinen gemeinsame Interessen von MigrantInnen evident. Dies allein löst indes nicht die Frage der Gemeinsamkeit und der daraus abgeleiteten Möglichkeit zur Repräsentation: Wer darf für wen bzw. für welche Anliegen mit welchem Recht sprechen? Wenn AktivistInnen und/oder ExpertInnen für Migrationsfragen selbst einen migrantischen Hintergrund haben müssen, landet mensch schnell beim Spice-Girl-Konzept politischer Parteien. Denn weder steht Ioan Holender für einen antirassistischen Kunstbegriff noch Benita Ferrero-Waldner für feministische Politik. Essenzialisierte Identitäten (die in beiden Fällen biologisch abgeleitet werden) entsprechen nicht einem politischen Programm. Seit längerer Zeit gibt es daher die Forderung, dass FeministInnen und nicht biologische Frauen in Gremien sitzen sollten. Paralleles wäre zur Vertretung migrantischer Anliegen zu überlegen.

Andererseits hat Repräsentation nicht nur einen inhaltlichen, sondern auch einen symbolischen Aspekt. Und für diesen ist es nicht gleichgültig, wer in einem Gremium sitzt - ausschließlich weiße Männer mittleren Alters oder vielleicht zahlreiche Frauen, manche von ihnen mit dunklerer Hautfarbe... Im Sinne dieses zweiten Arguments ist Ferrero-Waldner das PräsidentInnenamt zu wünschen.

Dass wir es ihr trotzdem nicht wünschen, liegt an der Überlagerung verschiedener Identitäten oder Zuschreibungen, die diese entscheidend verändern. Ferrero-Waldner ist nicht nur Frau, sie ist auch Konservative und Regierungspartnerin der FPÖ. Frauen sind niemals nur Frauen, ebenso wenig wie MigrantInnen nur MigrantInnen sind. Die Merkmale Race, Gender, Class (und auch andere) überlagern einander, und diese Überlagerungen haben konkrete individuelle Auswirkungen - die sich in allgemeiner Form kurz zusammenfassen lassen: Die Merkmale Nicht-Mann, Nicht-InländerIn und Nicht-Ober- oder Mittelschicht wirken sich auf individuelle Verwirklichungschancen ungünstig aus. Welches der Merkmale in politischen Kämpfen in den Vordergrund gestellt wird, ist keine Frage objektiver Wertigkeit, sondern des von Gayatri Spivak proklamierten "strategischen Essenzialismus". Die Behauptungen "Wir Frauen wollen ..." oder "Wir MigrantInnen wollen ..." mögen in konkreten Situationen durchaus sinnvoll sein, auch wenn sie sich nicht verallgemeinern lassen. Gerät allerdings die rein strategische Bedeutung solcher Wir-Anrufungen in Vergessenheit, dann entwickeln sich hochproblematische Identitätszuschreibungen.

Im politischen Kampf - insbesondere wenn er die Brutalität erreicht hat, die derzeit in der MigrantInnenpolitik Usus ist - geraten derartige theoretische Spitzfindigkeiten leicht in Vergessenheit. Dass wir dies für fatal halten, liegt nicht nur am Bestreben, unsere eigene Stellung als (auch) Theoretikerinnen zu verteidigen. Sondern an der Überzeugung, dass politische Praxis ohne eine (wenn auch gebrochene) Verbindung zu ihrer theoretischen Fundierung im besten Fall ins Leere und im schlechtesten Fall in die Irre geht. Beispiele dafür gibt es viele - vom Stalinismus bis zu patriarchalischen Formen migrantischer Identitätspolitik.

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