Lieber Oliver! Reaktion auf einen Generalangriff

Oliver Machart, der Philosoph, holt in den Kulturrissen 0101 zu einer heftigen Fundamentalkritik an den Grünen aus. Er bezichtigt die Grünen der Standpunktlosigkeit, vor allem in zwei "zentralen politischen Fragen" des vergangenen Jahres und stellt fest, die Grünen hätten sich "in den nationalen Schulterschluss eingereiht".

Eine Replik auf Oliver Marchart in Kulturrisse 0101.

Oliver Machart, der Philosoph, holt in den Kulturrissen 0101 zu einer heftigen Fundamentalkritik an den Grünen aus. Er bezichtigt die Grünen der Standpunktlosigkeit, vor allem in zwei "zentralen politischen Fragen" des vergangenen Jahres und stellt fest, die Grünen hätten sich "in den nationalen Schulterschluss eingereiht". Erwartet hätte er wohl die Durchbrechung der Regierungshegemonie über die Begriffe Nulldefizit und Boykott, aber wir Grüne hätten mitgespielt, indem wir auf die Argumente der Regierung eingegangen seien und dadurch wohl zur Etablierung der schwarz-blauen Hegemonie beigetragen hätten. Als Ursachen sieht Oliver Machart grundlose Ängstlichkeit, da die Grünen eh schon in Opposition sind und daher auf nichts Rücksicht nehmen müssen und eine "gleichsam Kholsche Parteizüchtigung" durch Alexander van der Bellen: Die Grünen am Gängelband des großen Vorsitzenden, der alle Macht in sich vereinigt als Parteichef, Klubchef und Spitzenkandidat.

Ganz schön starker Tobak!

Also gehen wir es schön der Reihe nach an: Uns alle hat der Boykott der österreichischen Bundesregierung durch die Gremien der EU zuerst einmal begeistert. Was konnten wir uns Schöneres wünschen, als dass die Mitglieder dieser Regierung erleben, wie sehr sie von den PartnerInnen in den EU-Staaten nicht akzeptiert werden. Allerdings hat sich die Wirkung dieses Boykotts im Laufe der Wochen geändert und schön langsam in ihr Gegenteil gekehrt. Ich halte es für wichtig, den Verlauf dieser Geschichte genauer zu betrachten. Schüssel ist es gelungen zu vermitteln, dass wir ÖsterreicherInnen boykottiert werden, und eben nicht nur die Mitglieder der Bundesregierung. Der nationale Schulterschluss war die Folge. Und das war die totale kulturelle Hegemonie der Regierung! Wer immer noch für den Boykott war, wurde zum Vaterlandsverräter. Aus meiner Sicht wurde es eng, als seitens der EU-14 beschlossen wurde, Bewerbungen aus Österreich für EU-Jobs nicht mehr zu bearbeiten. Der Österreich-Nationalismus (Schulterschluss) wurde durch den antiösterreichischen "EU-Nationalismus" beantwortet. Diese kleine spitze Lanze war nicht gegen die Bundesregierung gerichtet, sondern gegen die Bevölkerung, egal, gegen wen. Diese Gegenüberstellung von EU-Patriotismus und Österreich-Patriotismus kann man nicht gerade als Höhepunkt der demokratischen Entwicklung im Euroland interpretieren. Aber um den wesentliche Sachverhalt noch einmal festzuhalten: Der Triumph der kulturellen Hegemonie dieser Bundesregierung war eine Folge des Boykotts, den Schüssel sehr geschickt für sich zu nutzen und zu wenden vermochte.

Zugegeben, die Situation war schwierig. Wer sich damit auseinander gesetzt hat, musste einsehen, dass der Boykott, so sinnvoll er in den ersten Wochen war, nun dazu geführt hat, die Hegemonie der Bundesregierung auszubauen.

Frage an den gescheiten Philosophen: Ist es wirklich politisch sinnvoll, eine Strategie weiterzuverfolgen, wenn man erkannt hat, dass ihre Auswirkungen kontraproduktiv sind? Und mit dem nationalen Schulterschluss die Hegemonie nebst kleinkariertem Patriotismus verstärkt wird?

Marchart verzichtet auf Differenzierung. Die Mühen der Ebene bleiben in seinem Beitrag ausgeblendet. Vielleicht mag das damit zusammenhängen, dass er wie viele andere - auch etliche Grüne - davon ausgegangen ist, dass diese Regierung binnen weniger Wochen gestürzt und Neuwahlen erzwungen werden könnten. Die Enttäuschung sitzt tief, die Donnerstagsdemos erinnern daran, vermögen aber nichts mehr zu bewirken. Und manchmal hatte ich beim Lesen von Marcharts Beitrag den Eindruck, dass er uns sagen will, schuld am Misslingen des Regierungssturzes seien die Grünen. Das würde zumindest den aggressiven Ton rechtfertigen.

Kommen wir zum komplizierteren Punkt von Marcharts Kritik, dem Nulldefizit. Die Bundesregierung hat erreicht, was sie wollte. Ja, es gibt ein Einverständnis über die Notwendigkeit von Sparmaßnahmen. Die Opposition sieht das zwar etwas anders, die SPÖ plädiert für langsamere Vorgangsweise, die Grünen kritisieren die Methode, aber das Grundsätzliche am Sparen in Zeiten der Hochkonjunktur wird nicht infrage gestellt. Um das Thema herum werden Bilder erzeugt, die keinen Zweifel an der grundsätzlichen Notwendigkeit, das Budget zu sanieren, aufkommen lassen. Und wieder ist die schwarz-blaue Hegemonie bestätigt.

Was hätten wir konkret tun sollen? Außer Sachpolitik zu machen? Demos? Kundgebungen? Aber was folgt danach? Hätten wir uns kollektiv selbst verbrennen sollen, um ein Zeichen zu setzen, dass es uns ernst ist?

Ich glaube, hier unterscheiden sich die Wege zwischen dem Kritiker und dem Politiker. Der Philosoph kann es sich leisten, sich zu verweigern, die Budgetsanierung beiseite zu schieben und grundsätzlich gegen alles zu sein. Dem Politiker bleibt es nicht erspart, auf der sachpolitischen Ebene zu agieren.

Parlamentarischer Widerstand führt aufgrund der Mehrheitsverhältnisse nirgends hin, aber auf der Sachebene ist es möglich und auch nicht wirkungslos, Interessen von Gruppen (Frauen, Arbeitslose, Behinderte) zu vertreten und zu verteidigen, auf Unrecht hinzuweisen und Alternativen vorzuschlagen oder Investitionen in Zukunftsprojekte, Bildung, Wissenschaft und Kultur etc. einzufordern. Allerdings vor dem Hintergrund eines Sparbudgets, also wenn man so will, wird die Politik der derzeitigen Bundesregierung damit aufgewertet.

Aber sollen die Grünen wirklich (womöglich) vier Jahre lang tatenlos zusehen, die grundsätzliche Haltung der Verweigerung an den Tag legen und sagen: Über ein Budget dieser Regierung reden wir nicht, weil wir diese Regierung ablehnen? Vielleicht wäre es gescheiter gewesen, bequemer jedenfalls.

Aber da gibt es noch eine Überlegung: Es ist nicht nur die Natur der FPÖ, die es zu bekämpfen gilt. In Wahrheit geht das Problem in eine andere Richtung, nämlich dass diese Natur der FPÖ im allgemeinen in der Wählergunst ein hohes Ansehen genießt. Um hier Veränderungen zu erreichen, ist es vielleicht nicht immer richtig oder klug, die moralische Keule zu schwingen, sondern die fachliche Unfähigkeit und Ahnungslosigkeit, soziale Unausgewogenheit, wirtschaftsfeindliche Xenophobie etc. dieser Regierung anzuprangern. Damit versucht man auf sachpolitischer Ebene das Ärgste zu verhindern, und hofft gleichzeitig auf die Lernfähigkeit von WählerInnen. Und ganz falsch kann dieser Weg ja nicht gewesen sein, auch wenn ich jetzt die Ergebnisse der Wiener Wahl nicht überinterpretieren möchte. Wer sich gegen den Kurs der Bundesregierung gewendet hat, hat dazugewonnen. Die Antisemitismuskeule hat diesmal ihre Wirkung nicht mehr erreicht und 80% von Haider ferngehalten.

Kommen wir abschließend zur Frage der innerparteilichen Demokratie der Grünen. Si tacuisses, lieber Oliver! Nicht jeder Untergriff wird durch sein Aggressionspotential richtiger. Ausgerechnet Alexander van der Bellen als einen Mann zu charakterisieren, der als absolutistischer Herrscher über alle Parteigremien drüberfährt, ist lächerlich und vor allem falsch. Es mag schon was dran sein, dass wir oft unsere Positionen mutiger vertreten könnten, aber dass Positionen bei uns nicht von vielen gemeinsam erarbeitet und diskutiert werden, sondern über die Köpfe der Parteibasis hinweg öffentlich gemacht werden, ist schlicht und einfach falsch. Würdest Du uns den Vorwurf machen, dass die Partei gelegentlich zu langsam und mit zu wenig Schärfe reagiert, dann könnte ich das verstehen, denn solche Prozesse haben es an sich, Zeit in Anspruch zu nehmen und gelegentlich auch an Schärfe einzubüßen. Aber so ist die innerparteiliche Demokratie: sie schließt Kompromisse nicht aus.

Diese Regierung hat viele Gegner, einer davon ist wohl die freie Kunst-, Medien- und Kulturszene. Bei allen Enttäuschungen, die in erster Linie mit der Verteilung der Macht in Österreich zusammenhängen und nicht nur mit der Unfähigkeit der Grünen, sollten wir den eigentlichen Gegner nicht vergessen und einander nur soweit fertigmachen, als es unbedingt notwendig ist und der Wahrheitsfindung dient.

Friedrun Huemer ist Mitglied des Bundesvorstands der Grünen und war viele Jahre als Wr. Gemeinderätin, später als nichtamtsführende Stadträtin für Kulturpolitik bei den Wiener Grünen zuständig.

Ähnliche Artikel

Die Texte des Ressorts Oppositionen sind – Titel gebend unter Linkskurven zusammengefasst – Einschätzungen zu Möglichkeiten und Bedingungen für eine neue Linke in Österreich, denken über die Beziehungen einer neuen linken Bewegung zum Parlamentarismus nach, suchen nach einem „Wir“ und nach Schlupflöchern, wie links ohne Verlust des Bewegungscharakters den Staat mit tragen kann.
Wer glaubt, die von der rechtsradikalen Wende in Europa von der Macht geschwemmten sozialdemokratischen Parteien würden jetzt die Opposition nutzen, um wieder zu einer linken Position zu finden, wird derzeit eines besseren belehrt.
Als Option bleibt, nicht den Patriotismus, sondern den Internationalismus emotional zu besetzen. Das ist keineswegs so absurd, wie es vielleicht auf den ersten Blick erscheint.