gtawwpwp. Organisations- und Lernprozesse von gettoattack zur WienerWahlPartie zur WahlPartie

Vier Jahre Schwarz-Blau haben nicht nur Spuren in der offiziellen Politik des Landes hinterlassen. Auch die außerparlamentarische Opposition verschiedenster Gruppen und Zusammenhänge hat sich verändert: Von der Euphorie des "Widerstands" zu weitaus weniger spektakulären Aktions- und Kooperationsformen. Anhand der Fortsetzungsgeschichte von gettoattack lassen sich dabei sowohl die Veränderungen in der "objektiven" Lage als auch "subjektive" Lernprozesse von AktivistInnen beobachten und vielleicht sogar Lehren ziehen.

"Zur Festigung der revolutionären Einheitsfront müssen wir die Methode der Kritik und Selbstkritik anwenden."

Mao Tse-Tung


Vier Jahre Schwarz-Blau haben nicht nur Spuren in der offiziellen Politik des Landes hinterlassen. Auch die außerparlamentarische Opposition verschiedenster Gruppen und Zusammenhänge hat sich verändert: Von der Euphorie des "Widerstands" zu weitaus weniger spektakulären Aktions- und Kooperationsformen. Anhand der Fortsetzungsgeschichte von gettoattack lassen sich dabei sowohl die Veränderungen in der "objektiven" Lage als auch "subjektive" Lernprozesse von AktivistInnen beobachten und vielleicht sogar Lehren ziehen, ist doch die Dialektik von Kritik und Selbstkritik, in den Worten des Großen Vorsitzenden, "eine vorzügliche Methode, die uns alle anspornt, an der Wahrheit festzuhalten und die Fehler zu berichtigen". Wir wollen deshalb im folgenden kurz die verschiedenartigen Koppelungsversuche zwischen Kunst-/Kulturfeld und politischer Bewegungsarbeit anhand der Geschichte von gettoattack (1999/2000) zur Wiener WahlPartie (2000/2001) und schließlich zur Wahl Partie (2002) nachzeichnen. Und zwar entlang der Kriterien: Programm, Aktionsformen, Organisationsstrukturen und beteiligte AkteurInnen.

gta

gettoattack (gta) wurde in unmittelbarer Reaktion auf die Nationalratswahlen vom 3. Oktober 1999 gegründet, in denen die FPÖ bekanntlich 27 Prozent der Stimmen einfahren konnte. Am 11. November 1999, dem Vorabend der Großdemonstration am Stephansplatz, organisierte gta einen Aktionstag (in Depot, Exnergasse, Gürtellokalen, etc.) und einen "Ball der linken Jagdgesellschaft" im Volksgarten. Danach fanden alle möglichen öffentlichen Aktionen gegen Schwarz-Blau statt, die sich oft aus einer Spaß- und Kommunikationsguerilla-Tradition speisten (in Mozartkostümen verkleidete Touri-Keiler vertrieben antirassistische Broschüren in der Innenstadt, vor den Fenstern der Zur Sache-Diskussion im Haas-Haus sollten Protest-Ballons aufsteigen, etc.). Nachdem alle schon mit der Neuauflage der großen Koalition gerechnet hatten, entschlummerte der Aktivismus und damit auch gta für einige Wochen. Doch dann bahnte sich die schwarz-blaue Koalition an, und das offene gta-Plenum vom 1. Februar 2000 mündete in eine spontane Demonstration (die erste von dann fast täglich stattfindenden Demonstrationen) vor dem Parlament, wo ÖVP und FPÖ gerade ihre Zusammenarbeit beschlossen. Danach fanden alle möglichen Aktionen statt, eine geplante Hubschrauber-Aktion über dem Ulrichsberg erregte mediales Aufsehen, gta-Spots erschienen in den Wiener Kinos. Ab Dezember 2000 fanden unter dem Label gta zwar noch Aktionen statt (wie etwa ein Workshoptag an der Akademie der bildenden Künste), allerdings als Teil der Wiener Wahl Partie. Als Organisation, die Plena abhält oder Aktionen plant, existiert gta von da an nicht mehr.

Diese Aussage ist allerdings gewagt, denn im strengen Sinn hat gta nie "existiert". Es wurde von Anfang als offenes Label oder multipler Name propagiert. D.h., es war als Plattform angelegt, die von jeder und jedem mitgetragen werden konnte, der/die sich den Forderungen von gta anschließen wollte. Das Logo fand sich zum Runterladen auf der Homepage und alle waren aufgerufen, Aktionen unter dem Label durchzuführen. Dieser Labelgedanke bot nicht nur den Schutz der Anonymität, er ermöglichte auch eine bewusst forcierte Vielstimmigkeit, Ortlosigkeit und Ungreifbarkeit. So die Theorie. Nun die Realität: Jede/r konnte gta sein, aber nicht jede/r war gta. Das Label entstammte dem Kunstbetrieb - reale AkteurInnen waren KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen -, und es wurde zumeist als "Kunstinitiative" rezipiert. Abgesehen von den üblichen Szene-Ausschlussmechanismen, die so etwas mit sich bringt, führte das zum realen Widerspruch zur eigenen Programmatik: gta beschränkte sich laut Selbstdefinition auf politische Arbeit im Bereich Antirassismus (sh. FAQ auf der Netzseite: "Warum beschränkt sich gettoattack auf Rassismus?"). Doch die Tatsache, dass proklamiert wurde, dass "jeder im Namen von gettoattack sprechen könne", verdeckte, dass keine MigrantInnen als SprecherInnen auftraten. Jene SprecherInnen, die unter dem Namen gta auf Demonstrationen und Pressekonferenzen auftraten, waren durchwegs MehrheitsösterreicherInnen. Eine antirassistische Initiative, die ausschließlich aus der Perspektive von MehrheitsösterreicherInnen spricht und auftritt, trägt unweigerlich paternalistische Strukturen weiter. Gemessen am eigenen Forderungskatalog, befand sich gta also mitten in den Problemen der Stellvertreterpolitik. Das wurde den Beteiligten immer stärker klar.

WWP

Die WienerWahlPartie begann sich im Oktober 2000 zu formieren. Sie verstand sich nicht als "offenes Label", sondern als Kampagne zur vorverlegten Wiener Gemeinderatswahl vom 25. März 2001. Der Wiener Wahlkampf wurde von der WWP sogar als erster "wahlwerbender" Gruppe (wenn auch nicht antretender: daher Partie und nicht Partei) eröffnet: "die wiener wahlpartie eröffnet den wiener wahlkampf mit einer pressekonferenz am dienstag, den 16.1. um 10.00 Uhr im café landtmann". Die Simulation einer Wahlkampagne - die "reale Fiktion einer antirassistischen Wahlbewegung" - sollte auf die (antirassistischen) Leerstellen in der offiziellen Politik verweisen. Es ging um eine Inhalts- und Mobilisierungskampagne, die MigrantInnen als politische Subjekte anspricht, Diskriminierung sichtbar macht und den öffentlichen und medialen Raum, der der Wiener Wahl gewidmet ist, mit gezielten antirassistischen Forderungen besetzt. Die allgemeine Öffentlichkeit wurde aufgefordert, die Parteien einem "Rassismus-Check" zu unterziehen. In gewisser Weise setzte die WWP dazu "traditionelle" Kampagnenarbeit ein: Presseaussendungen, Pressekonferenzen, öffentliche Auftritte auf Kunst- und Kulturveranstaltungen, einen "Wahlwerbungs"-Partiewagen auf Wiener Märkten, Plakate, etc. In Kooperation mit der Demokratischen Offensive wurde von der WWP am 16. März 2001 am Stephansplatz eine Demonstration unter dem Motto "Gleiche Rechte für Alle" organisiert. In Wien endete die Kampagne zwar mit dem Wahltermin, doch die Idee wurde später von der Linzer Wahlpartie (LWP) anlässlich der Wahlen in Oberösterreich 2003 übernommen.

Wie gta beschränkte sich die WWP programmatisch auf antirassistische Forderungen, doch im Unterschied zu gta verstand sie sich als gemeinsames Projekt von MigrantInnenorganisationen (echo, ANAR) und antirassistischen Initiativen (gettoattack, Initiative Minderheiten). Der kunstfeldspezifische Background mancher Akteure spielte kaum noch eine Rolle. Dafür tauchten andere Probleme und politische Unschärfen auf. Andrea Hummer hat beispielsweise gegenüber der LWP, das gleiche ließe sich aber auch von der WWP sagen, die berechtigte Kritik vorgebracht, sie würde den Eindruck vermitteln, "demokratische Grundrechte wären erst ab einer gewissen Gruppengröße legitim (...) [das] steht damit eigentlich im Widerspruch zu den Zielen und Anliegen der LWP. Oder es wirkt, als würden die Mitglieder der LWP die Parteien beraten, welche zahlenmäßig interessante Zielgruppe sie in der Zukunft noch indoktrinieren könnten. Antirassismus als ausschließliches Nützlichkeitsprinzip für die Parteien - das ist dann doch eine Portion zu viel Pragmatismus." (Kulturrisse 02/03)

WP

An die Wiener Wahl Partie schloss die Wahl Partie zur vorgezogenen Nationalratswahlen am 24.11. 2002 an. Sie war ein Zusammenschluss von Organisationen und Institutionen wie u.a. ANAR, BEIGEWUM, eipcp, gta, IG Kultur Österreich, Klub Zwei, Maiz. In einem nicht sehr rege besuchten Plenum wurde am 8.11.2002 die Kampagne der WP vorgestellt. Tatsächlich handelte es sich aber mehr um ein Netzwerk zur Entwicklung von Forderungen als um eine öffentlichkeitswirksame Kampagne. Der konkrete Anlass der Nationalratswahlen diente dem Projekt zur Bündelung von Diskussionen und Forderungen aus verschiedenen Politikfeldern und zur Formulierung eines fortschrittlichen politischen Programms jenseits der Parteienpolitik. Im Unterschied zur WWP handelte es sich mehr um eine Bündelung von Inhalten als von Ressourcen. Informationen und Forderungen, die von den Organisationen bereits erarbeitet worden waren, wurden allgemein zur Diskussion gestellt, neue erarbeitet. Das bedeutete eine Verbreiterung des Forderungskatalogs über antirassistische Forderungen hinaus (vgl. Kulturrisse 04/02). AdressatInnen waren natürlich nicht die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ. Entwickelt sollte ein linkes Programm jenseits der offiziellen Oppositionsparteipolitik werden, um bereits einer möglichen rot-grünen Opposition begegnen zu können. Das stellte sich zwar als etwas verfrüht heraus, tat der Aktualität der Forderungen allerdings keinen Abbruch.

Die weitaus größte Energie wurde in die Entwicklung eines Partiebuchs mit den gesammelten Forderungen aus den Politikfeldern "Gleichstellungspolitik", "Feministische Politik", "Kulturpolitik", "Migrationspolitik", "Sozial- und Wirtschaftspolitik" und "Vergangenheitspolitik" gesteckt. Obwohl Plakate, Stickers und Partiebücher produziert wurden und Studierende der Akademie der Bildenden Künste Aktionen im öffentlichen Raum durchführten, war, anders als bei der WWP, die Öffentlichkeitswirksamkeit, aber auch der Mobilisierungsgrad gering. Die Nationalratswahlen signalisierten so etwas wie die große Rückkehr der offiziellen und institutionalisierten Politik. Während die Medien ganz auf den Showdown zwischen Regierung und Opposition konzentriert waren, war bei vielen GegnerInnen der Regierung wohl ein psychologischer Delegierungseffekt eingetreten (nach dem Motto: diesmal wird das Spiel sowieso an der Urne entschieden).

Fazit

In der allgemeinen medial aufgeregten Situation erhielt gta auch im Vergleich zu den zahlreichen ähnlichen Initiativen des Februar 00 eine sehr große Öffentlichkeit. Das mag unter anderem mit dem schicken Image zu tun haben, das durch die AkteurInnen vermittelt wurde. Politische Inhalte konnten auch von gta kaum transportiert werden, insofern sich die öffentliche Präsentation stärker auf die Darstellung von gta selbst ("junger Protest", "Szene macht mobil"), als auf politische Ziele konzentrierte. Daran konnten auch Kommentare, die bewusst und gezielt etwa im Standard geschaltet wurden, wenig ändern. Auch die WWP konnte durch ihre Aktionen und die Forcierung einer Medienkampagne eine große Öffentlichkeitswirksamkeit erreichen (neben Szene-Medien berichteten Presse, Kurier, Salzburger Nachrichten, Wiener Zeitung, Profil, mehrmals der Standard und ORF On). Im Unterschied zu gta übernahmen allerdings sowohl MigrantInnen als auch MehrheitsösterreicherInnen die Rolle von SprecherInnen. Während außerdem bei gta der Eindruck entstehen konnte, die Aktionen und Projekte hätten mehr zu einer (kurzfristigen) Politisierung des Kunstfeldes beigetragen als zu einer Politisierung der Politik, war die WWP ein gezielter Eingriff in das Politikfeld und ein offensiverer Fall von agenda setting.

Dennoch, was gta (und ähnliche Initiativen des Februar 00) neben einer kurzfristigen Politisierung des Kunstfeldes bewirkt zu haben scheint, ist ein Anstoß von Diskussionsprozessen, aus denen neue Projekte entstehen konnten. Projekte wie die WWP und die WP verdankten sich auch Kontakten und Vernetzungen zwischen Theoriefeld, Kunstfeld und MigrantInnenorganisationen, die ohne den Februar 00 vielleicht nicht zustande gekommen wären. Im Vergleich der drei Projekte lässt sich auch eine inhaltliche Weiterentwicklung feststellen: Hatten sich gta und WWP auf antirassistische Forderungen und Forderungen im Bereich der MigrantInnenrechte konzentriert, verfolgte die WP eine Verbreiterung des Katalogs über antirassistische Forderungen hinaus und somit eine Strategie der Universalisierung hin zu einem umfassenderen linken Alternativprojekt. Es mag sein, dass dadurch die "Durchschlagskraft" der Forderungen abnahm, wir denken aber, dass der Grund für die relativ geringe Wirkung der WP anderswo zu suchen ist.

Der Vergleich zwischen den drei politischen Projekten muss vor dem Hintergrund der unterschiedlichen politischen Bedingungen gesehen werden. Die "objektiven Bedingungen" sind sozusagen die Grenzen, die dem politische Machbaren gesetzt sind. Die verschieben sich zwar durch jede neue Aktion (zumeist minimal), können aber eben nicht nach Belieben verrückt werden. Eine Situation wie jene des Februar 00 entsprang einem symbolischen Graben, der sich plötzlich in der politischen Landschaft Nachkriegsösterreichs aufgetan und zu einer vorher nie dagewesenen Politisierung geführt hatte. Die Mobilisierungsfähigkeit einer Bewegung - nach außen wie nach innen - steht in direktem Verhältnis zum Grad der Antagonisierung der Situation. Während noch der Wiener Wahlkampf von Häupl zu einem Richtungswahlkampf hochstilisiert wurde, war der Nationalratswahlkampf vergleichsweise eine Kuschelveranstaltung, in der die Opposition als Alternative zu Schwarz-Blau nicht mehr als die "drei richtigen Prioritäten" beim Sparen setzen wollte. Der Forderungskatalog der WP antwortete dem Sparmeisterwahlkampf der SPÖ mit dem verschwenderischen Slogan: "Wir setzen die 100 richtigen Prioritäten". Damit war die WP zwar ähnlich erfolglos wie die SPÖ, aber die nächste Wahl kommt bestimmt.

Wir danken allen, die ihr Vertrauen in uns gesetzt haben, und gratulieren unseren politischen MitbewerberInnen.


Oliver Marchart und Nora Sternfeld waren an Aktionen der besprochenen Intiativen beteiligt.

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