Kolonialdisney und die Profis der Differenz. Zum neuen Museum kulturalistischer Stereotypen in Paris

Kein Wort von den 70 Millionen von den christlichen Humanisten abgeschlachteten Indigenas. Ungebrochen europäische Blickregimes, Wahrheitsproduktionen, Darstellungsformen, die unterwerfen, was ihnen an Buntem unters Glas kommt.

14. Juillet. Am Nationalfeiertag präsentiert sich zum ersten Mal das zukünftige Immigrationsmuseum mit einem Event der Öffentlichkeit: Aimé Césaires „Discours sur le colonialisme“ wird vorgetragen von einem Schauspieler, dessen Name – im Gegensatz zum groß beworbenen des wikinger-französischen Regisseurs – nicht einmal klein gedruckt in der Ankündigung stand. Der senegalesische Star Younouss Diallo ist es, der da mit viel Pathos, exkolonialisiertem Akzent und Wolofgesängen deklamiert, dass von der Geschichte der sudanesischen Reiche, den Bronzen aus dem Benin, den Shongo-Skulpturen nur die Rede sein kann, wenn man gleichzeitig die Idee der schwarzen Barbaren als europäische Erfindung diskreditiert und sich ihren leicht durchschaubaren herrschaftstechnologischen Zwecken kämpfend entgegenstellt. Vergeblich deklamiert er.

Die Reliefs an den Außenwänden des Palais de la Porte Dorée, des ehemaligen Kolonial- und zukünftigen Immigrationsmuseums, und die Fresken im Saal – Glorifizierungen der intellektuellen und moralischen Errungenschaften, mit denen Frankreich seine Kolonien beglückte – überdröhnen, als in Stein geschriebene Hymnen auf den Kolonialismus, Césaires Anklageschrift gegen Sklavenhalter und Liebhaberinnen des Exotismus. Die Präsentation beweist: Solange die schönen Worte sich nicht mit Vorschlaghämmern und Kompressorfarbspritzen verbünden, dienen sie nur als Babylätzchen, das verhindert, dass die Bananenbreispritzer, mit denen man sich beim Verzehr der Neokolonialwaren angesabbert hat, auf der Chemise style Boubou sichtbar werden.

Ungebrochen europäische Blickregimes

Die Exponate des ehemaligen Kolonialmuseums sind übersiedelt ins neue Museum kulturalistischer Stereotypen am Quai Branly. Für den Neubau am Quai Branly allerdings werden es Vorschlaghämmer nicht tun. Da braucht es schon Sprengladungen, um dereinst das Beton gewordene exotistische Hirngespinst wieder aus der Welt zu schaffen, mit dem Präsident Chirac für 230 Millionen Euro der Nachwelt auf ewig die Erinnerung daran erhalten möchte, dass sein Weltbild unterentwickelter war als das von Disneys Dschungelbuch.
Über in Kunstharz eingelassenen Riesenspinnen in den Platten der Fußgängerwege schreitet man zu dem verrenkten Pfahlbau, hinter dessen mit Dschungelvegetationsbildern beklebten Fensterscheiben im Zuge der Kolonisierung zusammengestohlene Schätze der „Art premier“, der „ersten Kunst“, aufgebahrt liegen. Der Terminus „erste Kunst“ wurde vom Chiracfreund und Artpremiergroßhändler Jacques Kerchache als marktgängigerer Marketingname für die früher noch als „primitiv“ bezeichneten Kunst- und Kultgegenstände der Exkolonien erfunden. Offensichtlich, dass er genauso diskriminierend ist wie der frühere und über das entscheidende Dilemma nicht hinwegtäuscht: dass die Geschichte der meisten Gegenstände und ihr Weg ins Museum Resultate eines gewaltsamen Ausbeutungs- und Unterdrückungszusammenhangs sind.

Zuerst deklarierte man das neue Museum als Versuch, diesen unangenehmen Kontext einfach auszublenden, in dem man erklärte, kein ethnologisches Museum, sondern ein Kunstmuseum zu machen, in dem die Masken und Skulpturen als den europäischen Kunstwerken gleichwertige ästhetische Meisterleistungen, ohne besonderen Rekurs auf die Geschichte ihrer Produktion oder rituellen Verwendung, präsentiert werden. Man stellt im Belvedere ja auch nicht neben ein Klimt-Bild ein Schuhplattlervideo und neben jedes christliche Motiv Liveaufnahmen von blutenden Stigmata.
Doch dieser Versuch, der vermutlich auch an der kolonialen und neokolonialen Prägung europäischer Wahrnehmungsmuster gescheitert wäre, wurde dann nicht einmal unternommen.

Neben den Vitrinen also Videos, die den rituellen, kultischen, religiösen Kontext der Kunstwerke erklären. Stunden um Stunden audiovisueller Exotismussalat, B-pics von den stampfenden, Blut verspritzenden, menschenopfernden Wilden der Welt. Die Folkloreattraktionen aller beliebtesten Fernreiseziele der ganzen Welt in fast-forward.
Keine Aztekenfedern ohne Hinweis auf die Menschenopfer, die dem Humanismus der christlichen Eroberer unvorstellbar grausam dünkten. Kein Wort von den 70 Millionen von den christlichen Humanisten abgeschlachteten Indigenas. Ungebrochen europäische Blickregimes, Wahrheitsproduktionen, Darstellungsformen, die unterwerfen, was ihnen an Buntem unters Glas kommt. Und in diesem Stil kann man den Disneytrip durch die Exkolonien in Afrika, Ozeanien, Asien und den Amerikas in ein paar Stunden absolvieren, ohne auch nur ein einziges Mal den Spiegel vorgehalten zu bekommen, ohne ein einziges Mal den Verdacht nahe gelegt zu bekommen, dass die Perspektive umgedreht werden müsste; dass der „offene und respektvolle Blick auf die einst gedemütigten Zivilisationen“, den Chirac verspricht, als minimalste Voraussetzung einen offenen und ehrlichen Blick auf die kolonialen Herrschaftstechnologien und Ideologien Europas erforderte.

Die Kontinuität des kolonialen Voyeurismus

Insofern nennen die „indigènes de la République“ – eine Bewegung von muslimischen Aktivisten, MigrantInnenorganisationen, ATTAC-Leuten und linken Intellektuellen – das neue Museum einen „Menschenzoo“: „Man stellt uns nicht mehr nackt in Käfige wie zu Beginn des letzten Jahrhunderts, aber man mobilisiert den selben kolonialen Voyeurismus“, heißt es auf ihrer Website.

Und die ehemalige Kulturministerin von Mali, Aminata Traoré, bezeichnet das Museum als „ein Symptom für den Willen, die Bevölkerungen der Welt zu unterwerfen“: „Die Kunstwerke stellen einen wesentlichen Teil des kulturellen und künstlerischen Erbes der ‚Sans-Visas‘ dar, die in Ceuta und Melilla erschossen werden und der ‚Sans-Papiers‘, die man täglich im Herzen von Europa jagt und hetzt, und wenn man sie verhaftet, mit Handschellen in ihre Herkunftsländer verfrachtet (…). Dank der Einwanderungsgesetze wird es praktisch gar niemandem derjenigen, deren Talent und Kreativität hier gefeiert wird, jemals möglich sein, auch nur den Boden hier zu betreten“, schreibt sie. Sie findet es bezeichnend, dass das Museum aus der Freundschaft eines Präsidenten mit einem Kunstgroßhändler und nicht aus kritischen und selbstkritischen Reflexionen weltweit Kulturschaffender über eine Dekonstruktion neokolonialer Blickregimes entstand: „Eine afrikanische Maske auf der Place de la République hat überhaupt keinen Nutzen angesichts der Schande und der Demütigungen, denen AfrikanerInnen und andre Bevölkerungen unterworfen werden, die man ausplündert im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit.“ Aminata Traoré hofft, dass das Museum immerhin „dazu beitragen wird, öffentliche Meinungen zu bilden – in Frankreich, Afrika, der Welt – über eine der Methoden, mit denen Europa weiterhin sich anderer Bevölkerungen bedient und sie sich unterwirft, während es das Gegenteil vorgibt zu tun.“
Denn hat sich auch an der arroganten Haltung des Eurozentrismus seit den Völkerschauen nicht viel geändert, so hat der Eurozentriker doch gelernt, ab und zu Césaire zu zitieren. Voilà: „Der Kleinbürger hat nicht nichts gelesen. Er hat im Gegenteil alles gelesen, alles verschlungen. Nur funktioniert sein Gehirn wie manche elementaren Verdauungsapparate. Es filtert. Und der Filter lässt nur durch, was geeignet ist, die Fettschwarte des bürgerlichen guten Gewissens zu nähren.“

Wer jedenfalls in Paris afrikanische Kultur kennen lernen und erleben möchte, begebe sich zu einem Picknick mit den Profis der kulturellen Differenz in Clichy-sous-Bois, von wo die Revolten migrantischer Jugendlicher letztes Jahr ihren Ausgang nahmen. Von hier aus wird plötzlich der Satz von Rigoberta Menchú verständlich, die Statuen im Museum am Quai Branly hätten ihre Energie verloren. Offensichtlich entziehen die kulturellen Differenzen, die das Museum so gerne dargestellt hätte, sich sowieso dieser eindimensionalen Darstellung. Weil sie vielleicht eine Unterschiedlichkeit von Bedeutungsproduktion, von Zeitbegriffen, von Wahrnehmungsmustern, von sozialen Setzungen und phantasmatischen Kategorien bedeuten. Ein paar Hühnerfedern, ein paar Spiegelscherben, ein gestohlener Fetisch machen nicht einmal einen falschen Zauber. Ob der Exotist die Differenz genießt, wenn sein Auto brennt?

Tina Leisch Film-, Text- und Theaterarbeiterin in Wien.

Recherche: Karin Sohler (Migrationsforscherin, Paris)

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