Schlachtplatte Wahlkampf

"Check the Facts - Mind the Gap" widmet sich verletzender Sprache im EU-Wahlkampf 2014 und entwickelt Werkzeuge ("Tools"), die darauf abzielen Hass-Sprache zu verlernen. Es wendet sich an Kulturarbeiter_innen und Jugendliche, die sich kritisch mit diskriminierender Sprache auseinandersetzen wollen, und verstärkt Initiativen, die etwa mit dem Mittel des Humors Gegenreden entwickeln.

In der ersten Phase sammeln und analysieren wir insbesondere Kampagnen von Parteien im EU-Wahlkampf, die sich dieser Sprache bedienen und veröffentlichen in regelmässigen Abständen ausschnitthaft die damit einhergehenden medialen Diskurse. Dazu gehören auch die schon erwähnten Formen der Gegenreden, wie Memes, Videoclips und dergleichen

In der zweiten Phase veröffentlichen wir kurze Videoclips, die diese Fragen von verletzender Sprache neu aufgreifen, Fakten überprüfen und auf den Kopf stellen. Ein Ziel ist etwa, wie kann es auch Spaß machen, dass Jugendliche sich mit schwierigen Themen auseinandersetzen.

In der dritten Phase starten wir eine Workshop-Reihe mit Lehrlingen, die gemeinsam mit Künstler_innen, Kulturarbeiter_innen und Expert_innen verschiedene Materialien und Tools entwickelt, die es ermöglicht (verletzende) Sprache zu analysieren, zu verlernen und neu zu denken. Wie kann zB. Rap, oder Plakatkunst eingesetzt werden, um diese Fragen zu bearbeiten? Gemeinsam erarbeiten wir verschiedene Methoden, die dann an die Mitglieder der IG Kultur Österreich in Form von sogenannten Toolboxen weiter gereicht werden. Zum Selbertesten, Anwenden und Erweitern.

SCHLACHTPLATTE WAHLKAMPF - EINE EINFÜHRUNG

In Zeiten des Wahlkampfes wird sprachlich zugespitzt, was politisch durchsetzbar, ideologisch vertreten oder opportunistisch benutzt werden will. Mit den Wahlen zum Europäischen Parlament steht 2014 wiederum ein Wahlkampf vor der Tür, der die Frage aufwirft, wie Sprache eingesetzt wird, um politische Ziele zu erreichen, Menschen zu motivieren zu den Wahlen zu gehen und für eine bestimmte Partei zu wählen.

Zur Zeit erleben wir in Europa das Erstarken von Nationalismus, Xenophobie, Rassismus und Homophobie, und chauvinistische Parteien gewinnen im EU-Parlament immer größere Bedeutung. Das Projekt „Check the Facts – Mind the Gap“ versucht die Sprache, die von österreichischen Parteien benutzt wird, um Stimmungen gegen Bevölkerungsgruppen zu erzeugen, kritisch zu beleuchten. „Check the Facts – Mind the Gap“ ist eingebettet in ein Programm der Open Society Initiative for Europe, das verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen in der Europäischen Union unterstützt. Der Schwerpunkt liegt dabei auf eine Konzentration auf die kommenden Wahlen zum europäischen Parlament, die Analyse von Hass-Sprache sowie Formen von Gegenreden diverser sozialer Gruppen.

Doch schon die Definition von Hass-Sprache stösst auf Grenzen der Brauchbarkeit, wenn wir uns etwa den Wahlkampf zum europäischen Parlament anschauen. Hass-Sprache wird, insbesondere im US-amerikanischen Raum in Relation zum hochbewertenden Recht auf freie Meinungsäußerung, erst als solche gewertet, wenn sie zu „unmittelbarer Gewaltausübung“ geführt hat. In Österreich hingegen gibt es etwa das Verbotsgesetz, das die Leugnung des Holocaust unter Strafe stellt. Dieses Verbot wird oftmals von Rechtsextremen, aber auch von Liberalen als Einschränkung der Meinungsfreiheit bezeichnet. Ich würde aber in einer engen Definition von Hass-Sprache Holocaustverleugnung als eben solche bezeichnen, aus einem einfachen Grund: Die Gewaltausübung ist zwar in der Vergangenheit passiert, aber fände in ihrer Leugnung eine Fortsetzung gegenüber den Überlebenden dieser Gewalt. Und aus der Opferperspektive ist das Auftreten gegen neonazistische Strömungen nicht nur, aber auch eine historische Pflicht des postnazistischen Österreichs.

Wer jedoch die Diskussionen aufmerksam verfolgt, merkt sehr schnell, dass verletzende Sprache, die in politischen Diskursen verwendet wird, nicht grundsätzlich in dieser klar antisemitischen, rassistischen, homophoben etc. Form erscheint. Auch aufgrund des Verbotsgesetzes kam es in rechtsextremen Kontexten sehr früh zur Entwicklung einer verschlüsselten Sprache, die mit Andeutungen, Umkehrungen und sprachlichen Neuerfindungen versucht, bestimmte Gruppierung anzusprechen, Gemeinschaften zu bilden und andere Teile der Bevölkerung auszuschliessen, für das Schlechte in der Welt verantwortlich zu machen, abzustempeln. Die FPÖ (egal ob als VdU, F, BZÖ, FPK, Rekos, etc.) war und ist eine Meisterin in dieser Sprache, aber sie ist nur der extreme Rand eines Jargons, der sich auch immer mehr in die Mitte der Gesellschaft bewegt hat und sich dort manchmal unreflektiert und manchmal bewusst breit machen konnte.

Gerade in diesem Grenzgebiet bewegt sich der erste Teil des Projektes „Check the Facts“, welche Diskurse, welche Stimmungen werden nahe der gesellschaftlichen Mitte erzeugt, die eben darauf abzielen Ressentiments und Angst zu schüren, Klischees und Vorurteile verstärken. Die Beiträge der FPÖ zu diesen Stimmungen sind lange bekannt und aktuell finden sich mit der Aussage des EU-Parlamentsabgeordneten Andreas Mölzer diese Diskussionen in den Schlagzeilen. Die Systematik dieser Sprache werden jedoch selten mit einer strukturellen Kritik unterbrochen, kurze Erregungen, ein „Meinetwegen entschuldige ich mich!“ scheinen in Österreich immer noch zu reichen, die damit hervorgerufenen Verschiebungen im öffentlichen Bild stehen zu lassen und weiter die Grenzen des Möglichen zu erweitern.

Wenn Mölzer aktuell also meint, das "N-Wort" oder eben auch "Zigeuner" wären ganz normale deutsche Wörter, muss das auch im Zusammenhang der Hassreden gesehen werden, die etwa die Aschermittwochsreden durchziehen, die Schlagzeilen der Zeitschrift „zur Zeit“, die Plakatsprüche, die in schlechten Reimen ein Schlag ins Gesicht der Angesprochenen sind, der Schwarzen, der Lesben und Schwulen, der Roma und Sinti, der Muslima, der etwa von Armut Betroffenen.

 

Immerzu geht es darum, diese Bevölkerungsgruppen an einen Ort zu verweisen, der sie ausschließt, sie ins Abseits drängt, diese Sprache ist in letzter Konsequenz eine, gegen jegliche Grundsätze der Demokratie. Nicht mehr und nicht weniger.

Die FPÖ ist dabei nicht ein Phänomen des Randes, sondern schon allein durch die breite Zustimmung an der Wahlurne ein Problem in Mitten der österreichischen und auch europäischen Gemeinschaft. Für das Projekt „Check the Facts – Mind the Gap“ ist es nun zum einen Teil Aufgabe im Zuge des Wahlkampfes diese Sprache und ihre Ausfransungen ausfindig zu machen und in einen europäischen Kontext zu stellen. Eines dieses unrühmlichen Wörter, das es immerhin zum Unwort des Jahres 2013 geschafft ist Sozialtourismus, das anlässlich der anstehenden und lange hinausgezögerten Öffnung der Grenzen für die EU-Mitgliedsstaaten Rumänien und Bulgarien durch die Medienlandschaft geisterte. Freizügigkeit, eines der Grundprinzipien der EU, die Möglichkeit für alle Bürger_innen frei zu wählen, wo sie leben wollen, war schnell als Bedrohungsszenario etabliert, das zwar nicht auf Fakten beruhte, aber dennoch gerne von konservativen, sogenannten christlich-sozialen Parteien in Europa aufgegriffen wurde, das gilt insbesondere für Großbritannien, Deutschland und eben auch Österreich mit Sebastian Kurz. Aufbauend auf dieses diskursive Fundament war es dann ein Einfaches für das von Mölzer herausgegebene und als rechtsextrem einzustufende Blatt „Zur Zeit“ die strukturell rassistische und klassistische Schraube anzuziehen. Mit dem Titelbild „Die Zigeuner kommen“ warnt die Autorin Anna Krassnitzer in gewohnt derber und romafeindlicher Sprache vor dieser unerwünschten Mobilität von Roma und Sinti, die an sich schon eine Umkehrung der Fakten ist, weit über 90% der Roma und Sinti sind sesshaft.

Fragen der Armutsbekämpfung, Zugang zu Bildung und guten Wohnungen sind hingegen kaum die vorrangigen Ziele, vielmehr werden auch in österreichischen Städten immer mehr Bettelverbote verhängt.

Nach einer Analyse dieser diskursiven Sprachfelder, die darauf abzielen Stimmungen des Ausschlusses zu erzeugen, wird ein Videoclip entstehen, der sich einer Gegenrede widmet, die diese Sprache zerlegt und neu zusammensetzt, um etwa die Freizügigkeit in ein positives Licht zu rücken, das dann in aller Konsequenz nicht nur für Bürger_innen, sondern für alle gilt, die in der EU leben.

In einem nächsten Schritt werden in Workshops mit Lehrlingen erforscht, wie verletzende Sprache wirkt und Möglichkeiten erprobt, diese zu zerlegen und Gegenreden zu erfinden. Gemeinsam mit Künstler_innen und Kulturschaffenden werden verschiedene Tools entwickelt, die dann als Materialien gegen Hass-Sprache zur Verfügung gestellt werden.