Aktivismus organisieren

(Soziale) Medien als Sprachrohr der Romedia Foundation. 

(Soziale) Medien als Sprachrohr der Romedia Foundation

Die Romedia Foundation wurde 1992 gegründet und verfügt so über 20 Jahre Erfahrung als Roma NGO. Die Vermittlung aktueller Informationen an EntscheidungsträgerInnen, frisch aufbereitet und aus einem anderen Blickwinkel heraus formuliert, spielt seit jeher eine wichtige Rolle, unsere Aktivitäten erstrecken sich hier von Film- und Videoproduktionen über internationale Multimedia-Kampagnen bis hin zu öffentlichen Veranstaltungen.

Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass die Roma von allen europäischen Minderheiten am negativsten abgebildet werden. Für eine friedliche und demokratische Weiterentwicklung der Gesellschaften – auch im Angesicht der schwerwiegenden weltweiten ökonomischen Krise – ist jedoch eine angemessenere Darstellung der Roma, einer der größten und am meisten ignorierten Minderheiten in Europa, unerlässlich. Ziel der Arbeit der Romedia Foundation ist daher auch eine Unterstützungsfunktion in Bezug auf Selbstdarstellung und Selbstermächtigung von Roma-AktivistInnen ebenso wie die endgültige Überwindung tief verwurzelter, Jahrhunderte alter Vorurteile und Missverständnisse.

Das Projekt Mundi Romani

Unter dem Motto „Die Welt durch die Augen der Roma“ lancierten wir 2007 das Projekt Mundi Romani. Es umfasste die Produktion einer Reihe von Dokumentationen über Roma in Europa und der ganzen Welt; die Filme wurden monatlich auf dem öffentlich-rechtlichen Kultur- und Nachrichten-Sender Duna TV als Koproduktionen von Romedia Foundation und Duna TV ausgestrahlt. Mundi Romani wurde im Rahmen des Internationalen Jahres für die Annäherung der Kulturen der UNESCO ausgezeichnet. Die Dokumentationen behandelten eine große Bandbreite an Themen, der spezifische Zugang zu ernsthaften Menschenrechtsproblemen machte nicht zuletzt die europäische Filmszene auf die Reihe aufmerksam. Drei Beispiele illustrieren die Rolle von Mundi Romani für eine positive Darstellung der Roma:

Last Days of Sulukule: Eintausend Jahre lang waren die Roma aus dem Istanbuler Altstadtviertel Sulukule in aller Welt berühmt für ihre einzigartige Kultur, ihre Tänze und ihre Musik. Die UNESCO ernannte Sulukule in Anerkennung seiner geschichtlichen und kulturellen Bedeutung zum Weltkulturerbe, was allerdings die türkische Regierung nicht davon abhielt, das Viertel 2008 abreißen zu lassen. Last Days of Sulukule wurde in den letzten Wochen gedreht, bevor die Bagger das historische Viertel zerstörten.

Die Dokumentation gewährt Einblicke in eine nun zerschlagene Gemeinschaft, zeigt die unvergleichliche Musik und die Menschen, aber auch die komplexen Mechanismen, die zur Zerstörung von Minderheitenkulturen durch die Interessen mächtiger StadtplanerInnen und die Kurzsichtigkeit der zuständigen BeamtInnen führen. Der Film ist eine Chronik der nur allzu bekannten Geschichte der Auslöschung von Lebensweisen und von Kulturgut an den Grenzlinien zwischen Europa und Asien.

Faces of Change: In dieser Episode stehen die Lebensgeschichten von zehn außergewöhnlichen Roma-Frauen aus Europa im Zentrum. Faces of Change will gegen den Trend zur Darstellung der Roma-Frauen als Opfer ankämpfen, indem der Film die Frauen als verantwortungsvolle Akteurinnen porträtiert, die ihre eigenen Antworten auf jene Fragen finden, die durch die heutige Situation der Roma aufgeworfen werden. Die Dokumentation fordert herkömmliche Sichtweisen heraus, indem sie mit der Frage der sozialen Identität spielt und das Publikum zwingt, die künstlichen Dualitäten zu hinterfragen, auf denen unsere soziale Wahrnehmung beruht.

Trapped: the forgotten story of the Mitrovica Roma: Mitrovica war immer wieder Auslöser bewaffneter Auseinandersetzungen auf dem Balkan – eine Stadt im nördlichen Kosovo, durch die sich eine ethnische Grenze zieht, in deren Süden die Unabhängigkeit des Kosovo von Serbien gefeiert wird, während sie im Norden als illegal und als Irrweg gilt. Die Stadt war auch Schauplatz der schlimmsten Katastrophe des öffentlichen Gesundheitswesens im modernen Europa. Im nördlichen Teil waren hunderte Roma neun Jahre lang in Flüchtlingslagern eingesperrt, die unter der UN-Verwaltung im Kosovo auf dem Abraum der größten Bleimine Europas errichtet worden waren, gleich neben 100 Millionen Tonnen Giftmüll.

Mundi Romani berichtet aus Mitrovica, Pristina, Skopje und Belgrad zur ethischen, ökonomischen und gesundheitlichen Dimension. Gefangen zwischen den aufgeheizten serbischen wie albanischen Nationalismen und von internationalen Organisationen unbeachtet, bleiben die Roma – zu Zeiten von Titos Jugoslawien eine blühende Minderheit – eine vergessene Bevölkerungsgruppe des jüngsten europäischen Staates.

Kampagne Im a Roma Woman

Der Kampf der Frauen um Gleichberechtigung war im 20. Jahrhundert letztlich eine der lohnendsten Investitionen, die unsere Gesellschaften für die ökonomische und soziale Entwicklung der Welt machen konnten. Hätte sich jemand in Europa noch vor 90 Jahren vorstellen können, dass Frauen Arbeitnehmerinnen sein würden, das Wahlrecht bekämen und – später dann – einigen der bekanntesten multinationalen Konzernen vorstehen würden? Und wie sieht heute das gängige Bild von der „Roma-Frau“ aus? Wie sehen sich die Frauen aus dieser größten Minderheit Europas selbst? Wie sehen sie die unwegsame Straße in Richtung Chancengleichheit für alle? In der Romedia Foundation hatten wir uns diese Fragen jahrelang gestellt, als wir – aus unserem Hintergrund als medienbasierter Roma-Interessenvertretung heraus – die Kampagne I´m a Roma Woman starteten, um unsere eigenen Antworten zu finden.

Anfang 2009 kamen wir mit Amnesty International Ungarn überein, ein gemeinsames Kampagnenvideo für den Internationalen Frauentag zu produzieren, das Aktivismus der Roma-Frauen zum Thema haben sollte. Ich sprach mit vier befreundeten Aktivistinnen über die Idee, an dem Video mitzuwirken.

Wir waren fünf junge Frauen aus verschiedenen Teilen Europas, die sich über gemeinsame Aktionen und das Engagement in der internationalen Roma Bewegung kennengelernt hatten. Alle vier Aktivistinnen erklärten sich bereit, in dem Clip aufzutreten und über ihre Erfahrungen als Roma-Frauen zu erzählen. Der nächste Schritt war, den Dreh des Films ohne jegliche finanzielle Unterstützung zu organisieren. Die Romedia Foundation hatte ja zu diesem Zeitpunkt seit bereits mehr als zwei Jahren die Mundi Romani-Dokumentarfilmreihe in Zusammenarbeit mit Duna TV produziert. Das heißt, wir hatten die Erfahrung, die Kontakte und ein Studio bei Duna TV.

Meine Kollegin Marion Kurucz und ich entwickelten Konzept und Storyline gemeinsam mit Csaba Farkas, einem erfolgreichen Roma-Filmemacher, der schon als Kameramann für Mundi Romani gearbeitet hatte. Zwischen die „Bekenntnisse“ der Frauen schnitten wir Material aus Mundi Romani-Filmen, die wir in Italien, Mazedonien, in der Ukraine und Rumänien gedreht hatten.

Der Clip wurde am 8. März 2009 auf YouTube gestellt bzw. ab dem Internationalen Frauentag auf Bildschirmen im öffentlichen Raum in ganz Ungarn gezeigt: Über U-Bahnstationen, Einkaufszentren, Postämter, Bars und Restaurants erreichte er innerhalb weniger Tage etwa 80.000 Menschen. Durch das wachsende Interesse von Fernsehkanälen und Onlinemedien, durch Soziale Netzwerke und Mundpropaganda verbreitet sich der Clip – unsere Erwartungen bei Weitem übertreffend – über die ganze Welt. NutzerInnen von MSN Messenger in Frankreich sahen das Video jedes Mal, wenn sie sich in den Dienst einloggten. In den USA konnten die mehr als zehn Millionen LeserInnen des bekannten Frauen-Blogs jezebel.com den Clip sehen und so, möglicherweise zum ersten Mal, etwas über die Roma erfahren.

Einen Monat später, im April 2009, gaben die Protagonistinnen des Videos eine Pressekonferenz in Sofia. Die Botschaft der Kampagne wurde so wieder in den Vordergrund gerückt, die Konferenz, die die Frauen besuchten, erfuhr gesteigerte Aufmerksamkeit. Der Erfolg bewirkte, dass CARE International North-West Balkans Interesse zeigte, ein weiteres Video zu drehen, das Frauen aus einem CARE Empowerment Projekt für Roma-Frauen zeigen sollte. Es war der Beginn einer ausgesprochen erfolgreichen Kooperation, an deren Ende die Präsentation der regionalen Kampagne I’m a Roma Woman im Rahmen des 2. Europäischen Roma Gipfels in Cordoba am 8. April 2010 (dem Internationalen Roma-Tag) stand. Das Video stellt Frauen aus Serbien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina und Kroatien vor. Es wurde in Wochen intensiven Reisens durch die westlichen Balkanstaaten gedreht, zum Einsatz kamen neueste Aufnahmetechnik und einige der besten ungarischen Kamera-, Ton- und Lichtleute.

CARE International NBW tourte mit dem Video durch die westlichen Balkanländer. Viele Stunden TV-Berichterstattung und die Medienpräsenz beteiligter Aktivistinnen rückten deren Anliegen in das Scheinwerferlicht der Medien. Die Musik für beide Videos wurde von Gyula Babos, einem bekannten ungarischen Jazz-Musiker komponiert. Die Texte auf Romanes schrieb die Roma-Aktivistin Ágnes Daróczi.

Die Protagonistinnen beider Kampagnen-Videos sind authentische, wirkliche Aktivistinnen, Frauen, deren Ringen um Selbstbewusstsein und deren Engagement für die Selbstermächtigung der Roma uns allen Vorbild ist. Während der kreativen Entwicklungsphase waren wir immer auf der Suche nach genau diesen Frauen, diesen Situationen, diesen Erzählungen, die Selbstverständlichkeit ausdrücken und das in Jahren des sozialen Engagements erworbene Selbstbewusstsein der Frauen vermitteln sollten.

Als wir begannen, Filme und Videos zu machen, die von einer Genderperspektive ausgehen, hatten wir ja als Anregung bereits hunderte Stunden an audiovisuellem Material über Roma-Aktivistinnen, das im Rahmen der Reihe Mundi Romani entstanden war. Wir hatten Frauen gefilmt, die uns gezeigt haben, was sie durch ihr Engagement erreicht haben und die sich den Kameras geöffnet hatten, um über ihr Leben, ihre Identität, über Ziele und Zukunftsträume zu berichten.

Es war an der Zeit, all diese Erfahrungen mit anderen zu teilen, damit Roma-Frauen einander und auch die kommende Generation motivieren konnten. Mit Unterstützung des Programms Roma Initiatives der Open Society Foundations ging am Internationalen Frauentag 2011 die Website online, eine Kampagnen-Site für alle Roma-Frauen, die zu Wort kommen und Dinge bewegen wollen.

Ein Blick in die Zukunft

Der digitale Raum der Social Media bietet zahlreiche Möglichkeiten, JournalistIn zu sein, die eigene Community zu repräsentieren, selbst über die eigenen Fortschritte, aber auch über die eigene Diskriminierung zu sprechen. Jede/r kann hier eine bedeutende Rolle spielen, kann Verstöße gegen die Menschenrechte offenlegen oder die Einhaltung von Antidiskriminierungsmaßnahmen vor Ort kontrollieren, indem er/sie ein Video online stellt. NGOs sollten derartige Aktivitäten unterstützen – auch wenn ihre eigenen Förderungen kontinuierlich abnehmen. Ziel der Romedia Foundation war immer, über unsere Filme nicht nur zu dokumentieren, sondern auch uns einzusetzen und etwas zu verändern.

Um wirklich wirksame Öffentlichkeitsarbeit zu leisten und um uns engagieren zu können, müssen wir erfindungsreich all jene Kanäle aufspüren, über die wir unsere leicht verständlichen und informationsbasierten Botschaften transportieren können. Und wir müssen neue Wege zu neuen Zielgruppen finden.

Unabhängigkeit und Objektivität sind die beiden wichtigsten Güter, die wir mit Argusaugen bewachen müssen, damit Änderungen in den Finanzierungsstrukturen oder den gerade herrschenden politischen Ideologien unsere Arbeit nicht so leicht beeinflussen können. Um diese Unabhängigkeit zu bewahren, gilt es, sowohl unsere Ressourcen als auch unsere Werkzeuge möglichst breit zu fächern.

Katalin Bársony ist Filmemacherin und Geschäftsführerin der Budapester Romedia Foundation. Ihre Dokumentarreihe Mundi Romani über Roma Communitys in der ganzen Welt gewann den Preis für die Annäherung der Kulturen der UNESCO und lief in Ungarn auf dem öffentlich-rechtlichen Sender Duna TV.

Übersetzung aus dem Englischen: Patricia Köstring

Anmerkung

Eine englischsprachige Langversion dieses Textes erschien zuerst in migrazine – Online-Magazin von Migrantinnen für alle, Ausgabe 2012/1. Der Artikel ist Teil einer Kooperation zwischen den Kulturrissen und migrazine.at.

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