Der Ausverkauf von Kunst und Kultur droht

Die Globalisierung der Wirtschaft schreitet ungebremst voran. Schon steht die GATS-Runde in Doha, Katar, vor der Tür, bis 2005 soll die weitgehende Liberalisierung von Handel und Dienstleistungen Wirklichkeit werden. Für Kunst und Kultur ergibt sich daraus eine mehrfache Bedrohung:

Österreich ist aufgefordert, die Konvention für kulturelle Diversität zu unterschreiben

Die Globalisierung der Wirtschaft schreitet ungebremst voran. Schon steht die GATS-Runde in Doha, Katar, vor der Tür, bis 2005 soll die weitgehende Liberalisierung von Handel und Dienstleistungen Wirklichkeit werden. Für Kunst und Kultur ergibt sich daraus eine mehrfache Bedrohung:

Beispiele wie die Schaffung der nordamerikanischen Freihandelszone NAFTA haben bewiesen, dass die ungeheure Dominanz US-amerikanischer Investitionen eine rapide Verarmung der kulturellen Diversität bewirkt (so ist es zu einem faktischen Zusammenbruch der mexikanischen Filmwirtschaft nach 1994 gekommen). Für die USA ist der Kunst- und Kulturmarkt (inkl. Musikindustrie, Filmwirtschaft, Fernsehkonzerne etc.) längst zum zweitwichtigsten Wirtschaftszweig geworden. Schon jetzt überschwemmen die US-Produzenten den Weltmarkt mit ihrer Produktion.

Wird es durch bindende WTO-Verträge unmöglich gemacht, mit Quotenregelungen, Fördermodellen oder Koproduktionen gegenzusteuern, wird über kurz oder lang eine Kulturhegemonie hergestellt sein, die selbst vor indigenen Schöpfungen nicht Halt macht. Schon jetzt werden von Großkonzernen rituelle Tänze der ursprünglichen Völker Nordamerikas, Heilpflanzen südafrikanischer oder srilankesischer Provenienz patentiert, T-Shirts z. B. mit traditionellen Motiven indigener australischer Malerei weltweit vermarktet, ohne dass deren eigentliche Urheber davon profitieren. In gar nicht wenigen Fällen ist ihnen sogar längst untersagt, diese Produkte oder Motive überhaupt noch selbst zu vertreiben bzw. zu verwenden.

Schon die derzeitigen Verhältnisse geben Anlass zu großer Sorge: Das EU-weit verankerte Prinzip der Subsidiarität in Belangen von Kunst und Kultur verstellt den Blick darauf, dass entscheidende Weichenstellungen immer häufiger von den Hütern des Wettbewerbs vorgenommen werden. Was gestern noch eine kulturpolitische Entscheidung war, kann heute schon als nicht wettbewerbskompatibel overruled und vereinheitlicht werden. Österreich hat das in der jüngsten Vergangenheit in einer jahrelangen Auseinandersetzung im Zusammenhang mit der deutsch-österreichischen Buchpreisbindung erlebt.

Zwar konnte inzwischen eine wettbewerbskonforme nichtzwischenstaatliche Lösung durchgesetzt werden, sie birgt aber wesentlich mehr Risken als die Ursprungsregelung. Dazu gehören Reimporte von Internetanbietern, die sich auch als Privathandelsplätze zur Verfügung stellen, um die Ladenpreise von Büchern zu unterlaufen. Die Kommission in Brüssel bezeichnete noch im Sommer 2001 sowohl den Versand an Endverbraucher im jeweils anderen Land (z. B. durch LIBRO aus Österreich nach Deutschland) als auch die gemeinsame Weigerung der Verlage und Auslieferer, solche Internetanbieter weiter zu beliefern, als einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht.

In Vorwegnahme der beabsichtigten Doha-Übereinkünfte liegt weiters der Vorschlag der Kommission vor, die nationale Filmförderung auf 50 Prozent zu beschränken, und macht sich der Wettbewerbskommissar Sorgen um die Benachteiligung privater Fernsehanbieter durch die Gebührenhoheit der öffentlich-rechtlichen Anstalten, für die er rigide Werbezeitbeschränkungen fordert, die den Kulturauftrag öffentlich-rechtlicher Anstalten endgültig beseitigen. Ermutigt durch solche Erfahrungen haben z.B. private deutsche Konzertveranstalter ein Verfahren vor dem europäischen Gerichtshof angestrengt, mit dem Zweck, der öffentlichen Hand aus Wettbewerbsgründen die Förderung von Musikveranstaltungen in Regionen zu untersagen, in denen private Anbieter tätig sind. Ex-Kulturminister Nida-Rümelin nannte diese Ambitionen den Anfang vom Ende des Kulturstaats.

Angesichts dieser Entwicklungen haben sich Delegierte aus 39 Staaten (auch aus Österreich) im Oktober 2002 in Kapstadt am Rande eines Weltkulturministertreffens versammelt, um eine Konvention für kulturelle Diversität zu verabschieden, die - strukturell ähnlich wie etwa die Landminenkonvention - bestimmte Güter und Dienstleistungen aus dem GATS-Kontext lösen soll, nämlich jene, die den Bereichen Kunst und Kultur zugeordnet werden können.

Bei vorhergehenden Treffen des Internationalen Netzwerks für kulturelle Diversität (INCD) in Santorini und Luzern hat sich eine fruchtbare Arbeitsbeziehung zum Netzwerk der Kulturminister aus 48 Staaten (inklusive Österreich, allerdings nur mit Beamtenrepräsentation) ergeben. Das Ergebnis dieser Bemühungen ist ein Dokument einer Arbeitsgruppe der Regierungsrepräsentanten, in welchem nahezu alle wesentlichen INCD-Forderungen anerkannt und übernommen wurden.

Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben die Verhandlungshoheit über den Doha-Prozess an die EU selbst übertragen, die Nationalstaaten können - für den Fall, dass das so bleibt - nur noch über Instrumente wie das einer bei der UNESCO angesiedelten Konvention für kulturelle Diversität Vorbehalte anmelden. Allerdings wissen wir, dass der Widerstand wächst, wie das jüngste Beispiel des AER (Assembly of European Regions) zeigt.

Die kulturelle Öffentlichkeit Österreichs hat ein Recht auf angemessene internationale Vertretung ihrer Interessen. Die Kulturpolitische Kommission fordert daher alle im Parlament vertretenen politischen Parteien auf, öffentlich zu erläutern, ob sie im Falle einer Regierungsverantwortung bereit sind, unserer Forderung nach Unterzeichnung der Konvention für kulturelle Diversität zu entsprechen. Es geht nicht um kleinstaatlichen Protektionismus, um Abschottung und Provinzialismus. Dafür findet sich in dem vom INCD erarbeiteten Dokument kein Beleg. Es geht um das Prinzip der Kulturverträglichkeit ökonomischer Verflechtungen, die ähnlich der Umwegverträglichkeit als Querschnittmaterie anerkannt und auch unter anderen Gesichtspunkten als jenen des kurzfristigen wirtschaftlichen Ertrags diskutiert werden müssen. Dazu erwarten uns zudem die Eröffnung eines breiten kulturpolitischen Dialogs zu allen im Zusammenhang mit den angesprochenen Problemen relevanten Fragestellungen in Österreich.

Kulturpolitische Kommission: IG Autorinnen Autoren, Dachverband der Filmschaffenden, IG Freie Theaterarbeit, IG Kultur Österreich, konsortium.Netz.kultur, Musikergilde, Übersetzergemeinschaft, Verband Freier Radios, Wiener Secession, IG Bildende Kunst, VOICE - Verband der Sprecher und Darsteller, Berufsvereinigung der bildenden Künstler, IG Architektur

Wien, 19.11.2002

Antworten/Rückfragen:

Gerhard Ruiss, Tel.: 01/526 20 44-13, e-mail: Absender
Ludwig Laher, Tel.: 06277/72 12, e-mail: @email
p.A. Literaturhaus, IG Autorinnen Autoren, A-1070 Wien, Seidengasse 13

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