Dies ist (k)ein Liebesfilm

Von der Alternativenlosigkeit, ohne Heirats- oder Partner*innenschaftsurkunde hier gemeinsam zu leben bis zum „Dokumentenzirkus“, um überhaupt vor das Standesamt (bzw. die Bezirksverwaltungsbehörde) treten zu können. Von den Fallstricken beim Antrag auf den Aufenthaltstitel als Familienangehörige*r bis zu den oftmals unerfüllbaren Anforderungen bei jeder Verlängerung der Aufenthaltspapiere für (Ehe)Partner*innen aus so genannten Drittstaaten.

Binationale Paare im alltäglichen Kampf mit dem Fremdenrecht.

„Es war ein schöner Tag im August, und es war unser letzter gemeinsamer Tag. Wir haben die Papiere nicht zusammen bekommen, und deswegen haben wir beschlossen, dass er zurück fliegt und dass wir versuchen, dort zu heiraten.“ Die österreichischen Fremdenrechtsgesetze holen bekanntermaßen gegen Personen ohne EU/EWR-Pass aus. Den Erfahrungen von binationalen Paaren im Kampf um ihr Recht auf Familienleben ist Anja Salomonowitz nun in ihrem Dokumentarfilm Die 727 Tage ohne Karamo nachgegangen. Alleine, zu zweit oder auch mit ihren Kindern erzählen sie von ihrem Ringen, jedem Hindernis zu trotzen.

Ohne Netz im „Dokumentenzirkus“

Von der Alternativenlosigkeit, ohne Heirats- oder Partner*innenschaftsurkunde hier gemeinsam zu leben bis zum „Dokumentenzirkus“, um überhaupt vor das Standesamt (bzw. die Bezirksverwaltungsbehörde) treten zu können. Von den Fallstricken beim Antrag auf den Aufenthaltstitel als Familienangehörige*r bis zu den oftmals unerfüllbaren Anforderungen bei jeder Verlängerung der Aufenthaltspapiere für (Ehe)Partner*innen aus so genannten Drittstaaten. Und davon, wie dieser institutionelle Rassismus Liebesbeziehungen schließlich auch vernichtet. Eine Off-Stimme (Angela Magenheimer mit jahrelanger Expertise aus der selbstorganisierten Initiative Ehe ohne Grenzen) ergänzt die persönlichen Schilderungen um Informationen zu Rechtslage, Behördenpraxis und die generalstabsmäßig geplanten Stolpersteine. Der Einkommensnachweis etwa. Eine Alleinverdienerin mit vier Kindern rechnet vor: „Das heißt, im Klartext, müsste ich für meinen Mann und mich 1200 Euro verdienen, dazu müsste ich 50 Stunden in der Woche arbeiten. Dazu kommt noch pro Kind 122 Euro. Dann die Miete ... “ Außerdem die Deutschkurse, die sich neben der Erwerbsarbeit oft einfach nicht mehr ausgehen. Zwei Jahre bleiben Zeit, um die Integrationsvereinbarung zu erfüllen: „Ich muss Deutsch auf Niveau A2 absolvieren und darüber eine Prüfung ablegen. Wenn das nach zwei Jahren nicht passiert ist, bin ich nach zwei Jahren wieder weg aus Österreich.“ Und dann sind Paare, die sich diesem Spießrutenlauf durch die Fremdenrechtsbehörden aussetzen müssen, auch noch konsequent dem Verdacht auf eine so genannte Aufenthaltsehe ausgesetzt. „Ich weiß, es gibt Scheinehekontrolle. Aber bei mir zu Hause?“, erinnert sich etwa eine Protagonist*in an den Besuch der Kriminalpolizei. Verdächtig erschien dem Beamten damals nach Kontrolle von Wäscheständer und anderen Wohnungsdetails, dass ihr Mann – er ist Koch – um 11 Uhr Vormittag nicht zu Hause war.

Im Film werden rund 20 Paare an Hand konkreter Lebensumstände und Stationen vor und nach ihrer Heirat oder Verpartnerung interviewt. Dabei ergibt sich eine lineare Geschichte, quasi die Kollektivbiografie der zahlreichen Hürden einer binationalen Ehe mit Drittstaatsangehöriger/m in Österreich. Zugleich ist dies mit ein Ergebnis des langen Entstehungsprozesses des Films. Anja Salomonowitz hat jahrelang immer wieder nebenbei an dem Filmprojekt gearbeitet, da es nicht möglich war, eine entsprechende Finanzierung für eine rasche Fertigstellung aufzustellen, wie die Filmemacherin beim Publikumsgespräch im Zuge der Österreich-Premiere bei der Diagonale 2013 erzählte. Zwischenzeitlich realisierte sie ihren ersten Spielfilm (Spanien, Eröffnungsfilm bei der Diagonale 2012), in dem das Thema ebenfalls für eine der Rollen aufgegriffen wurde. Ein besitzergreifender Ex-Ehemann kontrolliert in seiner Funktion als Fremdenpolizist binationale Paare und lebt dabei seinen Beziehungsneid immer wieder auch gewalttätig aus.

Kein Mitleidskino

Doch nicht nur auf einer inhaltlichen Ebene ist der Film ein gelungenes Plädoyer gegen das herrschende Fremdenrecht, das oftmals außer Heirat oder eingetragener Partner*innenschaft kaum eine Alternative für einen gesicherten Aufenthalt in Österreich vorsieht, und gleichzeitig binationalen Paaren nahezu unerfüllbare gesetzliche Regelungen und Bedingungen in den Weg legt. Auch auf einer formal-ästhetischen Ebene hat sich die Regisseurin einige Dinge überlegt, die an die Grenzen des klassischen Dokumentarfilms gehen. Bemerkenswert ist einerseits der Soundtrack des Elektronikmusikers B.Fleischmann, der im Film vorkommende Alltagsgeräusche verfremdet und zu Loops – sich wiederholenden Schleifen – montiert. Neben dem Verweis auf die sich wiederholenden Schicksale wird dadurch eine neue Ebene – jenseits von Bildern und erzählten Geschichten – eröffnet, die Raum zum Nachdenken ermöglicht und dadurch von einem bloßen Betroffenheitsgefühl wegführt.

Auch in der Bildsprache versucht der Film jenseits des klassischen, um Authentizität bemühten, Dokumentarfilms Wege zu finden. So ist die Farbe Gelb in fast allen Szenen sehr präsent. Salomonowitz hat nach einer Farbe gesucht, „die knallig ist, mutig, trotzig“, um einen Kontrast zu den vordergründig traurigen Geschichten der Protagonist_innen zu bieten, die aber zugleich auch voller Widerstand gegen den Staat und sein Eingreifen in die privatesten Lebensbereiche erzählen. Vor dem Hintergrund der omnipräsenten Reality-Formate, die – obwohl durch und durch inszeniert – um Vorspiegelung von Authentizität zwanghaft bemüht sind, kann dieser farbliche Kunstgriff auch als eine kluge Umkehrung dessen verstanden werden. Wie auf der akustischen Ebene entwickeln die Bilder so ein Eigenleben auch jenseits der erzählten Geschichten. Oder wie Anja Salomonowitz bei der Diagonale 2013 mit Nachdruck betonte: „Es soll kein Mitleid entstehen, es geht nicht um Identifikation. Denn Mitleid bringt nichts, sondern es geht darum, dass man die Strukturen dahinter versteht und hoffentlich verändern will. Es geht um Solidarität auf Augenhöhe.“

Rainer Hackauf und Daniela Koweindl gehen gerne ins Kino und sind antirassistisch aktiv.

Die 727 Tage ohne Karamo. Ein Liebesfilm gegen das Gesetz (Österreich 2013, 80 Minuten, Drehbuch und Regie: Anja Salomonowitz)

Kinostart in Österreich am 6. September 2013.

Links:

http://www.anjasalomonowitz.com
http://www.diagonale.at
http://www.ehe-ohne-grenzen.at

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