Gesundheit & Wohlbefinden - Wie wirkt Kunst? 

Zu wissenschaftliche Perspektiven auf Kunst und Kultur hinsichtlich Gesundheit und Wohlbefinden gibt es bereits Langzeitstudien. Welche Effekte gibt es? Welche Zusammenhänge und Wechselwirkungen? Und was bedeutet es für das Gesundheitswesen?

Langzeitstudien in Skandinavien ergaben, dass der Besuch von Kunst- und Kulturveranstaltungen Risiken unterschiedlicher Krankheiten einschränkt und die Sterblichkeitsrate bei Erwachsenen senkt.[1] Wie kann das sein? Warum kann Kunst und Kultur ein derartiger Effekt zugeschrieben werden? Und zwar in einem Ausmaß, dass ForscherInnen Kunst und Kultur selbst als Maßnahme zur Steigerung des Wohlbefindens und der Verbesserung des Gesundheitszustandes in Unternehmen diskutieren.[2] 

 

Auf der Suche nach Wirkungen der Kunst kann es dann auch schon mal zu überraschenden Ergebnissen kommen, wie: verringertes Krankheitsrisiko und Senkung der Sterblichkeitsrate im Untersuchungszeitraum durch den Besuch von Kulturveranstaltungen oder künstlerische Betätigung. Die Auseinandersetzung mit Kunst, deren Wirkungen und Verquickungen im sozialen Kontext, nimmt meist ihren Ausgang in kunstphilosophischen oder kulturtheoretischen Überlegungen. Diese betreffen die Verquickung von Kunst und Kultur mit Gesellschaft und Individuum. Können diese gemessen werden und Wirkungen haben?[3] Soziologische Fragestellungen greifen u. a. den Kontext des politischen Engagements oder sozialer Schichten und damit verbundener Barrieren auf. Diese Fragestellungen sind oft eng mit jenen zur Gesundheit und Wohlbefinden verknüpft und stellen somit eine erste Verbindung zu Kunst und Kultur her. Zusätzlich finden sich eine Reihe an psychologischen, medizinischen und klinischen Studien (z. B. neurologische Studien), die Wirkungen der Kunsterfahrung und -betätigung auf den Körper untersuchen. Gleichzeitig spielt die Kunst in der Psychologie und in anderen therapeutischen Ansätzen als Medium eine wesentliche Rolle. 

 

Dieses breite, interdisziplinäre Interesse an der Thematik lässt vermuten, dass bei Effekten von Kunst und Kultur auf Gesundheit und Wohlbefinden unterschiedliche Ebenen ineinandergreifen. Ebenso sind diese Wirkungen nicht auf eine Ebene der Gesundheit beschränkt: Studien weisen auf eine Relevanz für körperliche Gesundheit, psychische Gesundheit, soziale Gesundheit und Resilienz hin. Die wissenschaftlichen Ergebnisse sind vielversprechend, wobei aufgrund der Komplexität der Thematik, der Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten und der Breite des Feldes von Kunst und Kultur die Ergebnisse in manchen Bereichen aussagekräftiger sind als in anderen. Es stehen noch Kontrollstudien und Detailstudien mit besser vergleichbaren Forschungsdesigns zu Wirkungszusammenhängen aus.

The Institute of Isolation
The Institute of Isolation von Lucy McRae. Die Künstlerin forscht und reflektiert in der fiktionalen Dokumentation, wie Isolation sich auf den Menschen – den Körper und die Psyche – auswirkt © Claudia Schnugg

 

Die vielschichtigen Zusammenhänge und Wechselwirkungen werden aber in einem Überblick der bisherigen Arbeiten bereits deutlich sichtbar: 

Mit den Determinanten von Gesundheit und Wohlbefinden und den Möglichkeiten zur Förderung von Gesundheit in einer Gesellschaft beschäftigt sich die Public Health Forschung. Sie fragt, wie Kunst und Kultur zu den zentralen Elementen Salutogenese[4], sozialer Partizipation und Inklusion, Empowerment (Zustand der Selbstbestimmung, Selbstverantwortung, Selbstkompetenz) und Gesundheitskompetenz beitragen. Zum Beispiel kann sich die Einbettung in ein kulturelles Umfeld, wie durch Teilhabe an Kunstprojekten oder den regelmäßigen Besuch von Kulturveranstaltungen, positiv auf das Kohärenzgefühl auswirken. Das bedeutet, dass es den Menschen hilft, in ihrem Umfeld Sinn zu erfassen, sich zu verorten und selbständig in der Umwelt bewegen zu können.[5] Zusätzlich trägt dies zu einer grundsätzlichen Verbesserung der Lebenssituation, erhöhtem Sicherheitsgefühl und persönlichem Erfahrungsgewinn bei und wirkt inspirierend, was die Gesundheit und das Wohlbefinden positiv beeinflusst.[6] Darüber hinaus ist es auch das Tun, das hilft Kompetenzen aufzubauen, die die Gesundheitskompetenz stärken. Auch künstlerische Projekte und Kulturarbeit können Gesundheitsthemen aufgreifen und helfen, wichtige Inhalte zu vermitteln. Relevante Zugänge reichen dabei von künstlerischen Arbeiten zu Krankheit bis hin zu Ausstellungen, die sich einer gemeinsamen Aufarbeitung der gesundheitlichen Folgen der Digitalisierung widmen.[7] Durch verbessertes Wissen und einen Erfahrungsschatz, der durch Kunst und Kultur mitgestaltet und erweitert wird, sind Menschen in der Lage, selbstbestimmter zu handeln.[8] 
 

Es wurde ein positiver Einfluss von Kunst und Kulturerfahrung auf die psychische und soziale Widerstandsfähigkeit sowie die Stärke des Immunsystems gemessen.


Wichtig für das Gesundheitswesen, die psychische und körperliche Gesundheit, ist die Resilienzforschung. Es wurde ein positiver Einfluss von Kunst- und Kulturerfahrung auf die psychische und soziale Widerstandsfähigkeit sowie die Stärke des Immunsystems gemessen. Dies wird mit diversen Mechanismen begründet, angefangen von der Möglichkeit, sich bei Workshops und Veranstaltungen auszutauschen, grundsätzlich mit Menschen in Kontakt zu kommen, bis hin zu erhöhter körperlicher Bewegung und Entspannungsphasen, die durch den Kunstgenuss ermöglicht werden.[9] Studien zeigen, dass auch ein erhöhter Kohärenzsinn zu verstärkter Resilienz beiträgt.[10] 

 

Kunsterfahrung durch Rezeption in kulturellen Veranstaltungen wie auch durch die eigene Betätigung wirkt sich, wie Studien aufzeigen, insbesondere auf zwei Ebenen auf den Körper und das mentale Wohlbefinden aus: einerseits gibt es positive Effekte auf den Seelenzustand und andererseits werden teils signifikante Auswirkungen auf Biomarker gemessen. Biomarker sind biologische Indikatoren, wie u. a. Hormone, durch die körperliche Zustände wie Stress oder Entzündungen gemessen werden können. So wurde in einer Studie einerseits ein signifikanter Rückgang des Cortisol-Levels durch eine nur 45minütige künstlerische Betätigung gemessen und konnte andererseits mit der Rückmeldung der ProbandInnen verbunden werden: Diese bezeichneten die Erfahrung als entspannend, angenehm, selbstreflexiv und bereichernd. Zusätzlich berichteten sie von einem Zustand erhöhter Konzentration, einem „Flow“ in der Betätigung.[11] Cortisol ist eines jener Hormone, die bei Stress ansteigen. Eine Reduktion dieses Hormons nach künstlerischer Betätigung wurde in einigen Studien festgestellt. Weiters zeigen Studien die Verminderung von Stress- und Angstzuständen, Verbesserung des Gemütszustands, Verbesserung der Konzentration nach post-traumatischen oder operativen Ereignissen, und Verbesserung der Biomarker auch bei in Therapie befindlichen PatientInnen. 


Vermutet wird eine Wechselwirkung zwischen veränderten Gemütszuständen – wie Entspannung, Lernerfahrung, gesteigerte Ausdrucksfähigkeit, Reflexion, Zerstreuung – und physiologischen Zuständen wie den der Biomarker, was wiederum Körper und Psyche in anderen Bereichen beeinflusst. Langfristig wird aufgrund eines engen Zusammenhangs zwischen Umwelteinflüssen und epigenetischer Veränderung großes Potenzial für Kunst und Kulturerfahrung vermutet, da Umwelteinflüsse mitbestimmen können, welche Information des Erbguts „angeschaltet“ wird und welche epigenetischen Marker weitervererbt werden. Stress und negative Einflüsse spielen dabei eine Rolle.[12] Zusätzlich wird der Beitrag der spezifischen Kunsterfahrung, der jeweiligen ästhetischen Qualitäten der Kunstformen, über die Sinne durch neurologische Studien und Biofeedback gemessen. 

Agent Unicorn
Agent Unicorn von Anouk Wipprecht. Ein exploratives, künstlerisches Projekt, wie neue Technologien wie 3D-Druck und Brain-Computer-Interfaces kreativ genutzt werden können, um ADHS Therapien zu unterstützen © Marije Djikema

 

Gezielter Einsatz vor allem von Kunst und künstlerischen Prozessen zur Unterstützung in Heilprozessen und von SchmerzpatientInnen, bei unterschiedlichen Krankheitsbildern bis hin zur Unterstützung psychischer Gesundheit in der Krebsbehand- lung, in der Physiotherapie, Psychotherapie und Mediationen wird durch die Ergebnisse klinischer und neurologischer Studien unterstützt.[13] Effekte zeigen sich für einen Großteil der StudienteilnehmerInnen unabhängig von Alter, Geschlecht oder künstlerischen Vorkenntnissen. Die genutzten Kunstformen reichen dabei von Musik, Tanz, Malerei, Theater, kreativem Schreiben bis hin zu kreativer Betätigung mit Holz oder Ton. Rhythmen, Schall und Bewegung können bei Musik und Tanz hervorgehoben werden, wie Ausdrucksfähigkeit und Verarbeitung von Situationen in Theater, Malerei und kreativem Schreiben oft genutzt wird. Durch eine Analyse der jeweiligen Besonderheiten können kunsttherapeutische Ansätze speziell für Krankheitsbilder und psychische Erkrankungen oder Stresssituationen entworfen werden. 

Der Wert von Kunst und Kultur für die psychische Gesundheit von Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen, von Menschen mit und ohne Beeinträchtigung, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Neben Stressreduktion und Entspannung werden bei Erkrankungen wie Depression, Demenz, Alzheimer, sowie in der Traumabewältigung große Erfolge erzielt, was u. a. mit Selbsterfahrung, Selbstre exion, Stärkung von Wahrnehmung und Erinnerungsvermögen, sowie Verarbeitung von Situationen und sozialen Prozessen argumentiert wird.[14] 
 

Bei all diesen wesentlichen Beiträgen und Möglichkeiten, die Kunst und Kultur für Gesundheit und Wohlbefinden – gesellschaftlich und individuell – bieten, sollte dieser Bereich nicht als Sahnehäubchen im Laufe des Lebens verstanden werden, sondern als zentraler Bestandteil, dem die notwendige Zeit, Aufmerksamkeit, ausreichend Raum und Mittel gewidmet werden müssen. 
 

 

Claudia Schnugg ist Wissenschaftlerin, Beraterin und Kuratorin mit dem Schwerpunkt Kunst und Wissenschaft. Die Frage, was es denn heißt, dass Kunst (etwas be)wirkt, begleitet sie seit über zehn Jahren. 

Coverfoto: Positive Reinforcement (2013) vom Institute for New Feeling. In der Ausstellung Group Therapy: Mental Distress in a Digital Age, kuratiert von Vanessa Bartlett. UNSW Galleries, Sydney, 2017. © Silversalt


1 Eine kleine Auswahl: Die Studie von Bygren et al. (1996) ergab, dass ein wöchentlicher Besuch von kulturellen Veranstaltungen einen positiven Effekt auf Langlebigkeit
der ProbandInnen hatte. Ihre bis 2000 weitergeführte Studie zeigte ein ähnliches Ergebnis. Die Studie von Sundquist et al. (2004) zeigt die höchste Signifikanz bei verringerter Rate von Herzkrankheiten und Sterblichkeit bei ProbandInnen mit hoher Aktivität bei Besuchen von Kino, Konzerten und Theater. Auch die Studie von Hyyppä et al. (2007) zeigte ein ähnliches Bild.
2 Theorell et al. (2013): Is cultural activity at work related to mental health in employees? International Archives of Occupational and Environmental Health 86(3): 281-288. 
3 Bennett, O & Belfiore, E (2008): The Social Impact of the Arts. An intellectual History. Basingstoke: Palgrave Macmillan.
4 Salutogenese ist als jener Prozess aus unterschiedlichen Faktoren zu verstehen, die zu Gesundheit, Wohlbefinden und Gesunderhaltung führen. Es wird auch als Gegenteil zur Pathogenese beschrieben. Nach dem Soziologen Antonovsky steht das Kohärenzgefühl im Mittelpunkt der Salutogenese. Das Kohärenzgefühl besteht aus drei Komponenten: Gefühl der Verstehbarkeit (Zusammenhänge des Lebens zu verstehen), Gefühl der Bewältigbarkeit (auch Selbstwirksamkeit, Fähigkeit, sein eigenes Leben gestalten zu können), Gefühl der Sinnhaftigkeit (Sinnhaftigkeit des Lebens, Glaube, dass Dinge im Leben interessant sein können).
5 Benz, C., Bull, T., Mittelmark, M., Vaamdrager. L. (2014): Culture in Salutogenesis. The scholarship of Aaron Antonovsky Global Health Promotion 21(4): 16–23 
6 Davies et al. (2014): The art of being healthy. A qualitative study to develop a thematic framework for understanding the relationship between health and the arts. BMJ Open 4(4)
7 Bartlett (2019): Psychosocial curating. A theory and practice of exhibition-making at the intersection between health and aesthetics. Medical Humanities, online abgerufen am 14. 10. 2019 unter: https://mh.bmj.com/content/ early/2019/10/09/medhum-2019-011694 
8 Gray, M., and Schubert, L. (2010): Turning Base Metal into Gold. Transmuting Art, Practice, Research and Experience into Knowledge. British Journal of Social Work 40(4)
9 All-Party Parliamentary Group on Arts, Health and Wellbeing (2017): Inquiry Report. Creative Health: The Arts for Health and Wellbeing 
10 Braun-Lewensohn, O., Idan, O., Lindström, B. and Margalit, M. (2017): Salutogenesis. Sense of Coherence in Adolescence. The Handbook of Salutogenesis. Chapter 14: 123 – 136 
11 Kaimal, G. et al. (2016): Reduction of Cortisol Levels and Participants’ Responses Following Art Making. Art Therapy 33(2): 74–80
12 Gordon-Nesbitt, R. (2016): Exploring the Longitudinal Relationship between Arts Engagement and Health. Published by Clive Parkinson, Arts for Health, Manchester. 
13 Stuckey, H. and Nobel, J. (2010): The Connection Between Art, Healing, and Public Health. A Review of Current Literature. American Journal of Public Health 100(2) 
14 Pardo, R. (2014): Self-reference, visual arts and mental health: synergies and contemporary encounters. Thesis. 

IG Magazin 2019
Dieser Artikel ist in der Ausgabe 1.19 „Kultur als Rezept“ des Magazins der IG Kultur Österreich - Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
Das Magazin kann unter @email (5 €) bestellt werden. (1)

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