Im Theater treffen?

Ein Projekt wird abgelehnt, weil man schon ein „Afrika-Projekt“ unterstütze und „Überschneidungen“ zu befürchten sind. Die Förderung von Kunst und Kultur in Wien konzentriert sich ohnehin auf einige wenige Institutionen und ganz wenige Initiativen. Es fehlt an Ausweichmöglichkeiten wie Stiftungen. In der allgemeinen Verknappung verstärkt sich auch die protektionistische Haltung der Begünstigten.

Das Josefstadt-Abonnement-Publikum stirbt aus, tendenziell. Doch das Wiener Theatersystem verhindert weiterhin transkulturelle Produktionen und Realitätskontakt mit der Bevölkerung. Die Studie „Kunst, Kultur und Theater für alle“ analysiert den Rassismus gegenüber Kulturschaffenden mit Migrationsgeschichte und konkretisiert eine mögliche Offensive.

I have to find a place where I am finally not the other, but the self …
This is about me, thank you.

Grada Kilomba am 30.April 2010

Handke als Koproduktion zwischen Graz und Budapest, ein Stück vom Wiener Burgtheater und dem Nature Theater of Oklahoma in englischer Sprache mit deutschen Übertiteln und ein deutsch-schweizer Projekt der Wiener Festwochen mit Partnerhäusern in Italien, Polen, Griechenland, Frankreich und Japan. Für das diesjährige Theatertreffen, von 7. bis 24. Mai 2010 in Berlin, waren „international“ und „Koproduktion“ die Worte. Die Eröffnungsrede im Haus der Berliner Festspiele hielt der ehemalige französische Kulturminister Jack Lang. Und bei einem „transkulturellen Wochenende“ unter dem Namen „Achtung Transit“ sollten, gefördert vom deutschen Auswärtigen Amt, vom Goethe-Institut und von der Allianz-Kulturstiftung, internationale Kunstschaffende und KunstexpertInnen über weltweite Kooperationen und mögliche Missverständnisse diskutieren. Über Transkulturalität in der Situation des Gastspiels.

Und Transkulturalität als Repertoire des Alltags? Hier Othello c’est qui?, in dem die Regisseurin Monika Gintersdorfer, der bildende Künstler Knut Klaßen und der Choreograph Franck Edmond Yao aus der freien Szene heraus einen Blick auf die Shakespeare-Figur erarbeiten, Blicke von kultureller Differenz und Selbstverständnis konfrontieren. Da Der goldene Drache von Roland Schimmelpfennig, eine Burgtheater-Produktion, in der „ein Asiate mit Zahnschmerzen“ illegalisiert im Land lebt und deshalb nicht zum Zahnarzt kann. Ein blutig endendes Stück über Arbeit, Ausbeutung und mangelnde Empathie. Bezeichnend?

In der Wiener Theaterszene ist Differenz-Denken die bestimmende Logik, das zeigt die Studie „Kunst, Kultur und Theater für alle! Impulse für eine transkulturelle Theateroffensive“ des Wiener Kunst- und Kulturvereins IODO unter der Leitung von Theater- und Filmautorin Ülkü Akbaba. Der Befund: Es gibt keine Kunst- und Kulturpolitik für MigrantInnen. Kein Theater spiegelt die Wiener Bevölkerungsrealität wider. Auch im politischen Theater ist die Normalität, dass zwischen Mehrheit und MigrantInnen abgegrenzt wird. Ein Engagement ist meistens nur dann zu haben, wenn erwartete Rollen bedient werden, um größere Publikumsschichten anzuziehen. „Strukturelle oktroyierte Ethnisierung“.

Künstlerin (Herkunftsland), [Herkunftsland] Tage
Umfassend erzählt die AutorInnenschaft – neben Akbaba sind das Ljubomir Bratic´, Andreas Görg, Sarah Galehr und Gabriele C. Pfeiffer, die in Kunst- und Kulturpraxis, Philosophie, Sozialwissenschaft, Projektmanagement und AMSBeratung schwerpunktmäßig zu Antidiskriminierung arbeiten – von den rassistischen Qualitäten der Wiener Schauspielkunst. „Eine selbstbestimmte oder zugeschriebene ethnische Identität“, so die nüchterne Zusammenfassung der Erfahrungen von durchwegs anonym bleibenden Interviewten aus der lokalen Kunst- und Kulturszene „steht derzeit der beruflichen Laufbahn von KünstlerInnen und Kulturschaffenden mit Migrationshintergrund im Weg“. Eine Schauspielerin erzählt, dass sie in Österreich nur Angebote mit Kopftuch bekomme. In der Schule habe sie perfekt Deutsch gelernt, aber am Set solle sie dann sprechen „wie die Kanaken“. Eine andere sollte aus dem Konservatorium gemobbt werden, weil sie sich als Schwarze doch nicht österreichisch bewegt. Es gibt auch Zahlen für die rassistische Normalität bei Bewerbungen an Theaterschulen: Eine Frau mit türkischem Familienhintergrund verschickte nach Ende ihrer Ausbildung schriftliche Bewerbungen. 300 Briefe nach Österreich, 180 nach Deutschland. In Deutschland bekam sie 50 Vorsprechtermine und sonst die üblichen Absagebriefe, dass man derzeit keine SchauspielerInnen suche und so. Aus Österreich kam eine Einladung und sonst keine Reaktion.

Kommt dann ein Auftrag, sehen sich KünstlerInnen und Kulturschaffende mit Migrationsgeschichte laut Studie vor dreierlei Situationen: Sie sollen den/die ExotIn spielen und etwa möglichst die zugeschriebene Kunst „aus dem Heimatland“ importieren. Sie fungieren als Ornament, als „Projektionsfläche für die Stadt“ und werden nicht als ernst zu nehmende PartnerInnen im Projekt gleichberechtigt. Oder sie dienen überhaupt als Alibi. Dann muss eine Künstlerin zum Beispiel dafür kämpfen, dass im Ankündigungstext nicht bei ihr einzig und allein neben dem Namen das Herkunftsland geschrieben steht. Dann muss sie dafür kämpfen, einfach mit ihrem Namen zu stehen. „Es ist zu eng, zu verschlossen“, heißt es in einem Gespräch: „Ich kenne meine Grenzen und Barrieren, und ich weiß, ich kann da nicht mehr weiter! Im Kulturbereich kann ich mich nicht mehr weiterentwickeln, ich stehe vor einer Mauer!“

Doch der Kultur-Rassismus geschieht nicht nur zwischen diesem Jurymitglied und jener SchauspielerIn. Er steckt in den Häusern. In den Hierarchien der Häuser von Stadt- und Staatstheater, in Klein- und Mittelbühnen, freier Szene, im Theater von und für MigrantInnen. Innerhalb der Häuser wird Interkulturalität versucht. Es gibt momentan mal einen Schwerpunkt, die [Herkunftsland] Tage zur Kultur dieses bestimmten Landes, nicht als Äußerung, die sich in Österreich heimatlich positioniert. Es herrscht das „Paradigma der Festivität“, ein Gegenstück zu kontinuierlichem Arbeiten. Internationalität und Interkulturalität, das zeigen auch die diesjährigen Einladungen zum Theatertreffen, finden sehr wohl statt. Sie sind aber das Resultat einer gezielten temporären Einladungspolitik, des Gastspiels und nicht das einer Öffnung. Sie werden importiert, meistens durch große Namen aus dem Nord-Westen. „Solchermaßen bleibt das Fremde außen verortet.“

Antrag auf Dilettantismus
Dieses Programm ist auch eine Konsequenz der städtischen Diversitätspolitik. Das Konzept der Diversität schafft nach Ansicht der AutorInnen eine „leere Mitte, eine Dethematisierung der Mehrheitskultur des Mainstreams“. Machtasymmetrien und Rassismus sind in diesem kulturellen Top-Down-Modell nicht verhandelbar. Man bleibt in Denkfiguren und Organisationsstrukturen verhaftet, während bestimmte Leute leer ausgehen. So beschäftigt sich die städtische Kulturabteilung (MA 7) nicht mit MigrantInnen und ihren Nachkommen als KulturproduzentInnen, auch nicht als Publikum. Beim Punkt „Interkulturelle Angelegenheiten“ beschränkt sie sich auf folkloristische Kleinveranstaltungen und die Unterstützung von Festen nach dem Gießkannenprinzip. Dabei können diese Veranstaltungen, wie die Studie festhält, durchaus wichtige Funktionen für die Diaspora erfüllen, sie erfüllen dabei aber keinen künstlerischen Auftrag, sondern Aufgaben, für die eigentlich die Abteilung für Integration und Diversität (MA17) zuständig wäre. Diese Abteilung wiederum kümmert sich dezidiert nicht um die Belange von KünstlerInnen und Kulturschaffenden. Das heißt, laut Antragsschema gibt es weder qualitative migrantische Kunst noch kulturellen Antirassismus. Und das Antragsschema gestaltet seine Wirklichkeit. Gute Beispiele, Projekte, die aus eigener Tasche finanziert trotzdem entstehen, bekommen keinen Modellcharakter und geraten in Vergessenheit. „Wenn das so weitergeht, die Kultursubventionen an migrantische Kunst,“ so ein Statement, „ist das nichts anderes, als Reservate schaffen. Ihr bekommt Geld und müsst so bleiben, wie ihr seid.“

Ein Projekt wird abgelehnt, weil man schon ein „Afrika-Projekt“ unterstütze und „Überschneidungen“ zu befürchten sind. Die Förderung von Kunst und Kultur in Wien konzentriert sich ohnehin auf einige wenige Institutionen und ganz wenige Initiativen. Es fehlt an Ausweichmöglichkeiten wie Stiftungen. In der allgemeinen Verknappung verstärkt sich auch die protektionistische Haltung der Begünstigten. Für MigrantInnen bleiben einstweilen „die Brösel übrig, die vom Tisch fallen“, wie es in der Studie heißt. Oft ende das Gespräch überhaupt auf der „Argumentationsebene der Unmöglichkeit“ – kein Geld! – ohne inhaltliche Auseinandersetzung. „Gerade gegenüber Theater- und Kulturinitiativen von Minderheiten bleibt die Kontinuität ein obrigkeitlicher Gnadenakt.“ Durch die mangelnde Förderung müssen MigrantInnen als Kunst- und Kulturschaffende oftmals in der Un- oder Semiprofessionalität verharren. Auch die kulturelle Förderung von Jugendlichen beschränkt sich oft auf Maßnahmen von SozialarbeiterInnen, aus der Sicht der KünstlerInnen teilweise Kultur als Beschäftigungstherapie. Solchermaßen, so die AutorInnen, ist Dilettantismus, der später KünstlerInnen und Kulturschaffenden mit Migrationshintergrund vorgehalten wird, strukturell verankert. Die österreichischen Fremdengesetze, die fehlende Anerkennung von Ausbildungen und die restriktive Vergabe von KünstlerInnenvisa tun ihr übriges.

Neue Formen
„Kunst, Kultur und Theater für alle!“ als transkulturelle Theater-Offensive für die Jahre 2010 bis 2015, das ginge so: Eine Projektagentur könnte KünstlerInnen und Kulturschaffende bei den buchhalterischen, organisatorischen Aufgaben unterstützen, gleichzeitig Know-how weitergeben und Förderungen für Leute abseits des Mainstream-kulturellen Habitus und vorhandener kreativer Klüngel öffnen. Auch ein mit zusätzlichem Budget ausgestattetes, unabhängiges Gremium wie der Berliner Rat der Künste wäre dafür hilfreich. Eine Clearingstelle könnte Schauplätze für temporäre Bespielung vermitteln. Finanziell empfiehlt die Studie für eine Hand voll transkultureller Projekte, das gesamte Ensemble inklusive Technik für drei Jahre zu finanzieren. In einer zeitgemäßen Kulturstadt müssten schließlich transkulturelle Häuser entstehen. Mindestens zwei. Wie das MC, das aus Made in da Schade und Cosmic Theater in Amsterdam entstanden ist. Es versteht sich als „venue for new times in old cities“, die Theaterproduktionen, ein Ausbildungsprogramm und ein dreitägiges Festival mit neuen Stücken unter ein Dach bringt. 2010 eröffnet es ein eigenes Gebäude in der Westergasfabriek in Amsterdam mit zwei Studios, Platz für 200 Leute und Essen/Trinken/Tanzen. Neben dem Leiter Lucien Kembel und der künstlerischen Leitung von Marjorie Boston ist ein vierköpfiges künstlerisches Team finanziert sowie zwölf weitere künstlerische, organisatorische und technische MitarbeiterInnen. Oder wie das Theater Royal Stratford East in London. Ein Theater „so nahe wie Schulen oder Orte der Religionsausübung“. Orte, die multifunktional Menschen verschiedener Bedürfnisse zusammenbringen. Ein Restaurant, um die Hemmschwelle zu senken, eine bewusste Ortentscheidung weg von den bildungsbürgerlichen Bezirken und in allen Tätigkeitsfeldern ein Ausbildungsangebot. Orte, wo es nicht ethnische Stücke spielt, sondern nach neuen Formen gesucht wird. Wo „Echtheit nicht durch Authentizität erreicht wird“, wie Shermin Langhoff im Interview sagt. Sie leitet in Berlin das Festival Beyond Belonging des Theaters Hebbel am Ufer und seit 2008 das Ballhaus Naunynstraße. „Sondern durch Reflexion.“ Was wäre das für ne Koproduktion.

Literatur
IODO (2009): Kunst, Kultur und Theater für Alle! Impulse für eine transkulturelle Theateroffensive. Studie zu Perspektiven der Kunst- und Kulturpolitik Wien 2010 – 2015 mit besonderem Fokus auf Migrationsrealität, Wien. Unter: www.iodo.at/studie.htm

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