Let's organize. Modelle der Organisierung in den Creative Industries

„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Diese Erkenntnis von Karl Valentin lässt sich auch auf die zur Zeit allseits beschworenen Creative Industries umlegen. Rezente Arbeiten zeigen, dass die Arbeitsverhältnisse in diesem politisch intensiv beworbenen und unterstützten Feld signifikant schlechter sind als in nicht-kreativen Bereichen mit vergleichbarem Qualifikationsniveau der Beschäftigten.

„Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.“ Diese Erkenntnis von Karl Valentin lässt sich auch auf die zur Zeit allseits beschworenen Creative Industries (CI) umlegen. Rezente Arbeiten[1] zeigen, dass die Arbeitsverhältnisse in diesem politisch intensiv beworbenen und unterstützten Feld signifikant schlechter sind als in nicht-kreativen Bereichen mit vergleichbarem Qualifikationsniveau der Beschäftigten. Und die Bezahlung ist auch nicht besser. Wenn die CI im Kern als jene Berufsfelder gefasst werden, die mit jenen der angewandten Kunst identisch sind (Grafik, Design, Mode, Architektur), so finden sich dieselben Arbeitsverhältnisse, wie sie auch die nicht kommerziell ausgerichteten Kunstberufe prägen. Entgrenzungsphänomene auf verschiedenen Ebenen (Raum, Zeit, Privat-/Berufsleben etc.) treffen auf ein überdurchschnittlich hohes Ausbildungsniveau bei Einkommen, die sich um die Armutsgrenze bewegen.

Arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen und sozialrechtliche Standards, die seit langem unumstößlich schienen, sind keiner Erwähnung mehr wert, ganz zu schweigen von neueren anti-diskriminatorischen Instrumenten. Vergleiche mit den Arbeitsverhältnissen der Zwischenkriegszeit drängen sich auf, wenn ein Krankenstand den Rausschmiss aus einer ohnehin prekären Teilzeit-Projektstelle zur Folge hat. Informelle Netzwerke dominieren die einzelnen Berufsfelder, was wiederum diejenigen begünstigt, die entweder genügend Zeit zur Verfügung haben, oder bereits auf tragfähige Netzwerke aufbauen können. Im Idealfall natürlich beides. In der Realität verfestigen sich dabei die vorhandenen Machtstrukturen der dominanten Gruppe – und das sind in den meisten Gesellschaften immer noch die der Männchen der Mehrheitsgesellschaft.

Im Gegensatz zu KünstlerInnen im engeren Sinne handelt es sich bei den Beschäftigten in den CI um Personen, die zwischen allen Stühlen sitzen. Und das sogar in verschiedenen Räumen. Einerseits arbeitet eine immer kleiner werdende Gruppe von ihnen (tendenziell die, die sich in politisch vorgegebenen Definitionen der CI im ökonomischen „Speckgürtel“ der CI befinden, also im IT- und Medienbereich) in „Normalarbeitsverhältnissen“ (zur Definition siehe den Artikel von Nicole Mayer-Ahuja in dieser Ausgabe). Der Rest – die überwiegende Mehrheit also – befindet sich in einem prekären Zwischenbereich. Sie sind weder UnternehmerInnen im ökonomischen Sinn, noch traditionelle FreiberuflerInnen (mit Ausnahme der ArchitektInnen, deren Arbeitsfeld noch spezifischen Regulierungen und Zugangsbestimmungen unterliegt), sondern hybride Mischwesen, die von den Rahmenbedingungen des (Arbeits-)Marktes, die entweder auf Selbständige/UnternehmerInnen oder Unselbständige zugeschnitten sind, nicht berücksichtigt werden. Denn: Tertium non datur – zumindest nicht in arbeitsrechtlichen Definitionen.

Desinteresse der Vertretungen

Auch die verschiedenen Interessenvertretungen/Organisierungsformen, die sich im Laufe der Zeit herausgebildet haben, nehmen diese Gruppe nur zögerlich zur Kenntnis, was allerdings auf Gegenseitigkeit beruht. Und auch die selbst organisierten Interessenvertretungen des Kunstfeldes können mit den letztlich auf kommerziellen Erfolg abzielenden Kreativen nur wenig anfangen. Ungeachtet der diversen ideologischen Gräben und kollektiven Antipathien, die hier verstärkend wirken mögen, werden die spezifischen Bedürfnisse der Kreativen von keiner Seite wirklich vollständig abgedeckt. Traditionelle Vertretungen wie die Gewerkschaften verstehen nach wie vor weder die intrinsische Logik, noch die dynamische Netzwerkstruktur oder die konkreten Arbeitsbedingungen dieses Sektors, der sich auch noch mal von nicht-kreativen Prekarisierten wie beispielsweise Call-Center-Agents unterscheidet, da „kreative“ Arbeit höchstgradig individualisiert ist und es keinen integrierten Arbeitsmarkt gibt.

In diesen Eigenheiten liegt auch der Grund dafür, dass es beispielsweise kaum je zu arbeitsrechtlichen Klagen kommt. Darüber hinaus ist Projektarbeit an sich mit den dazugehörigen Vertragsformen bereits so angelegt, dass bestehende Standards untergraben werden, nicht zuletzt dadurch, dass es zu einer Verlagerung der Arbeit in meist private Räume kommt, in denen jene Schutzformen, die in einem betrieblichen Kontext vorhanden sind, außer Kraft gesetzt werden. Solange aber herkömmliche Arbeitsformen die Matrix bilden, an der ArbeitnehmerInnenrechte und deren Durchsetzung aufgespannt sind, wird an der Realität der Kreativen vorbeigezielt.

Neue Widerstandsformen gegen alte Ausbeutungsstrukturen

Dieses Versagen staatlicher und parastaatlicher Strukturen macht es nötig, neue, bottom-up Organisationsformen für den Bereich der CI zu schaffen. Dies ist indes nicht gleichzusetzen mit einer Entlassung des Staates aus seiner Verantwortung, insbesondere da prekarisierte Lebens- und Arbeitsbedingungen kein Spezifikum eines kleinen Sektors sind, sondern zunehmend größere Teile der Bevölkerung betreffen – die CI sind hier weniger aufgrund sozio-ökonomischer Besonderheiten von Relevanz, als wegen ihrer Funktion als Role Model einer gesellschaftspolitischen Entwicklung, die Prekarität und ungeklärten sozialen Status als die neue Freiheit der nicht entfremdeten Vereinigung von Arbeit und Privatleben abfeiert. Die einzige akzeptable Lösung für die unzumutbaren Folgen von Prekarisierung ist offensichtlich ein allgemeines Grundeinkommen – auch wenn diese Forderung ohne weitere Konkretisierungen mindestens ebenso viele Fragen offen lässt, wie sie beantwortet.

Über diese allgemein-gesellschaftliche Notwendigkeit hinaus sind weitere Formen sozialer Absicherung wie auch von Solidarisierung zu entwickeln, die der Situation der Kreativen in den CI angemessen sind. Die „Creative Entrepreneurs“ agieren ohne die arbeitsrechtliche Absicherung von ArbeitnehmerInnen und ohne die Marktmacht „echter“ UnternehmerInnen auf einem deregulierten Markt, dem sie in einem hohen Maß ausgeliefert sind. Diese Situation kann nur durch selbst entwickelte Absprachen und Strukturen abgefedert werden, die sich etwa an genossenschaftliche Modelle anlehnen könnten.

Die gemeinsame Nutzung von Infrastruktur, wie sie in den Wiener CI-Zentren Schraubenfabrik und Hutfabrik betrieben wird, könnte dafür einen Ausgangspunkt bieten. Kontinuierlicher Informationsaustausch kann der Weitergabe von Erfahrungen (etwa über realistische Zeit- und Kostenschätzungen bei Projekten) dienen und damit verhindern, dass die Kreativen von ihren AuftraggeberInnen gegeneinander ausgespielt werden. Abmachungen über Mindestleistungsabgeltungen in Kombination mit einem gegenseitigen Versicherungsprinzip für Verdienstentfall wären ein wichtiger nächster Schritt. Längerfristig ist vorstellbar, dass etwa auch anti-diskriminatorische Regulierungen auf diese Art implementiert werden.

Für die Entwicklung derartiger Strukturen ist es allerdings notwendig, dass sich die Kreativen in den CI in einer Form selbst definieren, die Solidarisierung möglich macht. In Österreich ist diese Voraussetzung bisher nicht gegeben – der Hype der CI hat diejenigen nicht erreicht, die hier gehypet werden. Nach wie vor fühlen sich die Kreativen in erster Linie ihrer Sparte zugehörig, verstehen sich also als GrafikerInnen oder ModeschöpferInnen, nicht als Teil der CI. Und auch die eigenen Lebens- und Arbeitsbedingungen werden kaum auf ihre Kompatibilität mit persönlichen Lebensentwürfen analysiert – während es etwa den französischen „Intermittents du Spectacle“ gelungen ist, ihren Anspruch auf zeitweilige Lohnarbeitsverhältnisse in Verbindung mit ständiger sozialer Absicherung gemeinsam zu formulieren und zu verteidigen.

Der kritische Diskurs über die CI, der sich zur Zeit vermehrt entwickelt, könnte zum Selbstverständnis der Kreativen beitragen und ihre Politisierung ermöglichen. Eine Politisierung, die sinnvollerweise über den Sektor der CI hinausgehen sollte – was aber nur realistisch erscheint, wenn sich die Kreativen an der Entwicklung politischer Ansprüche beteiligen, um sich in diesen auch wieder finden zu können. Während etwa die Mayday-Bewegung wichtige Forderungen in Hinblick auf diejenigen entwickelt, für die Arbeit außerhalb von Anstellungsverhältnissen nichts anderes als erhöhte Ausbeutung bedeutet, findet die spezielle Mischung aus selbst gewählter Unabhängigkeit und erzwungener sozialer Unsicherheit hier bisher kaum Platz. Trotzdem erscheint die Entwicklung gemeinsamer Standpunkte in Hinblick auf konkrete Fragen sinnvoll und realistisch.

Diese Überlegungen können in zweierlei Hinsicht enttäuschend wirken – sie sind zugleich utopisch und althergebracht. Utopisch, weil sie – zumindest bisher – nicht von einem bestehenden Selbstverständnis der Betroffenen getragen werden, und althergebracht, weil die Modelle keinerlei Anspruch auf Neuheit erheben können. Diese Diskrepanz kann als direkte Folge der widersprüchlichen historischen Verortung der derzeit stattfindenden Prekarisierung verstanden werden, die einerseits einen Bruch mit wohlfahrtsstaatlichen Standards darstellt, die unser politisches Denken über mehrere Jahrzehnte hin bestimmt haben, und die andererseits ein sehr altes Muster wiederholt – nämlich die ungebrochenen Ausbeutungsverhältnisse des Frühkapitalismus. Weswegen es Sinn macht, sich von der behaupteten Innovativität der „neuen Selbständigkeit“ nicht verwirren zu lassen, sondern dem klassischen Muster kapitalistischer Ausbeutung die ebenso klassische Reaktion der Entwicklung von Organisationsformen zur Verteidigung und Entwicklung sozialer und politischer Rechte entgegenzusetzen.

1 Vgl. z.B. das von FORBA eben fertig gestellte Forschungsprojekt „Nachhaltige Arbeit und Beschäftigung in den Wiener Creative Industries“, zum Bericht

Elisabeth Mayerhofer ist Geschäftsführerin der IG Kultur Österreich und Mitglied von FOKUS.

Monika Mokre ist Vorsitzende von FOKUS, der Forschungsgesellschaft für kulturökonomische und kulturpolitische Studien, stellvertretende Direktorin des EIF, Institut für europäische Integrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und Vorstandsmitglied des eipcp, European Institute for Progressive Cultural Policies.

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