Urheberrechtskampagnen und der Halbwilde

Die Frage, die sich aufdrängt, ist, warum die Geschäftsmodelle fast 15 Jahre nach einer breitflächigen Digitalisierung und nach der Verbreitung von Filesharing-Technologien immer noch die gleichen sind? Wie kann es sein, dass ein derartiger Einschnitt in die ökonomischen Rahmenbedingungen keine Reaktion seitens der Industrie nach sich zieht und notwendige Adaptierungen nicht angegangen werden?

Für lösungsorientierte Ansätze in der Diskussion um den Zusammenhang zwischen Urheberrecht und Digitalisierung. 

In dem Lied „Der Halbwilde“ besingt Helmut Qualtinger die Wiener Version eines Marlon Brando und beschreibt die Trostlosigkeit eines Getriebenen mit den Worten: „… zwar hab ich ka Ahnung, wo ich hinfahr’, aber dafür bin i gschwinder dort!“ Dieses Bild erinnert stark an Vorkommnisse der vergangenen Jahre, die in den letzten Monaten eine Dynamisierung erfahren haben: Die Diskussionen um das Urheberrecht im digitalen Raum und auch die Forderungen in diversen nationalen und internationalen Kampagnen sind denkbar unfokussiert und nicht zielorientiert. War der Halbwilde noch vom Fortschritt der Motorisierung getrieben, so ist es die Contentindustrie von der Digitalisierung und der neuen Rolle von KonsumentInnen, die gleichzeitig auch DistributorInnen und ProduzentInnen sein können. Die Diskussion um den Zusammenhang zwischen Urheberrecht und Digitalisierung ist von vielem geprägt, zum Beispiel von ziellosen Forderungen, von Fehlinformation, von ökonomischem Unverständnis und vor allem von rhetorischer Härte und gegenseitigen Vorwürfen. Dass dabei die Suche nach lösungsorientierten Ansätzen zu kurz kommt, wundert nur wenig, denn diese sind völlig aus dem Fokus geraten.

Keine Chance auf die Realisierung neuer Geschäftsmodelle

So schnell der Halbwilde auch durch die Gegend fährt, er scheint nirgends anzukommen. Weder Digitales Rechtemanagement (DRM) noch Klagsfluten (in den USA) noch das Vorgehen der Rechtsabteilungen gegen Filesharing-Betreiber scheint gefruchtet zu haben. Die Frage, die sich aufdrängt, ist, warum die Geschäftsmodelle fast 15 Jahre nach einer breitflächigen Digitalisierung und nach der Verbreitung von Filesharing-Technologien immer noch die gleichen sind? Wie kann es sein, dass ein derartiger Einschnitt in die ökonomischen Rahmenbedingungen keine Reaktion seitens der Industrie nach sich zieht und notwendige Adaptierungen nicht angegangen werden? Der durchwegs neoklassische Ökonom Hal Varian zeigte sich bereits im Jahr 2000 davon überzeugt, dass es demnächst neue Geschäftsmodelle geben würde. Die Ökonomin Lisa Takeyama zeigte bereits sechs Jahre zuvor, also 1994, auf, dass neue Geschäftsmodelle gänzlich anders als bisher funktionieren müssen, und verwies auf die steigende Bedeutung von Netzwerkeffekten in diesem Zusammenhang. Unternehmen wie Google, Facebook, Amazon, Twitter und viele mehr basieren genau darauf – sie alle sind weit von einer Krise entfernt. Auch die Gaming Industrie hat sich andere Geschäftsmodelle gesucht, lediglich die klassischen Sparten konnten die Zeichen der Zeit nicht deuten und sind sehenden Auges auf die Bananenschale zugesteuert und ausgerutscht.

Warum es so kam, wie es kommen musste, ist auch erklärbar. Erstens weil eine paradigmatische Änderung auch im Sinne von Joseph Schumpeters Konzept der „kreativen Zerstörung“ für die bestehenden industriellen Strukturen gefährlich ist und zweitens, weil es eine Rechtsnorm gibt (das Urheberrecht), die seitens der absterbenden, aber immer noch sehr finanz- und lobbystarken Industriezweige zu deren Gunsten instrumentalisiert werden kann. Eine Krise kann als Zustand gesehen werden, in dem alte Modelle nicht funktionieren, neue aber noch nicht ausgereift sind; so stellt sich die derzeitige Situation dar.

Unerwünschte Nebenwirkungen des Urheberrechts

Aus ökonomischer Sicht ist das Urheberrecht ein staatlich gewährtes Regulativ, eine staatliche Intervention und keineswegs natürlich. Es wurde aufgrund seiner regulierenden Wirkung eingeführt, um einen Markt simulieren zu können, wo tatsächlich keiner ist. Diese regulierende Wirkung wurde, wenn auch stets etwas scheel beäugt, auch von VertreterInnen neoklassischer Theorien als das geringste Übel anerkannt und so folgte man dem Coase’schen Theorem (auch wenn er selbst dies nie für Immaterialgüter argumentiert hatte), wonach Märkte besonders dann gut funktionieren, wenn es klar definierte Eigentumsrechte gibt. Solange ausschließlich mit physischen Gütern gehandelt wurde, also mit Trägermedien und nicht mit Immaterialgütern (also den Inhalten an sich), gab es diese klar definierten Eigentumsrechte auch. Kurz, die regulierende Wirkung dieser staatlichen Intervention, des Urheberrechts, war durchwegs erwünscht und bekannt. Diskutiert wurde die optimale Länge der Schutzdauer eines solchen Rechts, der Geltungsbereich und vieles mehr. Das Problem, das sich heute stellt, ist jedoch keines der Schutzdauer, des Umfanges oder der Durchsetzung, sondern jenes, dass vom Urheberrecht nicht nur die bekannten und erwünschten regulierenden Wirkungen ausgehen, sondern auch bislang noch nicht bekannte, unerwünschte Nebenwirkungen. Diese treten dann auf, wenn es zu einem paradigmatischen Wechsel kommt, so wie im Falle der Digitalisierung, denn da kann das Urheberrecht dazu missbraucht werden, mithilfe eines staatlichen Regulativs alte Industriezweige länger als notwendig am Leben zu erhalten und neue Geschäftsmodelle zu verhindern. Durch den Einfluss der Lobbys der oligopolistisch organisierten Musik- und Filmindustrie ist es möglich, die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht nur nicht an die Zeit anzupassen, sondern im Gegenteil auch noch weiter von der Realität zu entfernen. Ihre Macht beziehen sie aus der Funktion und den Gewinnen als Flaschenhals, die sie in der analogen Welt eingenommen haben und über die sie steuern konnten, wann welcher Inhalt wo gezeigt, gespielt und vor allem verkauft wird.

Diese Flaschenhalsfunktion gibt es auch heute noch, allerdings nur auf dem Papier, denn der legalen Welt der Contentindustrie steht eine „illegale“ und unkontrollierbare gegenüber. Zwar haben beispielsweise DVDs nach wie vor Regionalcodes und sollten nur dort gekauft und abgespielt werden können, wo es dem zuständigen Label passt, allerdings ist die Durchsetzung heutzutage nicht mehr möglich. Kommt beispielsweise ein Film zuerst in den USA auf den Markt und erst nach einigen Monaten nach Europa, dann war es früher möglich, gezielt die Kinostarts zu verteilen, Kopien zu verschicken und auch auf nationale Gegebenheiten (Ferien; andere Filme, die gerade zur selben Zeit laufen etc.) Rücksicht zu nehmen. Alles, was heute garantiert werden kann, ist, dass es in diesem Zeitraum keine legale Möglichkeit gibt, diese Filme zu sehen, das heißt aber eben nicht mehr, dass es keine Möglichkeit gibt. Kurz: Das World Wide Web ist eben kein Nation Wide Web und kann auf diese Art und Weise nicht reguliert werden.

Ein anderes Problem liegt darin, dass im Besonderen die OligopolistInnen den KonsumentInnen vorschreiben, zu welchen Bedingungen die CDs, DVDs oder auch E-Books erworben werden können: ob und wenn ja, wie oft die Werke (privat) kopiert werden dürfen, ob man bei einem Film die Werbeeinschaltungen vor dem Hauptfilm überspringen darf, über welche Plattformen heruntergeladen werden darf und nebenbei auch noch wann und in welchen Ländern und in welcher Version konsumiert werden darf. All diese Einschränkungen gelten natürlich nur für den legalen Konsum und nicht für widerrechtlich zustande gekommene Kopien. Folglich sind widerrechtliche Kopien sowohl in ihrer Verfügbarkeit als auch bezüglich ihrer Usability oft weitaus konsumentInnenfreundlicher. Hier fehlt es deutlich an wirtschaftlichem Denken, wenn die legalen Kopien qualitativ minderwertiger sind als die daraus entstandenen Derivate. Es wird von KonsumentInnen also nicht nur verlangt, dass sie sich dem Diktat unterwerfen, wann sie wofür ihr Geld ausgeben dürfen (man fühlt sich dabei oft schon als BittstellerIn), sondern erhält darüber hinaus auch noch ein limitiertes Produkt, das vielleicht aufwändig verpackt ist, aber eben in der BenutzerInnenfreundlichkeit der widerrechtlichen Kopie nachsteht.

Das ökonomische Argument, warum das Urheberrecht und der dadurch fingierte Markt effizienter als alles andere waren, besteht im Wesentlichen aus der Behauptung, dass die VerwerterInnen ein Eigeninteresse haben, die Inhalte möglichst gut und effizient zu verteilen. Ob dies jemals wirklich der Fall war, sei dahingestellt, aber dass die Eigeninteressen im digitalen Raum nicht mehr mit gesellschaftlichen Interessen ident sind, ist mehr als deutlich. Es ist also hoch an der Zeit, über neue Modelle nachzudenken.

Gesetzliche Lizenzen

Im Internet gibt es eine Tendenz hin zu sogenannten One-Stop-Shops, die eine große Bandbreite an Werken anbieten, und weg von NischenhändlerInnen. Das heißt nicht, dass Nischenprodukte im Internet weniger Beachtung finden (Long tail), bei einem Abomodell erwarten KonsumentInnen aber beispielsweise, dass möglichst alles verfügbar ist und nicht ein Abo die eine und ein anderes die andere Musikgattung abdeckt. Folglich sollten alle Plattformen nach Möglichkeit auch alles anbieten können. Wird ein Geschäftsmodell gefunden, so braucht es vor allem inhaltliche Breite – und diese hängt derzeit von dem Einverständnis der OligopolistInnen ab, da diese die Verwertung ihrer Kataloge untersagen können, was zu dem Zustand führt, dass die untergehende Industrie das Recht besitzt, einen Großteil der Inhalte des 20. Jahrhunderts unter Verschluss zu halten. Der einzige Ausweg aus der derzeitigen Misere wäre die Aufgabe bzw. die gesetzliche Streichung dieses Rechts. Dies ist nicht unüblich und ist auch im Falle der Radios bereits Realität. Kein Radiosender muss um Erlaubnis fragen, was gespielt werden darf, es gibt lediglich eine Verpflichtung zur Kompensation. Analog sollten registrierte HändlerInnen, Plattformen und Internetportale alles anbieten können, was im digitalen Raum angeboten werden kann, und dafür die Kreativen kompensieren. Denn es wird nicht nur den KonsumentInnen vorgeschrieben, was sie wann, wo und in welcher Form konsumieren dürfen, sondern auch dem Handel wird vorschrieben, was, wann, wo und in welchem Format verkauft werden darf. In dem Moment, wo diese gesetzliche Schranke fällt und alle digitalen Inhalte von allen angeboten werden dürfen, werden auch schnell neue Geschäftsmodelle entstehen.

Eine solche Lösung wäre derzeit im Interesse aller, der UrheberInnen, des Handels, der KonsumentInnen und auch im Interesse der Verwertungsgesellschaften, denn mögliche Geschäftsmodelle und Einkommensmöglichkeiten gibt es genug, nur sind sie derzeit nicht realisierbar. Sogar Unternehmen wie itunes oder Google scheitern regelmäßig in Verhandlungen mit den Oligopolen, wobei diese Unternehmen durchaus die finanzielle Kraft und die entsprechend ausgestatteten Rechtsabteilungen haben, jahrelange Verhandlungen mit dem Risiko eines Misserfolgs zu führen. Für kleine, innovative Unternehmen, die sich diesen Markt auch erschließen wollen, gilt das aber wohl kaum.

Ein Lösungsansatz, um den Markt zu dynamisieren und neue Geschäftsmodelle zu ermöglichen, die dann wiederum Einkommen für Kreative generieren können, wäre die Einführung von gesetzlichen Lizenzen. Dabei geht es darum, dass Kompensationszahlungen an Verwertungsgesellschaften entrichtet werden müssen, aber keine weiteren Genehmigungen notwendig sind. Gesetzliche Lizenzen haben mehrere Vorteile: Sie sind juristisch im Vergleich zu anderen Modellen leicht umsetzbar, sie stellen einen verhältnismäßig kleinen Eingriff in das Urheberrecht dar und sie bieten die Aussicht darauf, dass nahezu alle Inhalte und Werke auch tatsächlich legal verfügbar wären. Ob dies nun mit Abo-Services, mit Price-per-unit Modellen oder mit Modellen, die auf zweiseitigen Märkten und Netzwerkeffekten basieren, funktioniert, sollen dann die KonsumentInnen entscheiden. Wichtig ist, dass es endlich zeitgemäße Lösungen gibt, die erstens den Kreativen die Möglichkeit auf Einkommen verschaffen, zweitens den Zugang zu Information nicht beschränken und drittens nicht auf der Überwachung des gesamten Internets basieren.

Paul Stepan ist Kulturökonom und arbeitet in Wien (www.fokus.or.at)

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