Verstörende Landschaften

Das nicht plakatierte Plakat wurde zu einem wichtigen Beitrag in der Debatte über Entscheidungsprozesse. Der Zugriff von oben auf den Juryentscheid hat zwar die Förderung verhindert, aber die Qualität des Projekts bestätigt.

Anmerkungen zur Zensur der Tiroler Landesregierung bei TKI open.

Das Fotomotiv mit der unverbauten Landschaft – ein schneebedeckter Gipfel vor Almwiesen im Hochgebirge – hat mittlerweile in viele Tiroler Haushalte Eingang gefunden. Die außergewöhnliche Verbreitung dank Medienberichterstattung und einer Parteizeitung war keine Strategie des Künstlers, sondern Kollateraleffekt eines ideologisch motivierten kulturpolitischen Akts.

Die Tiroler Kulturabteilung unter Landesrätin Beate Palfrader (VP) hatte erstmals den Juryentscheid der Projektförderschiene TKI open der Tiroler Kulturinitiativen (www.tki.at) nicht anerkannt und zwei von sieben ausgewählten Projekten unter 56 eingereichten die finanzielle Zuwendung versagt. Dass es sich bei den abgelehnten um zwei gesellschaftspolitisch akzentuierte Kunstprojekte handelt, die sich in der heimischen politischen Landschaft positionieren wollten, fällt auf. Ebenso, dass die Kulturabteilung ihr Veto zunächst politisch bzw. ideologisch begründete, dann aber in der heftigen öffentlichen Debatte vor allem Ausschreibungskriterien von TKI open nicht erfüllt sah. Die dabei vom Land öffentlich eingemahnte „Schaffung von Freiräumen für junge Kulturinitiativen“ scheint aber in den Richtlinien der Förderschiene nicht auf. Bei den Kriterien werden Zielgruppen genannt – „experimentelle, zeitgenössische Kunst- und Kulturformen“ sowie „spartenübergreifende“ Projekte – und „Tirolbezug“ vorausgesetzt.

Wahlen sind Betrug“

Die alpine Hochgebirgslandschaft des Installations- und Videokünstlers Oliver Ressler ist, versehen mit dem 68er-Plakatspruch „Wahlen sind Betrug“, als aktualisierte Intervention gedacht. Ressler spielt mit der Gebirgswelt auf Motive von Wahlplakaten an, und er beabsichtigt(e), mit der „nüchternen Aussage“ statt „sinnentleerter Wahlwerbung“ und mit Berufung auf den Globalisierungskritiker Walden Bello die vermehrt diskutierte Krise der repräsentativen Demokratie, den Verlust des Primats der Politik zur Diskussion zu stellen. Zur Innsbrucker Gemeindewahl im April 2012 sollten 30 von Resslers Wahlplakaten in der Stadt zu sehen sein.

Auch beim zweiten Projekt, das den politischen Amtsträgern nicht behagte, stehen Landschaften im Vordergrund. Dem israelischen Fotografen Tal Adler dienen die Gegenden zur topografischen und historischen Verortung. Adlers Bilderserie, die er Leveled Landscapes nennt, zeigt Orte, an denen nationalsozialistische Verbrechen stattfanden, damit verdeutlicht er die (Nicht-)Präsenz der Verbrechen in den Landschaften heute. Eine zweite Fotoserie Adlers heißt Freiwillige Teilnahme: Adler will „Gruppen lokaler Zivilgesellschaft“, die es zur NS-Zeit „bereits gab“, einladen, sich abbilden zu lassen. Die TeilnehmerInnen der Inszenierung sind aufgefordert, sich mit ihrem geschichtlichen Erbe zu befassen und das Sujet mitzugestalten. Für TKI open hat Adler in Kooperation mit der Historikerin Karin Schneider (ritesinsitute) den Tiroler Schwerpunkt seines österreichweiten Vorhabens Alpenländische Studien verwirklichen wollen.

Doch die Zuständigen in der Kulturabteilung fanden: Für die Auseinandersetzung mit Tirols NS-Vergangenheit sei ausreichend Landesgeld ausgegeben worden. Und Resslers Projekt „Wahlen sind Betrug“ sei „inhaltlich falsch“, denn noch immer würden Menschen ihr Leben riskieren, um wählen gehen zu können.

Nach dem Protest der TKI, die vor allem die Diskreditierung der Jury beanstandete, nach Reaktionen von Interessenvertretungen (Tiroler Künstlerschaft, IG Kultur Österreich, Kulturrat Österreich und anderen), von Künstlern, UniprofessorInnen, Grünen und SP und einer weitgehend kritischen Berichterstattung – einer „Medienkampagne“ laut Landesrätin Palfrader – entschied sich die Kulturabteilung zu einer Doppelstrategie des Divide-et-impera!

Wahlwerbung als Offenbarung

Tal Adlers/Karin Schneiders Alpenländische Studien zur NS-Aufarbeitung sollen nun doch vom Land gefördert werden, allerdings nicht aus dem TKI-open-Topf, sondern aus Sondermitteln. Auch wenn die Zuständigen im Landhaus Projekt und Einreicher plötzlich „schätzen“ und argumentieren, dass der Ablehnung keine politischen Argumente zugrunde lagen: Ohne öffentlichen Druck wäre es zum Schwenk nicht gekommen, nicht zuletzt deshalb, weil der Verweis auf die „hinlängliche“ Förderung von Projekten zur NS-Zeit Bekundungen von Landeshauptmann Günther Platter (VP) konterkarierte, der mehrfach, jüngst etwa nach dem Fund eines Gräberfeldes aus der NS-Zeit am Psychiatriegelände in Hall, von der Notwendigkeit „lückenloser“ Aufarbeitung und „historischer Verantwortung“ sprach. Dennoch bleibt auch die Finanzierung aus Sondermitteln eine Desavouierung der TKI-open-Jury und auch der TKI als Veranstalterin.

Oliver Resslers „Wahlen sind Betrug“ blieb im Stadtraum unerwünscht. Erhöhte Aufmerksamkeit war dem Projekt dennoch sicher, auch dank der im Wahlkampf ins Haus geflatterten ÖVP-Zeitung. Die Tatsache, dass die Regierungspartei darin gegen Resslers Wahlplakat polemisiert – „die Geschmacksfrage bei diesem Kunstobjekt bleibt jedem einzelnen überlassen“ –, zeigt die Brisanz der Themenstellung. Das nicht plakatierte Plakat wurde zu einem wichtigen Beitrag in der Debatte über Entscheidungsprozesse. Der Zugriff von oben auf den Juryentscheid hat zwar die Förderung verhindert, aber die Qualität des Projekts bestätigt: Denn die Jury hatte auch zu befinden, ob die Projekte der diesjährigen Themenstellung gerecht werden: Leerstellen, Tabus zu thematisieren, lautete die Vorgabe, das Motto: „Kein Thema.“

Benedikt Sauer ist Literaturwissenschaftler und arbeitet als Kolumnist und Radiojournalist in Innsbruck.

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