Die engen Grenzen der Kunst

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http://www.igkultur.at/artikel/die-engen-grenzen-der-kunstAnmerkungen zu Fresh Circus, Paris, April 2012

Der geförderten Kunst und Kultur kommen allmählich die Rezipient_innen abhanden, wenn von Tourist_innen überrannten großen (Musik-)Institutionen einmal abgesehen wird. Deshalb ist Kulturvermittlung zu einem zentralen Thema österreichischer Kulturpolitik avanciert, wo nun unter intensivem Einsatz von Ressourcen für Institutionen und deutlich geringerem Mittelaufwand für die involvierten Künstler_innen versucht wird, ein jüngeres Publikum und besonders ein solches mit Migrationshintergrund für die Künste und ihre Institutionen zu begeistern. Der Erfolg dabei ist, wenn aktuelle Untersuchungen herangezogen werden, durchwachsen.

Umso erstaunlicher ist es in diesem Kontext, wenn Genres, die genau jene Publikumsschichten erreichen können, strukturell von öffentlicher Unterstützung ausgeblendet werden. Dies ist der Fall bei zeitgenössischem Circus, der sich an den Schnittstellen zwischen Tanz, Performance und Circusbewegt, den öffentlichen Raum erobert und sich großer Beliebtheit erfreut. Nicht so in Österreich, wo diese Entwicklungen weitgehend ignoriert werden.

Dies ist höchst unbefriedigend: Denn einerseits koppelt sich Österreich mit einer Haltung struktureller Borniertheit damit wieder einmal von internationalen Entwicklungen ab und andererseits wird sehenden Auges die dringend notwendige Chance übersehen, in einer Einwanderungsgesellschaft auch andere künstlerische Ausdrucksformen zu fördern, als die, die das europäische Bürgertum des 18. Jahrhunderts als wertvoll erachtet hat.

Im April 2012 hat das europäische Netzwerk Circostrada wie jedes Jahr ein Branchentreffen und eine Konferenz über nachhaltige Entwicklungsstrategien des zeitgenössischen Circus veranstaltet. Und wie jedes Jahr waren jene Länder stark vertreten, in denen Circus als Kunstform anerkannt ist und jene weniger bis gar nicht, in denen diese Kunstform nach wie vor marginalisiert wird.

Diese Marginalisierung ist historisch gewachsen und wird (kultur)politisch prolongiert, ungeachtet internationaler Tendenzen. Die historische Entwicklung ist nachvollziehbar und kann nicht mehr geändert werden. Die Missachtung von laufenden Veränderungen und Verschiebungen im Kunstbetrieb allerdings schon, denn diese trägt zu einer weiteren Erstarrung österreichischer Kultur(politik) bei und stützt somit weiter die verfestigte Konzentration auf die tourismusrelevanten Großinstitutionen.

Das Beispiel Frankreich hat gezeigt, was eine Kulturpolitik, die sich über ihre Ziele im Klaren ist, verändern kann: Vor mittlerweile bald 30 Jahren wurde zeitgenössischer Circus in den Kanon der offiziell anerkannten Künste aufgenommen (nebenbei bemerkt, zur selben Zeit wie der Jazz, über dessen „Kunstcharakter“ auch hierzulande kein Zweifel mehr besteht). Französische Koproduktionshäuser stehen laut kulturpolitischem Auftrag seitdem Theater, Musik, Tanz und Neuem Circus gleichermaßen offen. Denn zeitgenössischer Circus ist eine hoch differenzierte performative Kunstform, die nichts mehr mit „Artisten, Tiere, Attraktionen“, zersägten Jungfrauen, Familienbetrieben und dem Tingeln im Wohnwagen zu tun hat. In vielen Ländern Europas und darüber hinaus hat sich eine abgestufte Ausbildungslandschaft von der Frühförderung bis zum Universitätsniveau herausgebildet, es existieren Festivals, einschlägig gebildete Theoretiker_innen und Kritiker_innen, eine aufbereitete Geschichte des Genres, kurzum, ein ganzer Diskurs wie ihn andere Kunstsparten auch kennen. Und, noch schöner: Die Bezeichnung „ Circus “, die offenbar beim deutschsprachigen Kunstpublikum die Angst vor der Seichtheit kommerzieller Belustigung aufkommen lässt, senkt beim Publikum gerade jene Hemmschwelle, die viele, die nicht zufällig schon von Kindheit an mit den feinen Distinktionsmerkmalen vertraut gemacht wurden, wie sie dem westlichen Kunstgenuss zugrunde liegen.

Das hohe Publikumsinteresse – ohne Vermittlungsprogramme, sogar bei Kindern! – und eine fragwürdige Geschichte stellen für den zeitgenössischen Circus eine offenbar unüberwindliche Hürde dar, von den Akteur_innen des Kunstbetriebs ernst genommen zu werden. Ja, überhaupt über die Wahrnehmungsschwelle zu gelangen. Die wenigen Initiativen in Salzburg (Winterfest), Graz (La Strada) und Wien (Kreativkultur), von denen einige seit Jahren Aufbauarbeit leisten, sind dabei international gut vernetzt und anerkannt – und erreichen mitunter einen hochkulturverdächtigen Grad der Eigendeckung – fast wie die Salzburger Festspiele oder die Staatsoper – die ja deshalb auch nicht aufgrund von Kommerzialität die Subventionen verlieren.

Elisabeth Mayerhofer ist politisch-strategische Geschäftsführerin der IG Kultur Österreich.


WEITERFÜHRENDE LINKS:

Circo Strada
Winterfest
La Strada
KreativKultur, Summerflame

 

ALTERNATIVEN ZUM VERLUST DER KULTURPOLITIK:

 

Teil 26: Umverteilung ist eine Alternative. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 25: Die engen Grenzen der Kunst. Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 24: Internationale Kulturpolitik zwischen Dialog, Selbstrepräsentation und Ausgrenzung. Von Franz Schmidjell
Teil 23: Kulturpolitik machen – für eine Verteilungsdebatte, jetzt! Von Juliane Alton
Teil 22: Umverteilung jetzt! Von Elisabeth Mayerhofer
Teil 21: Die Wissensgesellschaft und ihre freien Idioten. Von Andrea Roedig
Teil 20: Kunst irrt. Von Juliane Alton

Teil 19: Gipsy Dreams. Von Gilda-Nancy Horvath
Teil 18: Intervention zur Wienwoche. Von Ülkü Akbaba und Andreas Görg
Teil 17: Kulturpolitik für Menschen, nicht für Institutionen! Von Marty Huber
Teil 16: Mobilität statt Barrieren!. Von Petja Dimitrova
Teil 15: Alternativen zum Verlust der Kulturpolitik: Ein Zwischenresümee. Von Gabi Gerbasits

Teil 14: Von Schönheitsfehlern und Mißtönen abgesehen. Von Gerhard Ruiss
Teil 13: Lasst alle Hoffnung fahren. Von Otto Tremetzberger
Teil 12: Soziale Lage? Oder Wallfahren für Linke. Clemens Christl
Teil 11: Ein Lüfterl oder ein Brain-Storm? Gottfried Wagner
Teil 10: Panic on the Streets of London. Michaela Moser

Teil 9: Gefällige Demokratur oder demokratische Kultur? Stefan Haslinger
Teil 8: Räume der kulturellen Tat. Marty Huber
Teil 7: Transparenz in der Kulturverwaltung - a never ending story. Juliane Alton
Teil 6: Musiktheater als bürgerlicher Selbstbedienungsladen? Juliane Alton
Teil 5: Zwei ökonomische Argumente, warum man sich bei der Kultur nichts erspart und ein Plan B. Paul Stepan

Teil 4: Eine Kulturpolitik für Alle und von Allen. Ljubomir Bratić
Teil 3: Abschminken ist angesagt! Michael Wimmer
Teil 2: Keine Angst vor den freien Szenen? Elisabeth Mayerhofer
Teil 1: Fehlt da jemand? Stefan Haslinger
Teil 0: Geht's noch? Marty Huber

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