Die Frage der Kultur in den katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen

Der Kampf um Unabhängigkeit und das Drängen auf ein Referendum ist in der autonomen Region Katalonien ungebrochen. Es lässt sich aber nicht so einfach als Nationalismus abtun. Im Zentrum der Debatte stellt sich eine Frage der Kultur. Und zwar nicht als Zugehörigkeit, sondern als Mitsprache.

Barcelona, Catalan Independence, Katalanische Unabhängigkeit, Proteste

Bel Olid versucht uns den katalonischen Unabhängigkeitsprozess zu erklären und gesteht ein, dass es sich dabei um ein äußerst schwieriges Unterfangen handelt und sie Gefahr laufe, den ganzen Tag dafür zu brauchen. Mit einer einfachen Analogie versucht sie’s aber doch eine Spur schneller zu schaffen. Dabei bringt sie die Frage der Kultur in's Zentrum der Debatte. Und zwar Kultur nicht als Zugehörigkeit, sondern als Mitsprache.

„Ich bin weder Ahtener noch Grieche, sondern Bürger der Welt“ ist ein Zitat, das Sokrates zugeschrieben wird. Damit wäre er wohl einer der ersten Weltbürger. 2.400 Jahre später befände er sich in guter Gesellschaft. Vor allem in den Metropolen dieser Welt finden sich mehr und mehr Menschen, die sich auch so definieren würden. Olid erinnert uns daran, dass es sich dabei um ein Statement handelt, dass nur aus einer Reihe Privilegien heraus formuliert werden kann. Denn um Weltbürger sein zu können, müsse man erst einmal Bürger sein. Und das konnte im alten Griechenland nicht jeder behaupten. Es handelte sich überhaupt nur um eine bestimmte Gruppe von Männern, die beispielsweise wählen durfte. Vor allem für Frauen trifft das in vielen Teilen der Welt erst seit Kurzem zu. Für die meisten von uns hätte das im alten Griechenland wohl auch nicht zugetroffen. Eine Art von Weltbürgertum ist für die meisten Menschen in der heutigen Welt auch noch fern jedweder Realität. Bei der größten Offenheit, die dieses Statement ausdrücken möchte, sagt es doch mehr über die eigenen Privilegien aus. 

Schwenken wir zurück in die Gegenwart. Ignacio Wert, der ehemalige spanische Kulturminister, dessen Partei nach wie vor die spanische Regierung bildet, hat in seiner Amtszeit gesagt, man müsse katalanische Kinder wieder spanischer machen. Welchen Affront das angesichts der Geschichte des spanischen Bürgerkrieges und Diktatur bedeutet, benötigt hoffentlich keine weitere Erklärung. Dass es ausgerechnet von einem Kulturminister kommt ist allerdings erstaunlich, da man sich zumindest dort etwas mehr Feingefühl für diese Belange erwarten würde. Da in seinem Ressort auch Bildung verankert war, kam ihm die Idee, den Unterricht in katalanischer Sprache in öffentlichen Schulen zu verbieten. Das ist nicht nur ein Angriff auf Kataloniens Kultur, sondern eine Störung des politischen Friedens in Spanien. Es führt außerdem die Austragung des politischen Kampfes auf dem Feld der Kultur fort. Keine Abgrenzung nach außen und Bereinigung eines zu erhaltenden Inneren ist das Ziel, sondern ein Einschluss des Fremden durch Assimilierung. Es ist eine Art des Kulturimperialismus. Für Ignacio Wert wie für viele Rechtspopulisten Europas, wäre es ein legitimes Mittel, Kindern dadurch eine neue nationale Identität überzustreifen, ihre andere nationale Identität zu bekämpfen. Als könnten verschiedene Zugehörigkeiten nicht nebeneinander existieren. Das versuchen sie zum Beispiel dadurch, ihnen zu verbieten, ihre Muttersprache ordentlich zu lernen. In der mittlerweile blauen Hochburg Wels hatte Stadtchef Andreas Rabl eine ganz ähnliche Idee und ließ einen Wertekodex für städtische Kindergärten ausarbeiten, die Christentum und deutsche Sprache verankern sollten. Eine Sprachpflicht ist mittlerweile pädagogisch verworfen, man geht davon aus, dass multilinguale Kinder eine Sprache besser lernen, wenn sie auch in der anderen besser geschult sind. Die politische Rechte definiert Kultur als Essenz, wovon es nur eine geben kann. Ihre Haltung unterscheidet sich nur dadurch, ob es nun ein unveränderbarer biologischer, oder ein veränderbarer kultureller Essentialismus ist. 


Die Unabhängigkeitsbestrebungen in Spanien lassen sich aber nicht einfach in einem Feld aus Rechts gegen Links oder Liberal gegen Autoritär verstehen. Es ist weitaus komplexer. In die katalonischen Motive mischen sich eigene Nationalismen, es bündelt jedoch auch Widerstand gegen einen spanischen Nationalismus und umgekehrt. Nationalismen gegeneinander auszuspielen dient am Ende doch wieder nur jenen, die ihren Kulturraum abgrenzen möchten, um ihn in Beschlag nehmen zu können. Von den zwei Millionen Menschen, die in Barcelona an der bisher größten Demonstration für ein Unabhängigkeitsreferendum teilnahmen, wird es auch viele geben, die von chauvinistischen Gefühlen getrieben sind. Darunter befinden sich egoistische Motive, nämlich ökonomisch betrachtet einen Vorteil auf Kosten anderer zu wittern. Als eine der wirtschaftsstärksten Regionen Spaniens erhofft man sich mehr vom Kuchen übrig zu haben, wenn man den schwächelnden Klotz am Bein nicht mehr herumzerren muss. Bei der Zahl an Protestierenden ist es jedoch unglaubwürdig, den ganzen Widerstand der autonomen Region darauf herunterzuspielen. Wenn die spanische Regierung weiterhin Differenz so wenig zu schätzen weiß, wie es ihr nationales Kulturinstitut symbolisch zeigt, wird sich die Lage so bald nicht entspannen. Das Instituto Cervantes trägt als Logo nämlich den spanischen Buchstaben „ñ“, der in den Sprachen der autonomen Regionen nicht existiert. Und das obwohl er im Namen des Institutes gar nicht vorkommt. Kein Zufall, es symbolisiere sehr treffend die Kulturpolitik Spaniens, so Bel Olid. Andernfalls wären wohl die meisten Leute gerne auch weiterhin ein Teil Spaniens. Es müsse allerdings das Recht beinhalten, man selbst bleiben zu dürfen. Und das würde bedeuten, dass katalanische Kultur und damit auch die Sprache auch als Teil Spaniens gesetzt werden müsse. Die Frage nach Zugehörigkeit oder Unabhängigkeit ist also eine Frage der Kultur. Und zwar im Sinne von Teilhabe und Mitsprache. 


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Bel Olid sprach bei "Beyond the Obvious", die jährliche Konferenz von Culture Action Europe (CAE). Sie fand von 26. bis 28. Jänner 2017 in Budapest/Ungarn statt. 

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