Causa Assange: Der Popstar und die „Rape Culture“

Im Sommer 2010 nahmen die schwedischen Behörden Ermittlungen gegen den Wikileaks-Gründer Julian Assange auf – wegen des Verdachts auf „Vergewaltigung in einem minder schweren Fall“, sexuelle Belästigung und Nötigung. Gegen den 41-jährigen Australier liegt noch keine Anklage vor – kann auch nicht, da er sich bislang der Befragung durch die schwedische Justiz entzogen hat.

Warum Theaterregisseurin Angela Richter Täter und Opfer verwechselt und im Bett nur Konsens wirklich sexy ist. 

Im Sommer 2010 nahmen die schwedischen Behörden Ermittlungen gegen den Wikileaks-Gründer Julian Assange auf – wegen des Verdachts auf „Vergewaltigung in einem minder schweren Fall“, sexuelle Belästigung und Nötigung. (1) Gegen den 41-jährigen Australier liegt noch keine Anklage vor – kann auch nicht, da er sich bislang der Befragung durch die schwedische Justiz entzogen hat. Nachdem die zuständige Staatsanwaltschaft in Göteborg einen internationalen Haftbefehl gegen Assange erlassen hatte, gewährte ihm Ecuador im August 2012 „politisches Asyl“.

Gorillas im Mythos-Nebel

Ursprünglich wollte die Berliner Theaterregisseurin Angela Richter ein Stück über „Supernerds“ inszenieren. Doch nach einem gemeinsamen Mittagessen mit Julian Assange und dem Star-Philosophen Slavoj Žižek, das sie im Vorjahr auf Ebay ersteigert hatte, entschloss sie sich, Assange zur Hauptfigur ihres Stücks zu machen. Mehrmals besuchte Richter Assange in der ecuadorianischen Botschaft – die protokollierten Gespräche bilden auch die Grundlage von Assassinate Assange, das Ende September 2012 im Hamburger Kampnagel uraufgeführt wurde und im Folgemonat auch in Wien im Brut zu sehen war.

Mit dabei auf der Bühne: SchauspielerInnen in weißen Gorilla-Kostümen, die Aussagen von Assange nachsprechen. Den Vergewaltigungsvorwürfen aus Schweden räumt Richter viel Platz ein – und legt nahe, dass Assange ein Opfer von Gerüchten und der medialen Berichterstattung sei. Die Frage, inwieweit sich ihre Haltung zu Assanges mutmaßlichen Übergriffen in die allgemeine gesellschaftliche Rede über sexuelle Gewalt einfügt, blieb nichtsdestotrotz unterbeleuchtet.

„Rape Culture“ revisited

In der Ankündigung zu Richters Bühnenstück geben sich die Theaterhäuser in Hamburg und Wien schwülstig wie verklärend: Da ist die Rede vom „ersten tragischen Helden des Internets“, an dessen Schicksal sich „die Licht- und Schattenseiten der Möglichkeiten und Freiheiten im Netz“ offenbaren würden. Wie ernst der Vergewaltigungsvorwurf gegen „Popstar“ Assange genommen wird, machen jene Stellen deutlich, die verkünden: „Der einst Wahrheiten aus den Tiefen des Darknet ans Licht brachte, stolpert jäh über mangelnde Triebkontrolle.“

Nach Protesten von antisexistischen Gruppen (unter anderem verfasste die Basisgruppe Theater-, Film und Medienwissenschaft einen offenen Brief (2), in dem die Absetzung des Stücks gefordert wurde) änderte das Brut seinen Programmtext und gab eine Stellungnahme ab. Darin betont die künstlerische Leitung des Brut unter anderem, „keineswegs sexuelle Gewalt gegen Frauen verharmlosen“ zu wollen: „Falls der Programmtext (…) diesen Eindruck hat entstehen lassen, möchten wir uns hiermit dafür entschuldigen.“

Die Proteste waren durchwegs legitim – denn eine solch verharmlosende Sprache ist symptomatisch für den herrschenden Umgang mit sexueller Gewalt und den davon Betroffenen. In euphemistischen Begriffen wie „Sex-Falle“ und „Sex by Surprise“ („Überraschungssex“), wie sie in der medialen Berichterstattung zu Assange immer wieder fallen, spiegelt sich eine „Rape Culture“ wider, wie feministische AktivistInnen es nennen – also jene gesellschaftliche Verfasstheit, in der sexuelle Übergriffe zugleich tabuisiert und legitimiert werden.

Wie „Victim Blaming“ aussieht, führt Theaterregisseurin Angela Richter dabei in einem Interview mit Der Freitag (3) selbst vor: „Keine der beiden Frauen hat zu irgendeinem Zeitpunkt Nein gesagt“, erklärt sie darin. „Vergewaltigung ist Sex unter Zwang, das hat hier nicht stattgefunden. Die Behandlung des Falles Assange schadet meiner Ansicht nach allen, die den Gräuel einer Vergewaltigung erleben mussten.“ Doch selbst die Schilderungen, die Assanges Anwalt bei einer Anhörung im Juli 2011 in London von sich gab, zeichnen ein anderes Bild von den Vorgängen, wie etwa in der britischen Tageszeitung The Guardian nachgelesen werden kann. (4)

Noch immer dominiert die Vorstellung, Vergewaltigung passiere in dunklen Gassen und in einsamen Parkhäusern, ausgehend von einem unbekannten Täter. Dabei ist es eine längst bekannte Tatsache, dass die meisten Vergewaltigungen im persönlichen Nahbereich, sprich im Privaten, stattfinden.

Nur „Ja“ bedeutet „Ja“

Richters Aussage folgt der Logik der Täter-Opfer-Umkehrung – kaum wird der Vorwurf eines sexuellen Übergriffs geäußert, steht die Frau erst mal selbst unter Verdacht: Sagt sie wirklich die Wahrheit? Hat sie sich überhaupt gewehrt?

Dass eine Gegenwehr nicht immer möglich ist – etwa aus Angst oder Scham –, wurde in zahlreichen feministischen Auseinandersetzungen dargelegt, so auch in der breit rezipierten Kampagne #ich habe nicht angezeigt. (5) In der jüngeren Vergangenheit wurden dem viel zitierten Slogan „No means No“ deshalb Modelle wie das „Zustimmungskonzept“ (6) hinzugefügt, die jene Grauzonen thematisieren, die nicht durch gesetzliche Definitionen gedeckt sind. In der Praxis bedeutet das unter anderem: Nicht alles, was als einvernehmlicher Sex beginnt, endet auch im Konsens. Daher ist auch das schwedische Sexualstrafrecht nicht besonders „streng“, sondern nimmt nur jene Differenzierung vor, wie sie in anderen Gesetzgebungen fehlt. (7)

Doch zurück zu Angela Richter. Ihre Aussagen setzen letztlich einen trügerischen Gegensatz fort: Ist man für Wikileaks und damit für Assange, dessen Name quasi als Synonym für „Freiheit der Information“ und Transparenz verwendet wird, muss der Vergewaltigungsvorwurf verneint werden. Ergreift man hingegen Partei für die betroffenen Frauen, gilt man als politischeR VerschwörerIn.

Angesichts dieser falschen Opposition möchte man all jenen, die in Verteidigung von Julian Assange sexualisierte Gewalt bagatellisieren, die Frage stellen: Seit wann gehören Frauenrechte und Freiheit nicht mehr zusammen?

Anmerkung

Dieser Beitrag erschien erstmals auf dieStandard.at. Ungekürzte Originalfassung

Vina Yun schreibt über Feminismus, Queer und Pop und macht Radio bei muelgrimeradio.de.

Fußnoten

1 vgl. www.diestandard.at/1336698250174
2 Nachzulesen auf: www.thewi.at
3 vgl. www.freitag.de/autoren/christine-kaeppeler/wir-werden-alle-assange-sein
4 vgl. www.guardian.co.uk/media/2011/jul/12/julian-assange-extradition-live-coverage
5 vgl. www.ichhabnichtangezeigt.wordpress.com
6 vgl. www.wirliebenkonsens.wordpress.com/was-ist-konsens
7 vgl. www.bbc.co.uk/news/magazine-19333439

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