Ungleiche Arbeitsbedingungen

6,43 Euro für Künstler. 5,55 Euro für Künstlerinnen. So sieht der mittlere Stundenlohn ausgehend vom mittleren Einkommen und den mittleren wöchentlichen Arbeitsstunden aus – unter der fiktiven Annahme, dass fünf Wochen Urlaub im Jahr gemacht würden und bei Einbeziehung aller persönlichen Einkommen auch abseits der künstlerischen Tätigkeit.

6,43 Euro für Künstler. 5,55 Euro für Künstlerinnen. So sieht der mittlere Stundenlohn ausgehend vom mittleren Einkommen und den mittleren wöchentlichen Arbeitsstunden aus – unter der fiktiven Annahme, dass fünf Wochen Urlaub im Jahr gemacht würden und bei Einbeziehung aller persönlichen Einkommen auch abseits der künstlerischen Tätigkeit.

Die aktuell vorliegenden Ergebnisse einer vom BMUKK in Auftrag gegebenen Studie zur sozialen Lage von KünstlerInnen geben den von KünstlerInnen in den letzten Jahren oft geäußerten subjektiven Eindrücken wissenschaftliche Bestätigung: Es geht zunehmend schlechter. „Im Vergleich zu Referenzstudien hat sich die Einkommenssituation sogar noch verschlechtert“, resümieren die StudienautorInnen. Die Realeinkommen sind niedriger als vor zehn Jahren. Dieses Ergebnis hat sogar die Interessenvertretungen überrascht. Die jüngsten zurückliegenden Studien sind mittlerweile zehn Jahre alt. Aus dem Jahr 1997 datiert eine Untersuchung der sozialen und ökonomischen Lage von bildenden KünstlerInnen (Schulz / Hameter / Wrobleski)[1], 2000 folgte eine spartenübergreifende Studie zur sozialen Lage von kunstschaffenden Frauen (Almhofer / Lang / Schmied / Tucek)[2]. Nun liegt erstmals eine Studie vor, die die soziale Lage von Künstlerinnen und Künstlern in fünf verschiedenen Sparten untersucht hat. Bislang kursiert ein 263 Seiten umfassender Rohbericht. Ein Endbericht bzw. dessen für den Herbst mehrfach angekündigte offizielle Veröffentlichung durch BM Claudia Schmied ist nicht in Sicht. Die Studie war als Basis für die Arbeit an der Lösung von virulenten Problemlagen geplant. Ende September hat der Kulturrat Österreich im Rahmen eines Pressegesprächs zu den vorliegenden Ergebnissen Stellung bezogen und Forderungen präsentiert. Noch am selben Tag hat sich die Kulturministerin erstmals zu den Studienergebnissen geäußert und ebenfalls von Handlungsbedarf gesprochen. Seither herrscht wieder Stille.

Die Frau, …

Wer ist als KünstlerIn tätig? Die StudienautorInnen schätzen die Anzahl der KünstlerInnen in Österreich auf etwa 16.800, davon etwa 40% Frauen. Je nach Sparte ist der Frauenanteil sehr unterschiedlich. Während in der bildenden und darstellenden Kunst etwas mehr Künstlerinnen tätig sind, ist nur jede/r dritte Filmschaffende und gar nur jede/r vierte Musikschaffende eine Frau – soweit das Ergebnis unter den RespondentInnen. Das Ausbildungsniveau von KünstlerInnen ist überdurchschnittlich hoch, das von Künstlerinnen etwas höher: 81,9% der Künstlerinnen gegenüber 75,5% der Künstler haben eine spezifisch künstlerische Ausbildung. 56,7% der Künstlerinnen gegenüber 39,7% der Künstler haben an formalen Weiterbildungen teilgenommen. Versicherungslücken sind unter Kunstschaffenden weit verbreitet. Lediglich 60,2% haben eine durchgehende Pensionsversicherung (7,1% haben keine, 30% eine lückenhafte). 14,8% (bei den Filmschaffenden 30,5%) sind nicht durchgehend krankenversichert. Frauen verfügen wesentlich häufiger über keine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung (22,2% der Künstlerinnen gegenüber 13,6% der Künstler) – eine Folge von geringen Erwerbseinkommen. Probleme in der sozialen Absicherung sind schließlich der höchste Belastungsfaktor für Kunstschaffende, gefolgt von Einkommenssorgen. Dass Frauen daher deutlich häufiger als Männer (31,4% gegenüber 20,3%) einem hohen Belastungsniveau ausgesetzt sind, verwundert wenig. Bemerkenswert ist hingegen, dass beim subjektiven Wohlbefinden offenbar keine signifikanten geschlechterspezifischen Unterschiede bestehen.

Obwohl die Rahmenbedingungen für die Arbeit von Künstlerinnen schlechter sind, stellten die StudienautorInnen andererseits fest, dass „diese Unterschiede weder von Frauen noch von Männern angesprochen [werden], und explizite Frauenförderung ist gar kein Thema.“ Lediglich im Zusammenhang mit Altersbeschränkungen bei Ausschreibungen wurde eine Benachteiligung von Frauen mehrfach erwähnt. Und einzig eine Filmschaffende forderte „50% Fördermittel an Frauen, 50% gut bezahlte Jobs an Frauen.“ In der Studie Die Hälfte des Himmels hingegen, wo explizit nach Diskriminierungserfahrungen gefragt wurde, hielten zwischen 43,5% und 76,3% (je nach Diskriminierungserfahrungen) der Befragten eine frauenspezifische Förderung für wünschenswert.

… die Arbeit, …

Frauen unter 35 sind (im Verhältnis zum Gesamtergebnis) überproportional vertreten. Doch auch schon vor mehr als zehn Jahren stellte eine Studie zur bildenden Kunst (Schulz/Hameter/Wrobleski) eine überdurchschnittliche Präsenz von jungen Frauen fest. Die damalige Annahme, dass sich der Anteil der Künstlerinnen in Zukunft erhöhen könnte, findet in der aktuellen Studie jedoch keine Bestätigung. Vielmehr deutet das aktuelle Ergebnis darauf hin, dass es „Frauen nach wie vor in geringerem Ausmaß gelingt, dauerhaft im Kunstbereich Fuß zu fassen und sich zu etablieren.“

In diese Richtung weisen auch die Antworten zum Grad der Etablierung: Als gut etabliert schätzen sich 21,8% der Künstler, aber nur 13,3% der Künstlerinnen ein – was die StudienautorInnen auch auf eine kritischere Selbsteinschätzung der Künstlerinnen zurückführen. Als wesentlichste Merkmale einer guten Etablierung nannten die Befragten gute Auftragslage, regelmäßige Nachfrage sowie die Möglichkeit der regelmäßigen Präsentation des eigenen Kunstschaffens. Ein deutlicher Zusammenhang, so die StudienautorInnen, besteht zwischen dem Grad der Etablierung und der Zuordnung zur so genannten Kerngruppe (also jene KünstlerInnen, die sowohl ihren finanziellen als auch ideellen Schwerpunkt in der Kunst verorten). Je etablierter, desto häufiger findet sich die KünstlerIn in der Kerngruppe – und dieser sind 48,7% der Künstler, aber nur 39,6% der Künstlerinnen zuzuordnen.

Künstlerinnen verfügen seltener über eigene Arbeitsräume (80,7% der Künstler gegenüber 72,2% der Künstlerinnen). Und sie haben seltener längerfristige, stabile Kooperationsstrukturen mit VermarkterInnen (z.B. Galerien, Verlagen, Agenturen etc.): 18,8% der Männer, jedoch nur 13,2% der Frauen.

… die Kunst, …

Auffallend an der Studie ist der genauere Blick auf Arbeitsverhältnisse sowie die damit einhergehenden Diskontinuitäten und Parallelitäten von Erwerbstätigkeiten. Erwerbsarbeit abseits der künstlerischen Tätigkeit war zwar auch in früheren Studien Untersuchungsgegenstand, fiel aber stets in die Ecke der wenig beachteten, so genannten Nebenbeschäftigung. Von einer solchen Zuordnung nimmt die aktuelle Studie „zu Gunsten einer Differenzierung nach ideellen und finanziellen Schwerpunktsetzungen“ Abstand. Bei Mehrfachbeschäftigung – bei drei Viertel der befragten KünstlerInnen ist dies der Fall – wird einerseits zwischen der Beschäftigungsform und andererseits zwischen künstlerischer, kunstnaher und kunstferner Tätigkeit unterschieden. Darüber hinaus interessierten insbesondere Dauer und Häufigkeit der verschiedenen Erwerbstätigkeiten. Zu diesen Fragestellungen fehlen in der Studie geschlechterspezifische Auswertungen aber nahezu gänzlich. Insgesamt gaben lediglich 24% an, ausschließlich künstlerisch tätig zu sein, etwa ebenso viele sind in künstlerischen, kunstnahen und kunstfernen Bereichen aktiv. Den größten Anteil (33,8%) umfasst die Gruppe jener, die künstlerisch und im kunstnahen Bereich tätig sind. Auch hier sind die Ergebnisse je nach Sparte äußerst unterschiedlich. Während in der Musik und in der Literatur gerade einmal gut 16% ausschließlich künstlerisch tätig sind, ist der Anteil in der darstellenden Kunst und im Film beinahe doppelt so hoch. Den finanziellen Schwerpunkt in der künstlerischen Tätigkeit haben 47% (zwischen 32,2% in der Literatur und rund 60% bei Film und darstellender Kunst).

Je nach künstlerischer Sparte variieren auch die Beschäftigungsformen stark. Im Allgemeinen überwiegt die Selbständigkeit (in der bildenden Kunst und der Literatur waren 95,1% bzw. 96,7% ausschließlich selbständig künstlerisch tätig; Musik 75,8%; Film 63,7%), lediglich bei den darstellenden KünstlerInnen haben diejenigen, die angestellt (und selbständig) arbeiten (50,3%) noch einen hauchdünnen Vorsprung gegenüber den ausschließlich selbständig Erwerbstätigen (49,7%). Anstellungen sind oft von äußerst kurzer Dauer und somit längst nicht mehr Garant für Kontinuität von Einkommen und sozialer Absicherung. 36% der Befragten hatten Anstellungen, die kürzer als einen Monat dauerten. Den Rekord an Kurzzeitanstellungen hält die Filmbranche, wo 32,4% der Anstellungen von Filmschaffenden nur einen einzigen Tag dauerten. Eine Schauspielerin kam auf gar 60 Ein-Tages-Anstellungen innerhalb eines Jahres. Viele KünstlerInnen erreichen nicht die erforderlichen Anwartschaftszeiten, um zwischen derartigen Kurzzeit-Anstellungen Arbeitslosengeld beziehen zu können, müssen aber Beiträge zahlen.

… und das Geld[3]

Die bitterste Überraschung offenbarte die Studie in Bezug auf die finanzielle Lage: „Die vorliegenden Zahlen deuten darauf hin, dass die ohnehin schon prekäre Einkommenssituation der KünstlerInnen in den letzten Jahren noch verstärkt wurde.“ Die Hälfte der Künstlerinnen verdient nicht mehr als 3.526 Euro jährlich mit der Kunst, die Hälfte der Künstler kommt dabei auf 5.459 Euro oder weniger. Hier ist die Einkommensdifferenz mit 35,4% am höchsten. Das persönliche Gesamteinkommen ist aufgrund der Mehrfachbeschäftigung vieler KünstlerInnen deutlich höher. Dennoch: 41,4% der Kunstschaffenden verdienen insgesamt weniger als 10.000 Euro pro Jahr. Und auch hier bestehen beachtliche geschlechterabhängige Differenzen: Das durchschnittliche persönliche Jahreseinkommen aus allen Erwerbstätigkeiten der Befragten beträgt bei Künstlerinnen 13.042 Euro, bei Künstlern 18.833 Euro (macht eine Differenz von 30,7%). Repräsentativer als das Durchschnittseinkommen (das von Extremwerten stark beeinflussbar ist), ist jedoch das mittlere persönliche Gesamteinkommen, der so genannte Median (d.h. 50% verdienen weniger, 50% verdienen mehr). Diese Werte sehen deutlich anders aus: Das mittlere persönliche Gesamteinkommen von Künstlerinnen beträgt 10.700 Euro, jenes von Künstlern 14.500 Euro (Einkommensdifferenz: 26,2%). Diese großen Unterschiede zwischen Durchschnitteswerten und Median zeigen auf, dass einige wenige (sehr) viel, viele jedoch (sehr) wenig verdienen. Das mittlere Äquivalenzeinkommen (das Haushaltseinkommen und Haushaltsgröße berücksichtigt) macht schließlich 12.400 Euro aus. Hier reduziert sich die Einkommensdifferenz zwischen Künstlerinnen (12.100 Euro) und Künstlern (12.700 Euro) am stärksten, weil Einkommen von (offenbar oftmals besser verdienenden) PartnerInnen im gemeinsamen Haushalt Berücksichtigung finden. Diese scheinbare Ausgleichsfunktion gibt aber keine Auskunft über die tatsächliche Einkommensverteilung im Haushalt. Zudem: 41,3% der Künstlerinnen bzw. 28,2% der Künstler wohnen alleine.

Nützlich sind diese Daten etwa für den Vergleich mit der Gesamtbevölkerung, wo das mittlere Äquivalenzeinkommen immerhin 17.852 Euro beträgt. 37% der Kunstschaffenden (Gesamtbevölkerung: 12,6%, Erwerbstätige: 8%) verfügt über ein Äquivalenzeinkommen unter der Armutsgefährdungsgrenze von 893 Euro pro Monat.

1 Schulz / Hameter / Wrobleski (1997): Thema Kunst. Zur sozialen und ökonomischen Lage der bildenden Künstler und Künstlerinnen in Österreich. Wien.

2 Almhofer / Lang / Schmied / Tucek (2000): Die Hälfte des Himmels. Chancen und Bedürfnisse kunstschaffender Frauen in Österreich. Gumpoldskirchen.

3 Die Zwischenüberschriften dieses Texts entsprechen dem Titel des gleichnamigen Dokumentarfilms von Si.Si. Klocker (www.kaiserinsisi.at): Die Frau, die Arbeit, die Kunst und das Geld (AT 2007, 72 Minuten). Zu sehen z.B. am 21. November 2008 um 20 Uhr im Rothen Krebs in Linz, anschließend Publikumsgespräch mit der Regisseurin.

Der hier besprochene Rohbericht der Studie Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich wurde vom BMUKK bei L&R; Sozialforschung in Auftrag gegeben und von Susanne Schelepa, Petra Wetzel und Gerhard Wohlfahrt unter Mitarbeit von Anna Mostetschnig verfasst. Die Endfassung ist seit 19. November 08 auf der Website des BMUKK abrufbar.

Daniela Koweindl ist kulturpolitische Sprecherin der IG BILDENDE KUNST.

 

 

 

 

 

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