Die Freiheit der Kunst in Deutschland auf dem Prüfstand: NS-Symbolik im Stadttheater Konstanz.

Im April 2018 wurde die Inszenierung von George Taboris „Mein Kampf“ im Stadttheater Konstanz aufgeführt. Das mediale Echo war riesig, was zu einer großen gesellschaftlichen Debatte über die grundlegenden Freiheitsrechte ausartete, bei der das Stadttheater Konstanz nicht nur positiv wegkam. Was waren die Gründe für die Skandalisierung des Stücks, um ausgehend von diesem Beispiel die Bedeutung der Kunstfreiheit für eine (demokratische) Gesellschaft zu klären? Darüber haben wir mit der Anthropologin Dr. Andrea Zielinski und dem Intendanten des Stadttheater Konstanz Prof. Dr. Dr. Nix gesprochen.

Grandmontagne: Herr Nix könnten sie die Inszenierung von „Mein Kampf“ und die darauffolgende Debatte beschreiben und was persönlich bedeutet nun die Kunstfreiheit für Sie als Intendant.

 

 

Nix: Die Leute haben überhaupt nicht verstanden, was die Kunstfreiheit bedeutet und zwar auch die Kunstfreiheit für einen Intendanten. Dieses Stück „Mein Kampf“ von George Tabori spielt ja in Wien und Hitler, der auch tatsächlich als junger Mann nach Wien gegangen ist, um auf der Akademie der bildenden Künste aufgenommen zu werden. Diese Geschichte, die Tabori, der wunderbare Theatermacher, uraufgeführt damals in Wien, erzählt, ist, dass Hitler damals in ein Männerasyl kommt und dort auf den Juden Schlomo Herzel trifft. Der ist gerührt von diesem kleinen Arbeiterkind und unterstützt ihn. Er schneidet ihm die Haare und auch den Hitler-Bart. Hitler geht auf die Akademie, wird abgelehnt, hasst seitdem Künstler und Intellektuelle und das ist die Geschichte. Bei mir hat es der Somuncu inszeniert und der hatte eine Idee gehabt, dass man Leute kostenlos ins Theater lässt, wenn sie Hakenkreuzbinden tragen. Das war eine Idee von ihm, um deutlich zu machen, gibt’s hier Faschisten, die dahin gehen oder gibt es Leute die geizig sind. Das wurde umgedeutet und mir zum Vorwurf gemacht und das war natürlich absurd. Denn der Kernbereich der Kunstfreiheit besteht ja auch darin, dass es Menschen gibt, die sie vertreten und verteidigen. Fürs Theater bin ich der Repräsentant davon, ich war zwar nicht mit allem einverstanden, was Somuncu da gemacht hat, aber darauf kommt es nicht an, es ist ja keine Geschmacksfrage. Diese Aktion hat begonnen im Theater, im geschützten Raum, nicht auf der Straße, es war auch keine Persiflage, sondern mit aller Ernsthaftigkeit und deshalb war es meine Aufgabe als Intendant, diese Inszenierung zu schützen. Innerhalb des Kunstwerks ist es ja keine Nazipropaganda, im Gegenteil, der Somuncu hat ja überall in Deutschland gegen Neonazis gekämpft, sondern es war eine Verblödung, ihm zu sagen, er würde damit leichtfertig umgehen. Meine Kunstfreiheit bestand darin, zu sagen, ich finde nicht alles gut was er inszeniert, aber ich schütze den Prozess, auch wenn ich dafür die Haue abbekomme.

 


Grandmontagne: Frau Zielinski, viele rechneten bei der Inszenierung von George Tabori „Mein Kampf“ mit einem großen Eklat. Wie haben Sie denn die Inszenierung (Mein Kampf) im Stadttheater Konstanz erlebt, war die mediale Reaktion ihrer Meinung nach berechtigt?

 

 

Zielinski: Ich möchte wegen der Chronologie der Ereignisse, der Rezeption des deutschsprachigen Feuilletons zunächst Unterscheiden zwischen der Skandalisierung, der Verwendung von NS-Symbolik im Kartenverkauf und der eigentlichen Inszenierung des Stücks „Mein Kampf“ von George Tabori. Die Tatsache, dass das Theater Konstanz eine Positionierung zwischen Hakenkreuz und Judenstern verlangte und die Bereitschaft des einzelnen sich zu labeln, war natürlich ungewohnt für das dortige Publikum. Das über dies das tragen eines Hakenkreuzes einen zur Freikarte verhalf, rief konservative und ältere Juden zu Protest und schließlich auch zum Boykott auf. Das die Premiere auf Hitlers Geburtstag viel, war übrigens so gewollt und wurde von den Akteuren des örtlichen Protests ebenfalls beanstandet und übrigens auch vom Feuilleton.
Die sich anschließende Empörung im deutschsprachigen Feuilleton, damit meine ich wirklich von Flensburg bis zum Bodensee, hatte mitnichten das Stück und das Besondere der Inszenierung im Fokus, es ging mehrheitlich um die Art des Kartenverkaufs. Interessant ist, dass nur zwei örtlich ansässige Autoren Empathie mit den jüdischen Stimmen hegten. Der Rest, von Flensburg bis zum Bodensee, empfand es für das allein deutsche Publikum, als Zumutung. Der Bürgermeister von Konstanz folgte dem Boykottaufruf und setzte dieses vor dem Theater auch noch am Premierenabend in Szene, eine politisch, wie ich finde, problematische Aktion. Sonst aber produzierte das Feuilleton einen Skandal, der mit keiner Silbe auf die Umsetzung des Stücks einging und dessen Besonderheit in einer Reihe von namhaften Inszenierungen. Die alle, wie ich finde, sehr unterschiedlich das jüdische und generell menschliche Drama der Gottverlassenheit in dieser Welt menschlicher Abgründe bearbeiteten. Serdar Somuncu hat sich mit seiner Regiearbeit, wie ich finde, eingereiht in die Großen, die sich an das schwierige Thema eben heranwagten. Teils lachend, teils weinend, entsetzt, erleichtert und doch ungetröstet sich dieser menschlichen Tragik auszusetzen. Allein das deutschsprachige Feuilleton war mit deutscher Nabelschau der Enkelgeneration befasst.

 


Grandmontagne: Durch die Ankündigung Hakenkreuze zu zeigen gingen bei den Behörden einige Klagen ein. Da die Hakenkreuze Teil der Inszenierung waren, fiel diese Inszenierung unter den Schutz der Kunstfreiheit. Welche Bedeutung hat die Kunstfreiheit für eine Gesellschaft und persönlich für Sie?

 

 

Zielinski: Kurz gesagt, wir leben in einem Rechtsstaat. Die Kunst als Institution einer Gesellschaft unterliegt den Gesetzen, wie alle Institutionen. Die Kunstfreiheit wird durch den Rechtsstaat geschützt. Hätte allerdings die Inszenierung mit den Hakenkreuzbinden in Konstanz ihre Institution verlassen und wäre in den öffentlichen Raum getreten, hätte sie sich sehr wohl strafbar gemacht.
Die Kunstfreiheit ist eine wichtige Säule der Demokratie, nur mit den Freiheiten der Medien, der Wissenschaften und der Künste kann diese Gesellschaft zu einer verlässlichen Demokratie heranreifen. Die Medien, die Wissenschaften und die Künste schaffen überhaupt erst den Raum für Diskurse, deshalb und übrigens wirklich deshalb, sind diese heute so umkämpft.

 


Grandmontagne: Mögen Sie kurz die so genannte Brüsseler Erklärung für uns zusammenfassen und aus Ihrer Sicht einordnen?

 

 

Zielinski: Die Brüsseler Erklärung ist ein Versuch der Abwehr, ein Versuch der Abwehr von Inanspruchnahme und institutionalisierter Kontrolle, der eben erwähnten Freiheiten, namentlich der Freiheit der Künste.
Es ist eine Abwehr neuer nationaler, auch völkischer Ideen und der neu Ausrichtung der Künste in Richtung Flankierung einer möglichen Staatsraison und Staatsdoktrin. Derlei können wir gut beobachten, in der Region der ehemaligen sowjetischen Einflussnahme, aber auch in den Parteiprogrammen der westeuropäischen und nordamerikanischen neuen Rechten.

 



Grandmontagne: Im Grundsatzprogramm der AfD will man die „nationale Identität“ fördern und erteilt „Multikulturismus“ eine Absage. Ist Ihrer Meinung nach Kunst zur Neutralität verpflichtet oder darf sie Stellung beziehen?

 

 

Zielinski: Kunst muss Stellung beziehen, ich kann mir das nicht anders vorstellen. Das ist von der verbrieften Freiheit der Künste natürlich geschützt. Das gilt allerdings für alle Protagonisten, Demokratie bedeutet nämlich auch den Wettbewerb von Ideen. Auch deren Ästhetisierung, Konstruktion und Dekonstruktion. Wir sind auf dem Weg in eine neue nationale, mit Anti-intellektuellen, sprich Anti-akademischen Impetus, werden neue Ideale mit Pathos und Wut gleichermaßen postuliert. Es wird sich zeigen, ob unsere Demokratien und ihre Kunstschaffenden in den letzten Jahren die richtigen Mittel gefunden haben und sie einzusetzen wissen, um ihre Freiheit und die Freiheit der Kunst zu behaupten.

 


Nix: Natürlich ist Kunst eine Haltung. Also sie bezieht immer Stellung. Ich glaube, dass es das gar nicht gibt, das ist eine Erfindung, eine Fiktion mit der Neutralität. Es gibt verschiedene Formen von Zurückhaltung. Neutralität gibt es nicht in diesem Sinne, es gibt Zurückhaltung und in manchen Positionen braucht man diese. Als Richter ist es wichtig, auch als Lehrer oder Hochschullehrer ist es wichtig den anderen seine Dinge nicht aufzudrücken. Aber die Kunst ist ja auch immer ein Ausdruck von etwas, sie sollte nicht so belehrend sein. Also da achte ich auch auf die Stücke, dass die nicht denken: „Jetzt musst du so sein.“ Also sie ist kein Mittel! Sie sollte frei sein, sie darf nicht Teil einer Partei oder eines Staates sein. Das war auch das Unglück in der DDR oder der Sowjetunion, es war das Agitationsmittel für den Staat und den Sozialismus. Nein, das ist es sicherlich nicht. Es ist kein Mittel für den Zweck, sondern die Kunst ist die Kunst, ist die Kunst, ist die Kunst. A Rose is a Rose is a Rose und aus diesem wiederum für sich sein wächst dann eine Haltung.
Grandmontagne: Also bezieht die Kunst immer Stellung, egal wie sehr man versucht neutral zu sein?
Prof. Nix Ja, auch wenn ich an der Straßenecke stehe und ich kümmre mich nicht, hab ich mich entschieden, ich habe einen verrecken lassen.

 


Grandmontagne: Kunstfreiheit ist universell geltend, also auch für rechte Aktivisten bzw. die identitäre Bewegung. Ist die Kunstfreiheit wirklich universell oder hat sie ihre Grenzen, wenn ja, wo beginnen diese?

 

 

Nix: Das ist auch etwas, was ich zunehmend schätze, klingt komisch. Als junger Jurastudent habe ich immer gedacht, wir werden eine neue Verfassung formulieren, die wird besser sein. Man kann sich auch Verfassungen vorstellen, die konkreter, die gründlicher sind. Also wir haben kein Grundrecht auf wohnen, wir könnten ein Grundrecht auf Arbeit formulieren oder das Subjekt von Tieren. Aber die Kunstfreiheit, manche Dinge sind sehr banal, sehr einfach formuliert. Mein Verständnis von dieser Verfassung ist, da beziehe ich mich auf Helmut Ritter, der Staatsrechtslehrer in Gießen war, bei diesem übrigens auch Frank Walter Steinmeier promoviert hat. Ritter hat gesagt, dieses Grundgesetz ist so etwas wie ein Therapieprogramm, ein merkwürdiger Begriff für einen normativen Text. Der Sozialstaat hat sich so etwas wie eine Dynamik gesetzt, die Trennung von Staat und Gesellschaft aufzuheben, die Dichotomie, die Zweiteilung, weil diese Trennung, die Menschen im Kopf haben wie „die da oben“ und „die da unten“, existiert soziologisch. Andererseits ist aber Staat und Gesellschaft etwas, was eine Einheit sein sollte, weil sie transparent ist und demokratisch rotiert. Die Kunstfreiheit ist so etwas wie der Kitt, die Wissenschaftsfreiheit, die Redefreiheit, ist so etwas wie der Kitt, dass der Diskurs möglich ist, das sind die Kommunikativengrundrechte. Wann wird Diskurs kaputt gemacht? Einerseits ist die hohe Kunst auszuhalten, dass solche Leute wie die identitäre Bewegung die Imperia in Konstanz verhüllen.
Grandmontagne: Genau das gleiche ist auch in Wien mit dem Maria-Theresien Denkmal passiert, die Identitären haben ihr eine Burka übergezogen.
Prof. Nix: Das ist erst mal eine provokante und Happening hafte Aktion, dass muss man erst mal so sagen. Das Grundgesetz hat auch sehr klar normiert. Die allererste Begrenzung der Norm, denn niemand hat gesagt die Freiheit ist totalitär, die Freiheit endet immer da, wo die Freiheit des Andersdenkenden beginnt. Das ist Rosa Luxemburg und im Grunde genommen hat sie damit ein Grundgesetz formuliert. Wo beginnt denn die Begrenzung? Sie beginnt da, wo der andere erniedrigt, beleidigt und Geschichte diskreditiert wird. Der gröbste Filter ist die Verletzung von Strafrecht. Natürlich gehören in unserer Kultur auch und das ist auch gut so, weil es scheinbar nicht anders ging, etwas unter strafrechtlichen Vorbehalt, wenn man behauptet, Auschwitz hätte nicht stattgefunden. Insofern ist das erst mal, finde ich, von der Rechtsordnung eine ganz gute Chance. So lang jemand von der identitären Bewegung eingehüllt mit Tüchern durch die Stadt läuft, muss ich das hinnehmen und kann nicht sagen, der gehört da nicht hin. In dem Moment, wo er sich aber schwarz anmalt und sagt „genug“, beginnt die Diskreditierung von Menschen mit schwarzer Hautfarbe und zwar über das Maß hinaus. Das sind jetzt ein paar Beispiele, bei der ich glaube, dass unsere Rechtsordnung erst mal ganz gut greift.

 

 

Zielinski: Die Kunstfreiheit ist aus unserer Sicht universell, allerdings sind die unterschiedlichen Perspektiven auf Freiheit, Meinung und Ausdruck auch geschützt, verstehen Sie das Dilemma? Schließlich läuft es darauf hinaus, ob der Rechtsstaat durchsetzungsfähig ist und sich die Protagonisten sich selbstbewusst und regelkonform verhalten. Die Regeln werden vom Rechtsstaat durchgesetzt, geschaffen werden sie allerdings von der Gesellschaft im Ganzen. So wird alles stets neu verhandelt, jedenfalls in Demokratien.

 

 

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Andrea Zielinski, Kulturanthropologin, NS-Symbole am Stadttheater Konstanz

 

Dr. Andrea Zielinski ist Kulturanthropologin mit dem Schwerpunkt auf Konfliktforschung, interreligiöser Dialog, religiöser Fundamentalismus und Rassismus in Regionen des politischen Übergangs: Levante, Mittlerer Osten und Mittel- und Osteuropa. Sie forschte und lehrte an der Universität Hamburg, der Humboldt-Universität zu Berlin, der University of Sussex und der University of London im Bereich Menschenrechte und Migration von Menschen und Ideen.

 

 

Prof. Nix, Intendant Stadttheater Konstanz, NS-Symbole

 

Prof. Dr. Dr. Nix ist studierter Jurist und war Hochschullehrer für Strafrecht und Bühnenrecht. Er spielte für Augusto Boal und Gardi Hutter und trat als Clown im Europa Zirkus Bügler auf. Seine erste Intendanz befand sich in Nordhausen, dann am Staatstheater Kassel und er war Mitglied des Vorstands des Deutschen Bühnenvereins. Seit 2006 hat er die Intendanz im Stadttheater Konstanz.
 

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