Immer nicht deutsch …

Auf den zweiten Blick wird allerdings schnell klar, dass hinter dem Titel und der Fragestellung nicht die erwartete Provokation steckt, sondern dass es sich hier um einen weiteren affirmativen Beitrag handelt, der „bürgerliches“ Engagement aufgrund einer maroden Sozialstaatlichkeit zur Aufrechterhaltung des „deutschen Lebensstandards“ ausnützen will.

Zweifellos hat sich Kathrin Düsener mit ihrem Vorhaben auf dünnes Eis gewagt. Im Oktober 2009 erscheint ihre Dissertation im transcript Verlag. Die Autorin selbst sieht sich als begeisterte Verfechterin einer „Bürgergesellschaft“ mit „freiwilligem Engagement“ und ist seit ihrer Kindheit damit verbunden. Was sie unter freiwilligem oder, wie sie es nennt, „bürgerlichem“ Engagement versteht, definiert sie nicht sofort, es wird aber bei fortlaufender Lektüre ihrer Arbeit ersichtlich: Darunter fällt für sie alles, was sich von Erwerbsarbeit abgrenzt, wenngleich ihre Vorannahmen aus dem karitativen Bereich entwickelt werden.

In ihrer Arbeit möchte Kathrin Düsener am Beispiel ihrer 14 Interviewpartner_innen „sowohl die Motivlagen als auch die identitätsstiftenden Aspekte freiwilliger Arbeit“ (12) untersuchen, und zwar mit einem „Fokus vor allem auf individuelle Wahrnehmungen und auf persönliche Entwicklungsmechanismen“ (17). Ein erster Blick auf ihr Vorhaben, Themenbereiche der Migrations-, Engagements- und Identitätsforschung aus reflexiv-sozialpsychologischer Sicht – welche sich in der Tradition der kritischen Sozialwissenschaften sieht (u. a. Kritische Theorie, Gender Studies und Psychoanalyse) – unter einen Hut zu bringen, verspricht durchaus, einen interessanten Einblick zu liefern. Auch die sozialwissenschaftliche Methodenwahl der Grounded Theory lässt einen skeptischen Zugang gegenüber Mainstream-Wissenschaften der Moderne erwarten. Auf den zweiten Blick wird allerdings schnell klar, dass hinter dem Titel und der Fragestellung nicht die erwartete Provokation steckt, sondern dass es sich hier um einen weiteren affirmativen Beitrag handelt, der „bürgerliches“ Engagement aufgrund einer maroden Sozialstaatlichkeit zur Aufrechterhaltung des „deutschen Lebensstandards“ (20) ausnützen will.

Reduktionistische Erklärungsansätze und mangelnde Selbstreflexion

Entgegen einer gesellschaftskritischen Auseinandersetzung verengt die Autorin ihre Herangehensweise stark auf psychologische Erklärungen. So sind freiwilliges Engagement, Kultur und kulturelle Identität, Migrationshintergründe, Integrationsimperative etc. zwar keine rein politischen oder sozialen Phänomene, aber genauso wenig auf bloß psychologische Faktoren reduzierbar. Die Behandlung dieser Themen führt zweifelsohne zu interessanten Widersprüchen, jedoch verabsäumt es die Autorin vollends, diese zu thematisieren. Ihre Arbeit hinterlässt daher einen inkohärenten und reduktionistischen Gesamteindruck, wodurch das Informationsbedürfnis der Leser_innen auf weiten Strecken nicht befriedigt wird. Ihre Frage, „wie sich Subjekte in dynamischen, gesellschaftlichen Veränderungsphasen positionieren und welchen Einfluss gesellschaftliche Gegebenheiten auf die Subjekte haben“ (18) bzw. wie ihre Interviewpartner_innen dies persönlich empfinden, verliert spätestens dann an Glaubwürdigkeit, wenn sie einer Interviewpartnerin – die laut eigenen Angaben „immer schon Deutsche“ war – unterstellt, sie würde durch die „Verortung in der deutschen Gesellschaft“ ihre „kulturellen Wurzeln“ verleugnen (252). An einer anderen Stelle paraphrasiert sie eine Interviewpartnerin, die behauptet habe, dass „in ihrem Herkunftsland vor allem körperliche oder wirtschaftliche Stärke zählt, während man in Deutschland Gewalt jeglicher Art ablehne“ (236) – und lässt dies unkommentiert im Raum stehen.

Auch wenn die Autorin mehrfach einen selbstreflexiven Anspruch formuliert, dominieren doch hegemoniale Deutungsmuster und normative Strukturen ihre Arbeit. So kommt sie zu dem Schluss, dass sich ihre Interviewpartner_innen freiwillig und bewusst für „bürgerliches“ Engagement entschieden haben (258). Dabei lässt sie dessen Zusammenhänge mit neoliberalen Prekarisierungstendenzen, strukturell rassistischen Migrationsgesetzen wie auch der unterschiedlichen sozialen Herkunft der Befragten – um nur einige Aspekte zu nennen – weitgehend unberücksichtigt: Unter den von ihr interviewten 14 Personen melden sich neun Frauen zu Wort, von denen mehr als die Hälfte im Pflege- und Kinderbetreuungsbereich tätig ist. Beispielsweise ist eine der Interviewten seit 2005 in Deutschland, hat einen BWL-Abschluss und arbeitet momentan in einer Kinderkrippe, da sie keine Arbeitserlaubnis bekommt: „Weil sie für ein freiwilliges soziales Jahr zu alt war, kam sie über den Generationsübergreifenden Freiwilligendienst zu einem Einsatz in der Kinderkrippe. Dort hilft sie den Erzieherinnen in einer Gruppe, wird aber auch gruppenübergreifend eingesetzt, wenn eine Mitarbeiterin erkrankt ist. […]. Frau Galinski erhält für ihre Arbeit ein Taschengeld von 170 Euro im Monat, dafür arbeitet sie 30 Stunden in der Krippe“ (99).

Fazit

Nicht ein einziges Mal blickt Kathrin Düsener hinter die neoliberalen Kulissen „freiwilligen“ Engagements. Nicht einmal wird die Problematik der Freiwilligkeit in kapitalistischen Systemen angesprochen. Begriffe wie „gute Migranten“, „Mehrheitsgesellschaft“, „Volksdeutsche“ werden unreflektiert reproduziert. Kurz: Dieses Buch ist ein weiterer legitimierender Beitrag zu den Äußerungen, die wir tagtäglich von Mainstream-Medien und Politiker_innen hören.

Literatur

Kathrin Düsener (2009): Integration durch Engagement? Migrantinnen und Migranten auf der Suche nach Inklusion. Bielefeld (transcript).

Anmerkungen

Die Autorin Kathrin Düsener, Diplom-Sozialpädagogin, hat in Sozialpsychologie an der LMU München promoviert. Sie arbeitet im Bereich der Förderung bürgerschaftlichen Engagements. Die Seitenzahlenangaben beziehen sich auf eine nichtveröffentlichte Version des Buchs, die vom Verlag zur Verfügung gestellt wurde.

Fanny Müller-Uri studiert Internationale Entwicklung und Gender Studies an der Universität Wien und schreibt ihre Diplomarbeit zu anti-islamischem Rassismus in Österreich.

 

Ähnliche Artikel

Regierungsprogramm, Kunst Kultur, Menschenrechte, Sozialpolitik, Frauenpolitik, Medienpolitik Das Regierungsprogramm hat 324 Seiten. Daraus ist für den Kulturbereich nicht nur das Kapitel Kunst und Kultur relevant, weil viele Entscheidungen aus anderen Ressorts in die Entwicklung des Sektors hineinspielt: Arbeits- und Sozialpolitik, Asyl- und Migrationspolitik, Menschenrechte, Frauenpolitik, Meinungs- und Pressefreiheit, die Entwicklung der Zivilgesellschaft und vieles mehr. Wir haben uns umgehört, wie verschiedene Bereiche, nämlich Kunst und Kultur, Soziales, Frauenpolitik, Migration und Asyl und freie Medien das Regierungsprogramm beurteilen und was sie erwarten. 
Stadtentwicklung, Kulturpolitik Was sind die Herausforderungen von Kulturentwicklung in urbanen Regionen? Hat die städtische Kulturpolitik überhaupt einen Plan oder reagiert sie nur und verwaltet. Gibt es eine Strategie? Gibt es Ziele? Wie soll das implementiert werden? Wie partizipativ sieht das ganze aus in der Kulturplanung? Und zu guter letzt, inwiefern spielt das Thema Migration und und das neue politische Klima dazu eine Rolle?</p <hr / Wir haben Player aus der Kulturpolitik, der
Die IG Kultur Österreich muss die Teilnahme am Projekt "Brokering Migrants Cultural Participation" , das in den Ländern Belgien, Spanien, Schweden und Italien durchgeführt wird, aufgrund von mangelnder nationaler Finanzierung absagen. Ausgewählte große Kultureinrichtungen können nun nicht auf ihre Durchlässigkeit für Personen mit Migrationshintergrund befragt, analysiert und ihnen eventuell nötige Verbesserung vorgeschlagen werden.