Von Seelenverkäufern und Sklavenhändlern. Ideenklau und Plagiarismus.

Einfacher Diebstahl oder das Erschleichen von Dienstleistungen ist im Alltag sehr gebräuchlich und geschieht auf die einfachste Weise: jemand benötigt eine geistige Arbeit (eine Musik, ein Konzept etc.), will sich die Mühe ersparen, dies selbst zu erarbeiten oder eine andere Person entgeltlich damit zu beauftragen und findet „irgendwo“ eine brauchbare Arbeit. Diese wird dann schlicht ohne das Einverständnis der ursprünglichen Schöpfer/innen und ohne Hinweis auf die Quelle verwendet, oftmals auch als die eigene ausgegeben.

Ideenklau klingt einerseits frech, andererseits harmlos. Das hängt ganz davon ab, was jemand unter einer Idee verstehen will. Nimmt man den Begriff in Platons Sinn als „Urbild“ und „Leitgedanken“ (von altgriechisch idein: sehen, erkennen, wissen), dann handelt es sich bei einer Idee um eine tiefe Erkenntnis der Wesenheit der Dinge bzw. eines Dings jenseits seines trügerischen Erscheinungsbildes. Da steckt Gedankenarbeit drin, da hat der schöpferische Menschengeist schon einen Plan entwickelt, der zur Verwirklichung in einer künstlerischen Aussage oder in einer technischen Erfindung drängt. Das Konzept und der Plan zur Verwirklichung sind in dieser großen Idee durchaus enthalten.

In der Alltagssprache wird der Begriff dagegen im Sinn einer plötzlichen Eingebung, eines Einfalls verwendet. Statt gedanklicher Arbeit handelt es sich um den bloßen Hauch eines Gedankens. Dieser Idee fehlt die Ausführung, sei es in Konzeptform oder als greifbare Verwirklichung.
Dürften Ideen im zweiten Sinn nicht frei verwendet werden, würde daraus eine noch stärkere Verarmung des geistigen Austauschs und der Kreativität entstehen, als überzogene Tendenzen im Urheber-, Marken- und Patentrecht jetzt schon verursachen. Diese Schutzinstrumente haben sich teilweise in ihr Gegenteil verkehrt und werden zur Unterdrückung von Kreativen verwendet.

Nun ist es eine Errungenschaft der Aufklärung, nicht nur materielles Eigentum sondern auch geistiges anzuerkennen, sodass Diebstahl geistigen Eigentums nicht leichter wiegen kann als Diebstahl materiellen Eigentums – auch dass die (physische) Leibeigenschaft nicht mit der Menschenwürde in Einklang zu bringen ist, genauso wenig aber eine „geistige Versklavung“ des schöpferischen Menschen. Nicht umsonst bedeutet das lateinische Wort „Plagiator“ soviel wie „Sklavenhändler“ oder „Seelenverkäufer“.

Nun gibt es zwei unterschiedliche Wege, geistiges Eigentum im großen Stil zu usurpieren, die auf den ersten Blick gegensätzlich erscheinen, die aber doch dieselbe Wurzel haben und in den selben gesellschaftlichen Voraussetzungen gedeihliche Bedingungen finden.

1. Einfacher Diebstahl oder das Erschleichen von Dienstleistungen

Dies ist im Alltag sehr gebräuchlich und geschieht auf die einfachste Weise: jemand benötigt eine geistige Arbeit (eine Musik, ein Konzept etc.), will sich die Mühe ersparen, dies selbst zu erarbeiten oder eine andere Person entgeltlich damit zu beauftragen und findet „irgendwo“ eine brauchbare Arbeit. Diese wird dann schlicht ohne das Einverständnis der ursprünglichen Schöpfer/innen und ohne Hinweis auf die Quelle verwendet, oftmals auch als die eigene ausgegeben. Mit dieser Problematik kämpfen wissenschaftliche Einrichtungen, wenn Studierende Tastenfertigkeit im Sinn von Copy und Paste zeigen, die geforderte eigenschöpferische Tätigkeit aber unterbleibt. (Es handelt sich hier weniger um ein Problem der „geistigen Versklavung der Bestohlenen“ als vielleicht vielmehr um eine „Selbstversklavung“ oder um eine mangelhafte Auffassung vom Zweck der Übung durch die betreffenden Studierenden). Dieser Bereich erscheint daher höchstens unter den Aspekten der Leistungsbeurteilung als unerquicklich, keineswegs im viel gravierenderen Sinn der „Versklavung“ durch Plagiate.

Anders liegt es in den folgenden Fällen, die durchaus hypothetisch und erfunden sind, gleichzeitig aber durchaus alltäglich und allen schöpferischen Geistesarbeiter/innen (Kunstschaffenden, Wissenschaftler/innen etc.) bekannt und im negativen Sinn geläufig:

Beispiel A

Eine Gruppe von Kulturschaffenden findet in einer bestimmten Region mangelhafte kulturpolitische Bedingungen für ihre Arbeit vor. Nachdem über Mängel und angestrebte Ziele Einvernehmen hergestellt worden ist, wenden die Kulturschaffenden sich an den/die zuständige/n politische/n Mandatar/in mit dem Ersuchen, Abhilfe zu schaffen. Hat diese/r nun nicht den Willen oder nicht das notwendige Durchsetzungsvermögen, die Wünsche umgehend zu realisieren, beginnt das folgende Spiel: die Kulturschaffenden werden gebeten, ein Konzept zu schreiben, was sie gern und mit großem Engagement, wenn auch unter Schwierigkeiten tun. Das auf vielen Seiten ausgearbeitete Konzept wird überreicht.

Schon hier kann der geistige Diebstahl dingfest gemacht werden, denn es ist Aufgabe der Kulturverwaltung, für günstige Rahmenbedingungen für das kulturelle Schaffen zu sorgen und die dafür notwendigen konzeptionellen Grundlagen zu erstellen bzw. diese im (bezahlten) Auftragsweg zu beschaffen. Speziell im Kulturbereich aber sind von Kulturschaffenden unzählige Konzepte verfasst und der Politik zur Verfügung gestellt worden, ohne dass ein Entgelt dafür geflossen wäre, sei es in Form eines Werklohns oder in Form der angestrebten günstigeren Arbeitsbedingungen. Doch damit hat das unwürdige Spiel erst begonnen. Denn das erste Konzept genügt ja nicht, es werden Einzelpersonen oder Gruppen gefunden, die sich dagegen aussprechen, weshalb eine neuerliche Einigung und ein neues Konzept erforderlich werden. Und der/die politische Mandatar/in, der/die in anderen Lebensbereichen (Verkehr, Gesundheit etc.) nie auf den Gedanken käme, von Fachpersonen (Verkehrsplaner/innen, Ärzt/innen etc.) gratis Konzepte einzufordern, kann über lange Zeit die geistige Arbeit der Kulturschaffenden statt der eigenen Geisteskräfte in Anspruch nehmen, ohne sich dafür zu revanchieren: die Kulturschaffenden mutieren so zu „Sklaven“.

Beispiel B

Ein/e Intendant/in hat die Aufgabe, eine kulturelle Großveranstaltung zu organisieren oder ein bestimmtes Gelände mit kulturellen Ereignissen und Einrichtungen zu bespielen. Es wird also eine Ausschreibung organisiert oder es werden die „üblichen Verdächtigen“ (zum Beispiel bestehende Nutzer/innen des betreffenden Geländes) „eingeladen“, Ideen und Konzepte für die Nutzung einzureichen bzw. ihren Verbleib am Standort durch ein Konzept für ihre künftige Arbeit zu legitimieren (Letzteres obwohl die reale Ausformung eines Konzepts, also die konkrete Durchführung der Arbeit, einem Konzept an Plastizität immer überlegen sein muss). Nicht garantiert wird von vornherein, dass die Verfasser/innen eines Konzeptes dieses im Fall seiner Auswahl durch Intendanz oder Jury selber realisieren „dürfen“, gleichzeitig wird unausgesprochen vorausgesetzt oder explizit vermittelt, dass es in dieser Situation dennoch keine Abschlagszahlung geben wird: ein ansprechendes Konzept wird einfach „genommen“.

Die „Versklavung“ der Konzeptverfasser/innen besteht einerseits darin, dass sie aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeit oder anderer materieller Gegebenheiten (Standort, Infrastruktur etc.) ihre Mitarbeit nicht versagen können. Andererseits liegt sie darin, dass ihre Konzepte verwendet und umgesetzt werden, ohne dass die moralischen oder finanziellen Rechte der Verfasser/innen respektiert werden. Selten kommt es vor, dass Künstler/innen und Kulturschaffende sich gerichtlich gegen solche Praktiken wehren. Der finanzielle und persönliche Aufwand ist hoch, das Risiko groß. Die Aussichten auf Erfolg sind angesichts dessen, dass ein Plagiat bewiesen werden muss, fraglich. Wer nicht vorhat, auszuwandern, wird auch davor zurückschrecken, eine Gebietskörperschaft, deren ausgelagerte Kulturveranstalter oder den ORF zu klagen.

2. Monopolisierung

Eine andere Methode der „Versklavung“ geschieht vielfach legal unter dem Schutz des Urheber-, Marken- und Patentrechts. Im Bereich des Patentrechts wird immer wieder versucht, grundsätzlich nicht patentierbare Dinge (z.B. in der Natur Vorgefundenes oder allgemein bekannte, oft unter Einsatz öffentlicher Mittel entwickelte Methoden) mit Hilfe eines Patents der Allgemeinheit zu entwenden. Falsch, auch aus rechtlicher Sicht, agieren Patentämter, die solches zulassen. Bekannt ist das Beispiel Basmati-Reis, für den eine amerikanische Firma im Besitz des Fürsten von Liechtenstein beim amerikanischen Marken- und Patentamt eine Reihe von Patenten und Markenrechten an der traditionellen Reissorte angemeldet (und eingetragen bekommen!) hatte. Behörden leisten der Biopiraterie mitunter Vorschub, indem sie den Dieben gestohlenes Wissen sichern und die Bestohlenen von der Nutzung und Weiterentwicklung ihrer Ergebnisse ausschließen. Um unrechtmäßige Patente bereits bei der Einreichung zurückzuweisen, fehlt den Patentämtern vielfach die Befähigung. Die Beweislast wird auf die Schultern der Bestohlenen abgewälzt, welche eine Nachprüfung eines Patentes zu veranlassen hätten. Mittlerweile hat Indien allerdings erreicht, dass die Mehrzahl der Eintragungen revidiert wurde und Basmati als geographische Bezeichnung im Sinne des TRIPS anerkannt ist.

Interessant wird der Streit um die Eintragung der Marke „Österreich“ für das neueste Medienprodukt Wolfgang Fellners. Die Erniedrigung für „Boulevard-abholde österreichische Patriot/innen“ ist schmerzhaft. Doch die Republik selbst hat sich gegen die Eintragung eines Teils ihres Hoheitszeichens als Marke nicht gewehrt, ihr Patentamt hat die Marke anstandslos akzeptiert. Offenbar fürchtet sie nicht, eines Tages nicht mehr „Republik Österreich“ in die Pässe ihrer Staatsbür-ger/innen schreiben zu dürfen, doch genau darauf zielt eine Markeneintragung ab: andere vom Gebrauch einer Bezeichnung auszuschließen, so absurd dies in diesem Fall erscheinen mag. Fellner hätte keine Marke gebraucht, um eine Zeitung „Österreich“ zu nennen. Eine Privatperson hat es sich nun zur Aufgabe gemacht, die Republik vor weiterer Schande zu bewahren und die Eintragung der Marke anzufechten.

Beim überschießenden Gebrauch des Urheberrechts geschieht Ähnliches. Schöpfer/innen eines Werks werden zu 100% und auf Dauer von der Nutzung ihres eigenen Werkes ausgeschlossen, sobald sie (gegen Entgelt, ist zu hoffen, aber welches?) ein umfassendes Werknutzungsrecht eingeräumt haben. Was zunächst als probate Arbeitsteilung zwischen Produktion und Vertrieb funktioniert haben mag, hat sich längst in ein wildes sozialdarwinistisches Treiben gewandelt, wo Unternehmen mit ausreichender Marktmacht sich Werke aneignen: mittels Diebstahls oder mittels unfairer Verträge, nur in Ausnahmefällen jedoch durch faire Übereinkünfte oder durch Erfolgsbeteiligung, denn solche Erträge werden als Dividende ausgeschüttet. Auch öffentlich kontrollierten Einrichtungen wie dem ORF oder Verwertungsgesellschaften werden von Künstler/innen vorgeworfen, unfaire und ausschließende Praktiken anzuwenden, wobei letztlich auch öffentliche Interessen und Konsument/innen-Interessen unter die Räder geraten.[1]

Doch der „Aufstand der Sklav/innen“ ist in Form von Gegenbewegungen bereits in Gang gekommen, auch wenn er sich weniger spektakulär (aber auf lange Sicht erfolgreicher) gestalten mag als im antiken Rom. Vielmehr findet er in Form von zäher Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit von NGOs und NPOs statt. Wann die offiziellen Hüter/innen des Wettbewerbs bei der EU sich bewogen fühlen werden, gegen Oligopolisierung und „Marktverzerrung“ aktiv zu werden, ist eine durchaus noch offene Frage. Die bisherigen Richtlinien im Bereich des geistigen Eigentums haben dazu kaum Positives beigetragen, teilweise sogar geschadet.

1 Vgl. die einschlägigen Artikel in der Zeitung des Kulturrat Österreich aus dem Jahr 2006 unter: Kulturrat

Juliane Alton ist Gerichtssachverständige für Urheberfragen aller Art und Vorstandsmitglied der IG Kultur Österreich

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