In Zusammenarbeit mit gangart. Zur Frage der Repräsentation in Partizipations-Projekten

Als Dreizehnjähriger war Baris von seinem Onkel aus der Türkei nach Österreich geholt worden, wo er vier Jahre lang mit einem Touristenvisum lebte. Er ging zur Schule, lernte Deutsch, schloss Freundschaften. Dann liefen alle Aufenthaltsgenehmigungen ab, Baris wurde illegal.

Teil I: ‘abschiebung - baris keles’

Am 14.10.2000 wurden in der Wienstation vier Videos gezeigt, die von jugendlichen Immigrant/ inn/en der zweiten Generation in Kooperation mit gangart und Anna Kowalska/Simone Bader produziert worden waren. Initiiert wurde das Projekt von der Galerie ‘dezentrale Kunst’ (Eva Dertschei, Ulrike Müller und Carlos Toledo), auf deren Initiative die genannten Künstler/innen mit ‘echo. Verein zur Unterstützung Jugendlicher’ kooperierten. Der Arbeitsprozess wurde als work in progress in mehreren Veranstaltungen öffentlich dokumentiert. Inspirationsquelle für die Videos war ein von zwei echo-Sozialarbeiter/inne/n (Irmi Nowotny und Thomas Tesar) mit Jugendlichen gemeinsam produzierter Film über einen Wiener Park, der letzteren als Treffpunkt diente, was aber den Bewohner/inne/n eines angrenzenden Gemeindebaus nicht recht war. Das Park-Video wurde zum Ausgangspunkt einer öffentlichen Diskussion.

Im Folgenden soll nur von dem Video ‘abschiebung - baris keles’ (13’) von Serdar Celik, Aykut Cetin und Serkan Cetin die Rede sein. Es entstand in Zusammenarbeit mit gangart. Der Fokus wird dabei auf die Frage der Repräsentation gerichtet. Denn wenn in Partizipations-Projekten jemand - wie im vorliegenden Fall - ‘eine Stimme erhält’, wie man in den USA seit den sechziger Jahren proklamiert (Give a Voice) - und es war in Folge der Emanzipationsbewegung bekanntlich so, dass v.a. sozial Benachteiligte wie z.B. Migrant/inn/en unterstützt werden sollten, etwas öffentlich zu artikulieren -, dann geht es ganz zentral um die Frage der Repräsentation.

Das Wort "Repräsentation" verweist auf die Vergegenwärtigung. Die Frage der Sichtbarkeit, welche in der Übersetzung von lat. ‘repraesentatio’ immer zuerst genannt wird - als ‘Darstellung, Abbildung’ -, ist bereits die ideologische Ausdeutung der Vergegenwärtigung. Das Entscheidende an der Repräsentation war seit je, wie und warum jemand in welcher Form ‘dargestellt, abgebildet, vorgeführt, vergegenwärtigt’ wird, welchem Zweck sie dient und was dabei ausgeschlossen bleibt, d.h. durch Sichtbarkeit unsichtbar gemacht wird. Es geht um die Macht des Zu-Sehen-Gebens. Im Video über Baris ist dieses Zu-Sehen-Geben gestuft und deshalb aufschlussreich. Zunächst die Geschichte von Baris:

Als Dreizehnjähriger war Baris von seinem Onkel aus der Türkei nach Österreich geholt worden, wo er vier Jahre lang mit einem Touristenvisum lebte. Er ging zur Schule, lernte Deutsch, schloss Freundschaften. Dann liefen alle Aufenthaltsgenehmigungen ab, Baris wurde illegal. Bei einer Routinekontrolle griff ihn die Polizei auf, er kam in Schubhaft und wurde abgeschoben. Weil Baris in Wien viel Sympathie gewonnen hatte, fing, initiiert vom Verein ‘Bahn frei’ (Margerita Benedikt) und stark betrieben vom Leiter von echo, Bülent Ötzoplu, eine Maschine des Einsatzes für seine Rückkehr zu laufen an. In Folge der Kampagne flogen u.a. Eva Linsinger und Patrik Volf, Redakteure von Standard und Falter, in die Türkei, und zuletzt sprang sogar die Kronenzeitung auf den Baris-Befreiungszug auf. "Baris dankt der Wiener Polizei", hieß es darin. Der junge Mann war zum Medienfall geworden und konnte infolgedessen tatsächlich nach Österreich zurückkehren, obwohl die Rechtslage eindeutig gegen ihn sprach. Er eignete sich ideal dafür, denn er sieht gut aus, ist intelligent, offenherzig und freundlich. Derzeit macht er eine Lehre im Betrieb des Schwagers eines Polizisten, welcher ihm während der Abschiebung dessen Telefonnummer zugeschoben hatte. "Falls du zurückkommst…", hatte er gesagt.

Im Video bekommt man Baris nur einmal zu Gesicht: Er singt ein Lied. Im Übrigen wird ausschließlich über ihn geredet. In mehreren Gesprächen nach der Präsentation des Videos in der Wienstation rekonstruierten Simonetta Ferfoglia und Heinrich Pichler von gangart Baris’ fast restloses Verschwinden aus dem Film. Denn am Anfang stand ein von allen vier beteiligten Jugendlichen - unter ihnen Baris - gemeinsam mit gangart entwickeltes Konzept, in dem Letzterer seine Geschichte selbst hätte erzählen sollen. Es gab mehrere Drehs, Baris sprach, alles lief nach Plan. Im Laufe der Zeit aber wurde er von den anderen drei Jugendlichen immer mehr ausgeklammert. gangart versuchte, eine weitere Einbindung von Baris in den Produktionsprozess anzuregen. Sein Ausschluss wurde thematisiert, und dennoch führten die drei anderen Jugendlichen die wichtigsten Interviews ohne Rücksprache mit ihnen und Baris. Den Schnitt zogen sie dann überhaupt alleine durch. Sie hatten sich selbstständig gemacht. Was ja eigentlich erfreulich gewesen wäre.

Die Sache ist aber politisch brisanter als von gangart selbst zu Beginn vermutet: Baris ist Kurde. Und die anderen drei Jugendlichen sind Türken. Und sie identifizieren sich mehr oder weniger offen mit den ‘Grauen Wölfen’, sind also sozialisiert in einer faschistoiden Organisation, deren Feinde Nummer Eins Kurden sind. Geplant war, Baris eine Stimme zu geben, nachdem permanent nur für und über ihn gesprochen und er von verschiedenen Seiten gehörig instrumentalisiert worden war. Er hatte dem Video auch nur zugestimmt, weil er selbst zu Wort zu kommen hoffte. Aber dann wurde er von denen, die ihrerseits erst durch die Zusammenarbeit mit gangart eine Repräsentationsfläche erhalten hatten und die selbst einer sozialen Gruppe angehören, welche in Österreich keinen leichten sozialen Stand hat, zum Schweigen gebracht. Auch für die jugendlichen Türken war Baris als Fall ideal. Als Person, die sich selbst repräsentieren hätte können, wurde er offenbar zunehmend unbequemer. Nur als Singender war er akzeptabel. Das Lied ist gut für Stimmung und es dient dazu, denjenigen, von dem die Rede ist, zu einer imaginären Figur, zum Mythos zu stilisieren. Anders gesagt: Der Marginalisierte wird von Marginalisierten marginalisiert, indem diese ihn real ausklammern und seine Geschichte ohne ihn zum Paradebeispiel hochstilisieren.

Teil II: Supplement

Über die Logik der Repräsentation schreibt Ernesto Laclau, sie sei dann "gut", wenn eine perfekte Transmission dessen stattfindet, was der Repräsentierte will - durch den Repräsentierer. Denn immer muss die Unvollständigkeit - nicht real am Ort der Repräsentation sein zu können - durch Repräsentanten supplementiert werden. Das Supplement, schreibt Derrida, ist ein ‘Adjunkt’. "Es kommt hinzu oder setzt sich unmerklich an-(die)-Stelle-von… Das Zeichen ist immer das Supplement der Sache selbst." Dies wiederum hat zur Folge, so Laclau, "…dass die Rolle des Repräsentierenden nicht neutral sein kann und dass er den Identitäten, die er repräsentiert, etwas hinzufügt". Die Repräsentation ist also immer "unrein", enthält immer einen Zusatz, ist immer resthaft. Die deckungsgleiche, ‘perfekte’ Repräsentation kann es gar nicht geben. Es kann nur verschiedene Grade des Einverständnisses und der positiven Überraschung geben, das Gefühl, dass die ‘repraesentatio’ mehr oder weniger die Erwartungen erfüllt, die sich aus den eigenen Phantasmen nähren.

Im vorliegenden Fall haben die drei jugendlichen Repräsentierer Baris aus seiner Geschichte hinaus- und sich selbst hineinerzählt. Das war ihr unreiner ‘Überschuss’. Sie haben Baris benutzt, um ihren Film zu machen, einen Film, mit dem auch die türkischen Graue-Wölfe-Sympathisanten-Freunde einverstanden sein können. Deshalb auch türkische statt kurdischer Musik, welche ursprünglich geplant gewesen wäre. gangart war mit der Art der Hinzufügung durch die drei Jugendlichen nicht einverstanden. Ebenso wenig wie Baris.

Nun kann man davon ausgehen, dass genau in der genannten Derridaschen Zufügung das Subjekt in seiner subversiven Potenz auftaucht. Denn in seinen Symbolisierungen begegnet das Subjekt seinem eigenen Blick, seinen Wünschen, seinem Begehren. Das wurde Baris verunmöglicht. Und es ist Verhinderung von Singularisierung. Verhinderung der Eigen-Produktion von Dreck. Der Gewinn des Protagonisten-Opfers als Sich-selbst-Repräsentierenden zeigt sich daran, dass auch echo froh ist über den Film. Das Video läßt sich politisch gut einsetzen, unter anderem, weil er eine Form des ‘Wir’ produziert, das jenseits einer offenen Thematisierung von Differenzen und Feindschaften verschiedener Minderheiten liegt. Die Differenzen werden dem allgemeinen Ziel untergeordnet, in Österreich bleiben zu dürfen. Wenn alle zusammenhalten, dann können auch politische Veränderungen stattfinden, so die Message des Videos.

Die türkischen Jugendlichen waren die ‘Künstler’. Sie sprachen an Stelle von jemandem für sich und andere, und schlossen den, über den sie sprachen, in seiner Resthaftigkeit aus. Und indem sie den, an dessen Stelle sie sprachen, auf die Ebene eines geschlossenen Bildes hoben, verließen sie die Ebene des Begehrens und wechselten auf die Ebene des Anspruchs, der Antworten, der Lösungen. Genau an dieser Stelle taucht ein heikler Widerspruch auf, der solchen Give a Voice-Partizipations-Projekten strukturell inhärent ist. Einerseits wird gehofft, mit dem Dreck, mit dem, wo sich das Subjekt zeigt, wenn es sich selbst repräsentiert und sich dabei zwangsweise immer auch selbst subvertiert, so etwas wie Authentizität und Ursprünglichkeit hereinzuholen. Andererseits muss diese Art der Supplementierung, der Drecksproduktion, der Singularisierung auch kontrolliert werden.

Und trotzdem ist der Mythos von der Unvermitteltheit und der Ursprünglichkeit in solchen Projekten lebendiger denn je, wird die Ebene der Supplementierung gerne unsichtbar gemacht. Obwohl mit jeder Medialisierung, Codierung und Symbolisierung, mit jedem Akt der Repräsentation - ob durch sich selbst oder durch andere - die Verunreinigung garantiert ist, stellen sich Partizipationsprojekte als besonders mythenanfällig dafür dar, weil sie umso kompliziertere Repräsentationsunternehmungen sind. In ihnen überlagern und widersprechen sich manchmal - und so wie im vorliegenden Fall - verschiedene Repräsentationsinteressen diametral. Am Video wird so durch seine gestufte Struktur deutlich, was sonst gerne verborgen gemacht wird. Hätte Baris für sich sprechen können, dann hätte er wenigstens selbst die Verantwortung für seine Vergegenwärtigung übernehmen können. In aller Untragbarkeit und aller Chance, etwas von dem zu sehen zu geben, was ihn anging.

Das Entscheidende ist am Ende, wer die Einzelbilder zu einer Story montiert, wer die Gesamtregie übernimmt. Wer die Verfügungsgewalt darüber hat, hat auch die Macht. Und wenn man dabei Macht nicht a priori negativ besetzt, sondern sie im Foucaultschen Sinne als etwas sieht, dessen Produktivität darin besteht, dass es die soziale Wirklichkeit überhaupt erst schafft, dann kommt man vielleicht weg von einer moralischen Empörung hin zur Betrachtung der Struktur und kann sehen, dass es ohne Macht nicht geht. Einer wird die Geschichte erzählen. Und auch wenn dies viele (Künstler/innen) tun oder wenn man sich selbst repräsentiert, wird die Geschichte nicht sauberer. Die Fragen kehren wieder. Was bleibt?
Vielleicht dies: Reflektieren und reflektiert handeln. Man müsste sich permanent den unmöglichen Status der Sache bewusst machen und das Scheitern mit einrechnen.

Fortgesetzte Rede als Handlung bzw. Von innen heraus:

Und man dürfte, wie gangart sagt, das Video nicht unkommentiert zeigen, den Diskurs über die Dinge, die hier zu sehen gegeben werden, nicht abreißen lassen. Man sollte vermeiden, dem Verlangen nach ‘Heilung’, nach Schließen der Lücken, dem durch die Art der Geschichtserzählung im Video mit Sicherheit tröstlich stattgegeben wird, nicht befriedigen. Es ginge darum, auf den Zeigefinger zu zeigen.

Dies tun Anna Kowalska und Simone Bader vergleichsweise programmatisch in ihrem Videoprojekt ‘strukturelle gewalt’ (20’) von Dani Busic und Djonia Oliveira Mendes, indem sie die Frage der Repräsentation zum Thema des Videos selbst machten. Ihr Vorgehen ist feministischen und postkolonialistischen Theorien vergleichbar, welche vorschlagen, ein "’anderer’ Standpunkt (müsse, E.S.-S.) von ‘innen’ heraus konstruiert werden,… aus den Elementen des Repräsentationssystems" (Muttenthaler, Wonisch 1999, 307) selbst gebaut, das es zu bearbeiten gilt. Kowalska und Bader waren echo unbequem. Zufall? Wohl kaum. Sie hatten den Finger so direkt auf eine Wunde gelegt, dass sie abgewehrt werden mussten. Weitere Kommunikation kaum mehr möglich. Aber das ist eine andere Geschichte.

Eva S.-Sturm ist Assistentin am Institut für Didaktik der Bildenden Kunst, Universität Hamburg, Arbeitsschwerpunkt künstlerisch-edukative Projekte.

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