Frühlingserwachen

Wer sich mit „Radaubrüdern“ solidarisiere und die Exekutive vorverurteile, dürfe bis zur Aufklärung der Vorfälle keine Subventionen mehr bekommen. Betroffen von dieser Forderung wären alle 165 Organisationen, die das Bündnis gegen Polizeigewalt unterstützen.

Kaum zwei Monate sind vergangen seit der massiven Polizeigewalt vom 1. Mai, die Linz schlag(stock)artig aus der alljährlichen Frühjahresmüdigkeit gerissen hat. An diesem Tag wurden Antifaschist_innen an ihrem demokratischen Grundrecht, der Demonstrationsfreiheit, gehindert, indem sie von der Polizei mehrere Stunden eingekesselt und unrechtmäßig gezwungen wurden, ihre Personalien abzugeben und sich fotografieren zu lassen. Es gab mehrere verletzte Demonstrationsteilnehmer_innen, es folgten fünf Anzeigen wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt oder schwerer Körperverletzung. Dieses übermäßige Einschreiten der Polizei löste in Linz eine Welle des Protests, aber auch eine Welle an Solidarität aus: Ein breites „Bündnis gegen Polizeigewalt und für Demonstrationsfreiheit“ hat sich gegründet, Solidaritätsaktivitäten wurden initiiert, Spenden für die Anwaltskosten gesammelt (Spenden werden nach wie vor dringend gebraucht), Pressekonferenzen organisiert, undundund.

Nachspiele

Vom Anmelder der 1.-Mai-Demonstration wurde in der Zwischenzeit eine Maßnahmenbeschwerde beim Unabhängigen Verwaltungssenat (UVS) eingebracht. Er erhebt Beschwerde gegen die Polizei wegen Verhinderung einer ordnungsgemäß angemeldeten und genehmigten Demonstration. Damit sieht er das verfassungsmäßige Grundrecht der Demonstrationsfreiheit in Frage gestellt bzw. aufgehoben. Eine zweite Beschwerde wurde von einem Aktivisten eingebracht, der am 1. Mai durch eine Pfeffersprayattacke für zwei Stunden das Augenlicht verlor. Ihm war aus nächster Nähe Pfefferspray in die Augen gesprüht worden. Die Beschwerde wurde wegen Verletzung des Rechts auf Versammlungsfreiheit und Verletzung des Rechts auf körperliche Integrität gestellt.
Der Polizeieinsatz vom 1. Mai wurde nach einem Vorstoß der ÖVP auch im Linzer Gemeinderat zum Politikum. Elisabeth Manhal, die Chefin des VP-Gemeinderatsklubs, hatte Folgendes geäußert: Wer sich mit „Radaubrüdern“ solidarisiere und die Exekutive vorverurteile, dürfe bis zur Aufklärung der Vorfälle keine Subventionen mehr bekommen. Betroffen von dieser Forderung wären alle 165 Organisationen, die das Bündnis gegen Polizeigewalt unterstützen. Die SP und die Grünen verurteilten nun diese VP-Forderung auf Subventionsentzug und forderten ihrerseits in mehreren Anträgen die lückenlose Aufklärung der Vorfälle vom 1. Mai.

Der erste Prozess, der erste Freispruch

Der erste Prozess begann am Freitag den 12. Juni im Landesgericht Linz. Dem angeklagten Aktivisten wurde das Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt vorgeworfen. Ausschlaggebend für den Freispruch war ein Polizei-Video, das sowohl den gesamten Zugriff der Einsatzeinheit Lentos sowie die Verhaftung des Beschuldigten dokumentierte und das der Verteidigung als Beweis diente. Explizit mit der Begründung der großen Zuhörer_innenzahl veranlasste der Richter das Abspielen des besagten Polizeivideos. Darauf ist klar zu sehen, dass von dem Demonstranten nie der vorgeworfene aktive Widerstand geleistet wurde. Im Nachhinein wurde ersichtlich, wie absurd diese Anschuldigung war: In einer Situation, in der jemand von einer Horde Polizisten umringt und geschlagen wird, und sich in erster Linie schützen muss, scheint es unmöglich, auch noch Widerstand leisten zu können.

Die sechs als Zeugen geladenen Polizisten verstrickten sich in Widersprüche. Es stellte sich heraus, dass mehrere Polizisten nach dem 1. Mai einen Aktenvermerk unterschrieben hatten, ohne diesen gelesen oder den im Vermerk beschriebenen Widerstand gegen die Staatsgewalt überhaupt direkt gesehen zu haben. Einen aktiven Widerstand konnte der Einzelrichter nach dem dreistündigen Prozess nicht erkennen und sprach den Angeklagten frei. Das Urteil ist seit 17.06. rechtskräftig, allerdings konnte sich der Staatsanwalt bisher nicht dazu entschließen, gegen jenen Polizisten, der mit besonderer Brutalität auf den freigesprochenen Demonstranten eingeprügelt hatte, ein Ermittlungsverfahren wegen unverhältnismäßigem Waffengebrauch einzuleiten. Der Prozess gegen einen weiteren Angeklagten, ebenfalls wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt, wird am 14. Juli 2009 stattfinden. Ermittlungen gegen die Polizei Drei Behörden beschäftigen sich nun mit der Frage der Rechtmäßigkeit des Einsatzes, ob und wie das Gebot der Verhältnismäßigkeit und das Recht auf Demonstrationsfreiheit verletzt wurden. Neben dem Unabhängigen Verwaltungssenat haben nun auch die Staatsanwaltschaft Linz und das Büro für interne Angelegenheiten (BIA) des Bundesministeriums für Inneres die Ermittlungen aufgenommen.

Bisher gibt es ein Ermittlungsverfahren gegen einen unbekannten Polizisten. Es dürfte sich dabei um jenen Polizisten handeln, der Rainer Zendron, Vizerektor der Kunstuniversität Linz, mit seinem Einsatzstock so stark schlug, dass dieser abbrach. Der Ausgang des ersten Prozesses lässt auf weitere faire Verfahren hoffen. Allerdings schützt in Österreich Recht vor Strafe nicht immer. Doch das große öffentliche Interesse an den Vorfällen vom 1. Mai hat einiges bewirkt, von der Thematisierung im Landtag bis zur unüblich genauen Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Geschehnissen im Rahmen des ersten Prozesses am 12. Juni. Dies macht wieder einmal deutlich, dass eine breite Solidarität, ein öffentliches Positionieren für oder gegen bestehende Verhältnisse mehr sein kann als bloße Gewissensbefriedigung.

Anmerkungen
Informationen, Solidaritätsaktionen, Kontodaten für Spenden: Antifa
Bündnishomepage

Assata Kangju ist Augenzeug_in und politische Aktivist_in.

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