Italien macht Angst

Wenn im letzten Jahr in europäischen Medien über aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen in Italien berichtet wurde, so waren dies meist durchaus Besorgnis erregende Nachrichten: Der klare Wahlsieg der Rechten bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr, die Zersplitterung und Unfähigkeit der Mitte-Links Parteien, das historische Rausfliegen der Rifondazione Comunista aus dem Parlament, Pogrome gegen Roma in neapolitanischen Ponticelli, die Stationierung von Militärkräften in den italienischen Metropolen, neuerliche Gewinne der Rechten bei den Regionalwahlen in Sardinien oder die Wiedereinrichtung von „Bürgerwehren“ in vielen italienischen Städten.

Wenn im letzten Jahr in europäischen Medien über aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen in Italien berichtet wurde, so waren dies meist durchaus Besorgnis erregende Nachrichten: Der klare Wahlsieg der Rechten bei den Parlamentswahlen vor einem Jahr, die Zersplitterung und Unfähigkeit der Mitte-Links Parteien, das historische Rausfliegen der Rifondazione Comunista aus dem Parlament, Pogrome gegen Roma in neapolitanischen Ponticelli, die Stationierung von Militärkräften in den italienischen Metropolen, neuerliche Gewinne der Rechten bei den Regionalwahlen in Sardinien oder die Wiedereinrichtung von „Bürgerwehren“ in vielen italienischen Städten. Neben diesen könnten noch unzählige weiter Beispiele für rassistische und sexistische Übergriffe und ein verbreitetes Klima der Gewalt in diesem Land gebracht werden. So wurde im Jänner ein indischer Obdachloser, der auf einer Parkbank schlief, von Jugendlichen „einfach so“, „aus Vergnügen“ – wie sie selbst nachher zugegeben haben – angezündet. Der Mann überlebte mit schweren Verbrennungswunden. In Parma wurde letztes Jahr ein 18-jähriger Schüler aus Ghana, der die Abendschule besuchte und vor der Schule auf seine KlassenkollegInnen wartete, von städtischen Polizisten in Zivil „mit einem Drogendealer verwechselt“, geschlagen, misshandelt und auf die Wache mitgenommen. In Mailand wurde ein schwarzer italienischer Junge von einem italienischen Lokalbesitzer erschossen, weil er eine Packung Kekse gestohlen hatte. In verschiedenen Städten gab es in den letzten Jahren Versuche, Roma-Siedlungen anzuzünden, die Pogrome gegen Roma in Ponticelli waren bei weitem nicht der einzige Fall von antiziganistischer Hetze und Gewalt. In Rom gibt es einige Stadtteile, in denen man sich als LinkeR oder MigrantIn am besten nicht alleine blicken lassen sollte. Über migrantisch dominierte Viertel ist in verschiedensten lokalen Tageszeitungen hingegen immer wieder von „Verwahrlosung“ und einem „Sicherheitsvakuum“ zu lesen, auch wenn in diesen meist anstatt der Verbreitung von Gewalt eine Verbreitung von Armut vorherrscht.

Aufschwung rechtsextremer Organisationen

In den letzten Monaten ist immer wieder vom Aufschwung der faschistischen Forza Nuova oder anderen rechtsextremen Gruppen zu lesen. Insbesondere die neofaschistischen, autonomen AktivistInnen von Casa Pound, die sich zum Teil linker autonomer Symbole bedienen, soziale Politik von Rechtsaußen fordern und eben auch Häuser besetzen (für ItalienerInnen, versteht sich), haben in letzter Zeit einen außerordentlichen Zuwachs erfahren. Doch diese Entwicklungen sind in dieser Form überhaupt erst möglich, weil es allgemein zu einem Wuchern rassistischer Diskurse gekommen ist – von den Institutionen vorgetragen, von den Massenmedien verstärkt und von Teilen der Bevölkerung praktiziert. So sagt Sandro Mezzadra hierzu: „Das, was mir Sorgen macht, sind nicht so sehr neofaschistische Organisationen wie Casa Pound oder Neonazi-Organisationen wie Forza Nuova. Was mir Angst macht, ist viel mehr das Klima, in dem sich diese Organisationen bewegen: Dass Forza Nuova nach der Vergewaltigung von Guidonia einen Lynchversuch gegen den vermeintlichen rumänischen Täter organisiert hat und dass derselbe Versuch mit denselben Modalitäten wiederholt wurde [...], nur dass dahinter keine neofaschistische oder neonazistische Gruppe stand. Ich denke, dass dies der Ausgangspunkt sein muss. Ich bin sehr besorgt wegen des Anwachsens des rassistischen Klimas in diesem Land, es gibt einen wirklichen und tatsächlichen Rassismus-Notstand (emergenza razzista), nicht nur in Italien, aber hier ist es besonders schlimm.“[1]

Das Sicherheitspaket

In diesem Kontext muss auch das so genannte „Sicherheitspaket“ gesehen werden, das im Mai 2008 von der rechten Regierung diskutiert wurde. Dieses Paket besteht aus einer Reihe von zum Teil schon in Kraft getretenen Dekreten und Verordnungen sowie einem Gesetzesentwurf (Disegno di legge 733), dessen Artikel bereits vom Senat abgestimmt wurden und der nun zum Beschluss in der Abgeordnetenkammer vorliegt. Bereits das auch international diskutierte „Gesetz Bossi-Fini“ des Jahres 2002 bedeutete eine radikale Verschlechterung der Lebensbedingungen von MigrantInnen, das so genannte Sicherheitspaket potenziert diese noch. Mit Sicherheit haben die gesetzlichen Maßnahmen nichts zu tun, sie sind lediglich von der Regierung in populistischer Manier als angeblich sicherheitsschaffende Maßnahmen verpackt worden. Über die konkreten Inhalte wissen ohnehin die wenigsten Bescheid. Doch effizient wird es jedenfalls sein: Neben den konkreten Veränderungen wird nun der rassistische Diskurs explizit institutionalisiert und die Figur des Migranten/der Migrantin als Bedrohung der öffentlichen Sicherheit gesetzlich verankert.

Mit dem Gesetz 733[2], über dessen letzte Punkte gerade abgestimmt wird, wird „illegale Einreise oder illegaler Aufenthalt“ als Straftat eingeführt. Somit macht es Italien diversen anderen europäischen Ländern nach, obwohl hier etwa im Gegensatz zu Österreich undokumentierte Immigration immer in Massen zugelassen wurde: Es ging nie darum, die Grenzen tatsächlich „dicht“ zu machen, viel mehr sind illegalisierte Arbeitskräfte eine wichtige ökonomische Ressource, bei der Kalkulierung von Profit wird in einigen Wirtschaftszweigen die Ausbeutung billigster illegalisierter Arbeitskräfte ohne Rechte fix mit eingerechnet. So etwa in der Bauindustrie, in der Landwirtschaft oder in der Prostitution. Und auch der Staat entzieht sich seiner Verantwortung vermittels Zehntausender illegalisierter PflegearbeiterInnen aus Osteuropa, die die alten und kranken ItalienerInnen zu Mindestlöhnen 24 Stunden am Tag pflegen. Ursprünglich sah der Artikel für MigrantInnen mit fehlender Aufenthaltsgenehmigung eine Gefängnisstrafe vor, was den Bau Dutzender neuer Gefängnisse bedeutet hätte. Nun wurde er dahingehend modifiziert, dass „illegale Einreise und illegaler Aufenthalt“ mit Geldstrafen von 5.000 bis 10.000 Euro sanktioniert werden. Wäre die ganze Sache nicht so absurd und tragisch, könnte sie zu sarkastischem Lachen anregen: Wenn Menschen bereit sind, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um nach Italien bzw. Europa zu gelangen, werden sie sich wohl kaum von einer Geldstrafe abschrecken lassen, die sie mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin nie zahlen werden können. Von außerordentlicher Wichtigkeit ist jedoch, dass MigrantInnen ohne Papiere mit dieser gesetzlichen Regelung zu „Kriminellen“ werden – nicht nur im Volksmund, sondern per Gesetz. Verschärft werden auch die Strafen für andere „Tatbestände“: Wer trotz bereits bestehendem Abschiebebescheid[3] in Italien aufgefunden wird, muss mit einer Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren rechnen. Gleichzeitig wird es um vieles einfacher, die Aufenthaltsbestätigung zu verlieren: Es soll eine „Punkte-Aufenthaltsgenehmigung“ ähnlich dem Punkte-Führerschein eingeführt werden, bei der ein „Integrationspakt“ unterschrieben wird. Die Regierung verwaltet das Leben der MigrantInnen über subalterne Integration und Assimilierung mittels „Erpressung“.

Zur Schaffung der „urbanen Sicherheit“ wird in einem Artikel des Gesetzes 733 die Bildung von „Bürgerwehren“ (ronde) erlaubt: Die BürgermeisterInnen können sich so genannter „Freiwilliger für die Sicherheit“ bedienen, also BürgerInnen, die in Koordination mit den PolizeipräsidentInnen der jeweiligen Stadt zur „Garantie der Sicherheit in der eigenen Stadt“ beitragen. Im Gegensatz zum ursprünglichen Vorschlag der Lega Nord dürfen diese jedoch nicht bewaffnet sein. Auch wenn dieser Artikel ebenfalls noch nicht rechtskräftig ist, bestehen „Bürgerwehren“ in einigen italienischen Großstädten bereits seit langem. Ein weiterer spektakulärer und bereits beschlossener Punkt des Sicherheitspakets ist, dass die Strafe eines von einem Migranten/einer Migrantin begangenen Delikts verdreifacht wird, wenn dieseR keine Aufenthaltsgenehmigung vorzuweisen hat. Außerdem wird es mit den neuen gesetzlichen Regelungen um vieles schwieriger, überhaupt eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten: Für eine Heirat mit einem/r ItalienerIn wird nun von Beginn an eine Aufenthaltsgenehmigung notwendig sein. Auch der internationale Geldtransfer wird ohne diesen Schein nicht mehr möglich sein. Diese Regelung impliziert, dass MigrantInnen neue Wege finden müssen, einen Teil ihres erarbeiteten Geldes der Familie im Heimatland zu überweisen. Auch mit zwei weiteren bereits beschlossenen Regelungen werden illegalisierte MigrantInnen nun de facto in die Hände organisierter Kriminalität getrieben: Wer MigrantInnen ohne Aufenthaltsgenehmigung beschäftigt oder eine Wohnung vermietet, muss mit bis zu drei Jahren Gefängnis rechnen. Es ist nicht schwierig, sich vorzustellen, wer dies auch weiterhin machen wird – und zu welchen Bedingungen.

Durch das Sicherheitspaket werden diverse weitere Schikanen gesetzlich festgelegt: Wer einen neuen Hauptwohnsitz anmelden oder die Wohnung wechseln möchte, wird diese einer Prüfung in Bezug auf hygienische und allgemeine Vorschriften unterziehen müssen. Sollte sie den Vorschriften nicht entsprechen, bedeutet dies den Verlust des Hauptwohnsitzes und der damit verbundenen Rechte. Gleichzeitig soll aber ein zentrales Register für „clochards“ (so die Regierung), also Personen ohne festen Wohnsitz (auch für ItalienerInnen), eingeführt werden. Eine Aufenthaltsgenehmigung wird nun außerdem notwendig sein, um zivilrechtliche Akte, wie etwa die Meldung eines (in Italien geborenen) Kindes, auszuüben. Sollte auch diese Regelung von der Abgeordnetenkammer tatsächlich beschlossen werden, dann bedeutet dies, dass demnächst Tausende „Niemandskinder“ in Italien leben werden; Kinder, die offiziell gar nicht existieren. Eine weitere Regelung, die ebenfalls noch von der Abgeordnetenkammer beschlossen werden muss, ist die Aufhebung des Verbots der Meldung von Illegalisierten von Seiten der ÄrztInnen: Diesen soll die Möglichkeit gegeben werden, den Behörden das Fehlen der Aufenthaltsgenehmigung von PatientInnen zu melden. Bereits im Februar, als diese Regelung lediglich diskutiert wurde, ging der MigrantInnenanteil in zehn untersuchten öffentlichen Spitälern in Rom und Mailand um 10 bis 15% zurück.

Ansätze gegenhegemonialer Strategien

In Bezug auf diese geplante Maßnahme ist der größte öffentliche Protest zu vernehmen: Ärzte ohne Grenzen, Emergency, Ärzteverbände und auch einzelne ÄrztInnen leiteten in den letzten Wochen eine große öffentliche Kampagne ein; die Einführung dieses Artikels im Gesetzestext ist unwahrscheinlich geworden. Auch sonst mobilisierten in den letzten Wochen sowohl MigrantInnenorganisationen als auch antirassistische zivilgesellschaftliche Organisationen gegen das Sicherheitspaket. In den Abschiebelagern in Lampedusa, in Mailand und in der Nähe von Florenz kam es im Winter zu Revolten der inhaftierten MigrantInnen. „Sie behandeln uns wie Tiere, wir leben hier unter inhumanen Bedingungen“, teilten die MigrantInnen ihren Rechtsanwälten telefonisch mit. Am 23. Mai ist eine große Demonstration in Mailand unter dem Motto „Auf wessen Seite wir stehen“ gegen das Sicherheitspaket geplant, die von MigrantInnenorganisationen, antirassistischen Organisationen, Teilen der Gewerkschaften und autonomen sozialen Zentren getragen wird. Es ist wichtig, antirassistische Diskurse öffentlich präsent zu machen, doch zur Zeit sieht es so aus, als würde die Rechte im Licht der Wirtschaftskrise, angesichts der extrem prekären Arbeits- und Lebensbedingungen vieler und auf der Basis kollektiv verankerter Ängste es schaffen, einen Krieg der Armen gegen Arme mit einfachen Versprechen und klaren Schuldigen anzuzetteln. Umso wichtiger ist es, jegliche antirassistische Regung und jegliche Form migrantischer Selbstorganisation in dem xenophoben Sumpf, in dem Italien zurzeit zu versinken droht, zu beachten, zu schätzen und als Zeichen existierender gegenhegemonialer Diskurse wahrzunehmen.

1 vgl. „Pacchetto sicurezza – Il controllo sulla vita. La vera emergenza è il razzismo“. Intervista al Prof. Sandro Mezzadra. Unter: Global Project
2 Im Folgenden werden einige der Inhalte des Sicherheitspakets beschrieben, Teile davon sind im Gesetz 733 enthalten, das vom Senat abgestimmt wurde. Es kann noch zu teilweisen Veränderungen kommen, da das Gesetz in diesen Wochen in der Abgeordnetenkammer diskutiert wird.
3 In Italien werden illegalisierte MigrantInnen nur in seltenen Fällen in ihr Heimatland abgeschoben. Viele werden nach Libyen geschickt, viele andere bekommen lediglich einen Abschiebebescheid in Papierform und bleiben illegalisiert im Land.

Stephanie Weiss ist Politikwissenschaftlerin, lebt in Wien und Italien.

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