Que[e]r zum Staat

Helga Haberler, Katharina Hajek, Gundula Ludwig, Sara Paloni (Hg.): Que[e]r zum Staat. Heteronormativitätskritische Perspektiven auf Staat, Macht und Gesellschaft. Berlin: Querverlag 2012

Während kulturwissenschaftliche Theorienbildung prägend für die Entwicklung queerer Theorien war und immer noch ist, blieb es insbesondere im deutschsprachigen Raum sehr ruhig um eine staatstheoretische Analyse von Heteronormativität. Eine dringend notwendige Einführung bietet das Buch „Que[e]r zum Staat“: Dringend notwendig nicht nur angesichts der Verurteilung Österreichs durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Sachen Stiefkindadoption bei Regenbogenfamilien, sondern auch, weil die einzelnen Beiträge veranschaulichen, wie die Norm der Heterosexualität weiterhin unberührt bleibt. Auch wenn durch diverse Formen der rechtlichen Anerkennung von Lesben, Schwulen und Trans*Personen der Eindruck entstanden ist, dass nach Jahren der Kriminalisierung die Verurteilung der Toleranz und Akzeptanz gewichen wäre, verweisen die Beiträge auf die Voraussetzungen dieser „Normalisierung“.

Nicht von ungefähr ist eines der wichtigen Themen dabei die Frage der Verpartnerung von Lesben und Schwulen, die von Sushila Mesquita (siehe auch ihr Buch „Ban Marriage“ besprochen in Kulturrisse 02/2012) und Katharina Hajek näher behandelt wird. Trotz aller Ambivalenzen, etwa dass lesbisch-feministische Kritik an Ehekonstruktionen systematisch ausgeschlossen wird, wie das Hajek am deutschen Lebenspartnerschaftsgesetz darlegt, weist Mesquita darauf hin, dass dieses Feld der Normativität nicht außen vor gelassen werden darf. Monika Mayrhofer zeigt in ihrem Beitrag Queeuropa auf, wie mit den Vorgaben der Toleranz und Antidiskriminierung von LGBT neoliberale Gouvernementalitätspolitik im Zuge der europäischen Integration betrieben wird. Eine  Politik also, die der Integration von „Sexuellen Minderheiten“ in die Ökonomisierung von allen Lebensbereichen Vorschub leistet. Neben dem Einführungstext von Heike Raab widmen sich Christine M. Klapeer und Gundula Ludwig den Verstrickungen von staatstheoretischen Ansätzen und queerer Theoriebildung. Während Raab einen Überblick über das Feld liefert, ergänzen zum einen Klapeer mit der Frage nach Staatsbürger_innenschaft und Ludwig mit den Ausführungen zu den Wirkweisen einer heteronormativen Hegemonie. Einen spezifischen Blick werfen Sara Paloni (zu Zwangsoperationen von Intersexuellen), Volker Woltersdorf (zu Arbeit, Sexualität und Heteronormativität), David Müller und Clemens A. Rettenbacher (zu Trans-Körper und Subjektkonstitution) auf das Thema und versuchen, in den Bereichen Medizin, Arbeit und öffentlicher Raum die Verquickung hegemonialer Strukturen nachzuzeichnen. Antke Engel stellt in ihrem Beitrag Queeres Begehren im Spannungsfeld eine Brücke zu kulturwissenschaftlichen Ansätzen und zeichnet in ihrer Analyse des Filmes Verfolgt von Angelina Maccarones auf sehr spannende Weise ein Bild von Macht, Sexualität und SM in Kontexten der Bewährungshilfe. Abschließend versucht Helga Haberler einen utopistischen Gegenentwurf zur Integration von queeren Subjekten in die Regierungstechniken des Staates.

Der Band liefert in diesem Sinne einen Einstieg in die Möglichkeiten des Zusammen-Denkens kritischer Staats- und queerer Theorie, er könnte aber meines Erachtens nach des Öfteren eine politisierende Zuspitzung durch genauere Analysen hegemonialer Praxen einiges an Brisanz dazu gewinnen.

Helga Haberler, Katharina Hajek, Gundula Ludwig, Sara Paloni (Hg.): Que[e]r zum Staat. Heteronormativitätskritische Perspektiven auf Staat, Macht und Gesellschaft. Berlin: Querverlag 2012

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