Sitzen bleiben. Sonst ist es keine „professionelle“ Kultur.

Ein Kommentar zu den neuen Corona-Maßnahmen und der Beschränkungen aller Indoor-Veranstaltungen ohne fixe Sitze auf maximal 10 Personen.

Kultur zugewiesene fixe Sitzplätze Abstand

Ein halbes Jahr in der Krise und noch immer gibt es keine klare Kommunikation der politischen Verantwortungsträger*innen. In der letzten Pressekonferenz der Bundesregierung[1]  zu den neuen Corona-Maßnahmen wurden die geänderten Vorgaben für Kunst- und Kulturveranstaltungen mit keinem Wort erwähnt, im Gegenteil. Nicht nur wurde suggeriert, dass die Begrenzung auf 10 Personen ausschließlich für private Feiern und Zusammenkünfte im privaten Bereich gilt. Es wurde ebenso betont, dass für professionelle Veranstaltungen und den Kultur- und Eventbereich die bestehenden Regeln unverändert weiter gelten.[2]
 

Dem ist keineswegs so: Mit der jüngsten Novelle der Covid-19-Lockerungsverordnung gilt bundesweit ab heute für alle Indoor-Veranstaltungen, die nicht ausschließlich mit Sitzpublikum durchgeführt werden, eine Höchstzahl von maximal 10 Teilnehmer*innen bzw. Besucher*innen. Eine Differenzierung ob „privat“ oder „öffentlich“ gibt es nicht.[3] Das trifft Vernissagen, Führungen, Workshops, Veranstaltungen mit Stehpublikum - kurzum alles, was nicht als Sitzveranstaltung durchgeführt wird bzw. werden kann. Zusätzlich wurden die Personengrenzen, ab denen Präventionskonzepte vorgelegt und behördlich bewilligt werden müssen, für sämtliche Veranstaltungen massiv reduziert. Ausgenommen von diesen Regeln sind lediglich Begräbnisse. 
 

Das lässt nur zwei Schlüsse zu: Entweder die neuen Verschärfungen wurden in der Pressekonferenz bewusst verschwiegen, weil diese Kulturangebote aus Regierungsperspektive vernachlässigbar sind, oder es spiegelt ein Verständnis von Kunst und Kultur wieder, das davon ausgeht, „professionelle“ Kunst- und Kulturangebote werden ohnehin nur im Sitzen „konsumiert“; Beziehungsweise präziser: Es spiegelt das Unverständnis darüber wider, wie weite Teil des Kunst- und Kultursektors arbeiten. Partizipation und Teilhabe an Kunst und Kultur sind in diesem Vokabular Fremdwörter. 
 

Es steht außer Frage, dass Kulturveranstalter*innen ihren Beitrag zur Eindämmung des Infektionsrisikos leisten und sich an die geltenden Vorgaben halten. Dafür brauchen sie aber eine klare Kommunikation, ohne Jurist*in sein und ständig überprüfen zu müssen, ob die kommunizierten Vorgaben auch mit den tatsächlichen Bestimmungen übereinstimmen. 
 

Unter den neuen Bedingungen stehen große Bereiche der freien Kulturszene erneut vor dem Aus. Zum wiederholten Mal müssen sie neu planen, neue Vorgaben binnen weniger Tage umsetzen und entscheiden, wer bereits gekaufte Tickets einlösen darf und wer nicht, oder schlichtweg alles absagen. Kompensationen für Mehrkosten und Einnahmenausfälle gibt es bislang, sofern überhaupt, bis höchstens Ende September. Die langfristigen Folgen für den Kunst- und Kulturbereich drohen gravierend zu sein. Sie werden sich weit über die unmittelbare Corona-Krise hinaus erstrecken. 

 

 

Aktuelle COVID-19 Maßnahmenverordnung (vormals "COVID-19 Lockerungsverordnung", mit der 11. Novelle umbenannt in COVID-19 Maßnahmenverordnung). 

 


1  Pressekonferenz vom 17. September 2020

2  Presseaussendung des BMKOES zu den neuen Corona-Maßnahmen ab 21.09.2020

3  siehe auch Informationsseite des BMKOES zu den geltenden Corona-Maßnahmen für Veranstaltungen ab 21.09.2020

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