Unter den Blechdächern, der koloniale Alltag

Betritt man derzeit „The House of the World Cultures“ stößt man im Foyer auf eine Installation DER HOF, deren Zentrum ein in der Luft ruderndes Boot bildet. Teil davon ist der senegalesische Künstler Issa Samb, der draußen auf der Terrasse über die Ein/Ausgänge „wacht“ und das Haus selbst nicht betreten soll. In der Ankündigung heißt es zu dieser Wach-Geste: „Er befindet sich hier im Transit“.

1957 wurde im Berliner Tiergarten die Kongresshalle als „Palast der Moderne“ eröffnet – ein Geschenk der USA an die junge BRD. Ganz im Zeichen der Reeducation wurde sie zum kulturellen Ort – und damit verkörpert das Haus bis heute die hegemoniale Position von so genannter „kultureller Bildung“ als Mittel zur Demokratie. 1989 wurde es kurz vor dem Mauerfall zum Zentrum für außereuropäische Kulturen, zum „Haus der Kulturen der Welt“. Seither firmiert der Ort abseits von den hochkulturellen Hauptachsen der Stadt als Ort für „das Andere“. Seit der Wiedereröffnung 2006 wird an der Transformation dieses Images gearbeitet; die Ausstellung In der Wüste der Moderne. Koloniale Planung und danach ist ein Beispiel dafür.*

Betritt man derzeit „The House of the World Cultures“ stößt man im Foyer auf eine Installation DER HOF, deren Zentrum ein in der Luft ruderndes Boot bildet. Teil davon ist der senegalesische Künstler Issa Samb, der draußen auf der Terrasse über die Ein/Ausgänge „wacht“ und das Haus selbst nicht betreten soll. In der Ankündigung heißt es zu dieser Wach-Geste: „Er befindet sich hier im Transit“. Von wo nach wo bleibt allerdings offen; Migration wird hier gleichgesetzt mit Masse = Anonymität = Verschwinden einer öffentlichen Identität. Mit diesen Eindrücken geht man weiter. Beschrieben wird Migration hier über konkrete Bewegungen und politische Praxen. Die Ausstellung untersucht die Nachkriegmoderne unter den Bedingungen des Kolonialismus und der Migration anhand konkreter Bauvorhaben wie urbanistischer Konzepte und verbindet sie mit den antikolonialen Befreiungskämpfen bis hinzu den Banlieu-Riots.

Die anfängliche Unübersichtlichkeit beim Eintritt in den Ausstellungsraum zeigt sich als postkoloniale Strategie des Verlernens. Und das schon nach ein paar Schritten im Abgehen der kleinteiligen Ausstellungsarchitektur, die aus farbigen an Transparente erinnernden Tafeln besteht. Sie wirken wie eine Manifestation im Raum zusammen mit der überwältigenden Menge an Dokumenten, Zeitschriften, Plakaten, Videos, Filmen und Fotografien. Zwei sich gegenüberstehende Blow Ups in der Mitte des Raumes markieren zentrale Perspektiven/Pole der Ausstellung, die von den KuratorInnen Marion von Osten, Tom Avermaete und Serhat Karakayali in verschiedene thematische Kapitel unterteilt wurde: Koloniale Planung, Atelier Afrique, Transformation, Bidonvilles, Transnationaler Antikolonialismus, Von der Wohnmaschine zum Habitat, Learning from ..., Architekten auf Reise, Opèration Million, Cités d’urgences, Kämpfe ums Wohnheim. Die Subthemen werden in ihrer materiellen Fülle durch die Architektur von Jesko Fezer und Andreas Müller zu kleinen Einheiten (units) verdichtet, öffnen sich wieder und verschränken sich miteinander.

Auf dem ersten Blow Up „Luftaufnahme der Baustelle Carrières Centrales Casablanca, 1953“ sind zwei angrenzende Viertel aufgenommen: Bidonvilles (Hüttensiedlungen) und modernistische Wohnblocks. „Carrières Centrales“ gilt bis heute als eine der größten Bidonville Casablancas. Für die daneben als „Testbaute“ entstandene „Cité Verticale Casablanca“ der Architekten Georg Candilis und Shadrach Woods wurde spezifisches Wissen selbstorganisierter Wohn- und Lebensweisen der MigrantInnen aus den Bidonvilles genutzt, den Universalismus modernistischer Architektur um die Frage der Nutzung erweitert. So symbolisieren die Viertel, die architektonisch unterschiedlicher nicht sein könnten, einerseits einen umkämpften Lebensraum aus dem der antikoloniale Widerstand der 1950er Jahre organisiert wird, und anderseits die Entwicklung Nordafrikas zu einem kolonialistischen Laboratorium ethnologischer, anthropologischer und soziologischer Forschungen, zu einem großen Testfall der Nachkriegsmoderne, wie sie die Randstädte der europäischen Metropolen später architektonisch bestimmen wird. Das zweite Bild „Aufstand in Meknès, Marokko, 25. Juli 1955“ lenkt den Blick auf flüchtende DemonstrantInnen, auf das Gegenüber der kolonialen Moderne. Die Kolonialmächte, die in die Menge schießen, sind nur in Rückenansicht zu sehen. Es ist die Zeit des antikolonialen Widerstands, des Kampfes gegen das französische Protektorat. 1955 erlangte Marokko seine Unabhängigkeit. Die Befreiungsbewegungen Nordafrikas werden in einen Zusammenhang mit der weltweiten Unabhängigkeitsbewegung „Trikontinentale“ gestellt und eröffnen so antikoloniale Sichtweisen auf modernistische Utopien.

Henri Lefébvre schreibt 1970 in „La revolution urbaine“: „Wir bemühen uns hier um eine Decodierung der städtischen Wirklichkeit, nicht der Üblichen, sondern umgekehrt, ausgehend vom Wohnraum und nicht vom Monumentalen.“ Dass Wohnraum politisch ist und dass die ihm inhärenten Machtverhältnisse auf der Straße öffentlich werden, wird mit diesem Forschungsprojekt in einen postkolonialen Zusammenhang gestellt. Ausstellung, Film- und Vermittlungsprogramm zeigen mit der Analyse und Verschränkung von Architektur, Stadtplanung, Kolonialismus, Befreiungsbewegung, Migration die Praxis eines postkolonialen Urbanismus. Dieser stellt sich quer zu gegenwärtigen Tendenzen der Institutionspolitik in der Auseinandersetzung mit Kolonialgeschichte, Stadt, Migration. Sie verweisen auf eine Zeitgenossenschaft der Parteinahme und des Herstellens von Verhältnissen. Denn so schreibt Lefébvre weiter: „Die Herrschaft des Globalen, des Logischen und des Strategischen ist noch ein Teil der auf den Kopf gestellten Welt, die es aufzurichten gilt.“

„In der Wüste der Moderne. Koloniale Planung und danach.“ Haus der Kulturen der Welt 26. August – 26. Oktober 2008

* Derweil man in Berlins historischer Mitte an einem „Ort der Weltkulturen“ bastelt, an einem Berlinischen Modell eines Universalmuseums (Humboldt-Forum), welches die „Selbstreflexion der Kulturen in der Begegnung mit dem Anderen und Fremden“ fördert. Vgl. pdf (Stand: 7.10.2008).

Sophie Goltz lebt in Berlin.

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