VorRisse

„Trotz ihrer Jahrzehnte langen Präsenz kommt die Geschichte der Migrant_innen in der offiziellen österreichischen Geschichtsschreibung kaum vor.“ So lautete ein programmatischer Satz aus der Projektbeschreibung zur Kampagne Für ein Archiv der Migration, jetzt!, die 2012 im Rahmen des Kulturprojekts WIENWOCHE realisiert wurde.

„Trotz ihrer Jahrzehnte langen Präsenz kommt die Geschichte der Migrant_innen in der offiziellen österreichischen Geschichtsschreibung kaum vor.“ So lautete ein programmatischer Satz aus der Projektbeschreibung zur Kampagne Für ein Archiv der Migration, jetzt!, die 2012 im Rahmen des Kulturprojekts WIENWOCHE realisiert wurde. Die mittels der Kampagne lancierte Idee, die skizzierte Situation durch Einrichtung eines Archivs zu verändern, fand rasch breiten Anklang, und so gründete sich bald schon ein Arbeitskreis „Archiv der Migration“ mit dem Ziel, die Idee Wirklichkeit werden zu lassen. Der Heftschwerpunkt der vorliegenden Kulturrisse-Ausgabe ist in Kooperation mit besagtem Arbeitskreis entstanden.

Eröffnet wird dieser ausnahmsweise bereits in der Rubrik EinRisse, wo im Rahmen eines Kommentars und eines Interviews von und mit Mitgliedern des Arbeitskreises die Forderung nach einem solchen Archiv im österreichischen Kontext erläutert wird. Einige Entwicklungslinien in Richtung dieser Forderung werden in der Folge von Ljubomir Bratić in seinem einleitenden Beitrag zum Heftschwerpunkt rekonstruiert. Dabei finden unter anderem zwei Ausstellungen Erörterung, die sich in paradigmatischer Form mit Fragen der Subjektivierung bzw. der Autonomie der Migration beschäftigten, nämlich gastarbajteri (Wien 2004) sowie Projekt Migration (Köln 2006). Um Fragen der Repräsentation von Migration im Kontext von Ausstellungen geht es im Anschluss daran auch im Text von Natalie Bayer. Für Deutschland konstatiert die Autorin dabei einen „musealen Aktionismus“, der nach Jahrzehnten der Ausblendung Migration mit einmal in den Fokus rückt – und konfrontiert diesen mit der Frage danach, „wer, wie und über wen im Museum sprechen kann“. Eine ähnlich gelagerte Fragestellung beschäftigt in der Folge auch Zara S. Pfeiffer in ihrer Auseinandersetzung mit post/kolonialen Archiven am Beispiel des Projekts mapping.postkolonial.net, das in Gestalt einer Stadtkarte Münchens post/koloniale Spuren verfolgt.

Die beiden abschließenden Beiträge zum Heftschwerpunkt thematisieren alsdann den Aufbau eines Archivs der Migration ausgehend von archivarischen Praxen in anderen Feldern. So fragt Hannes Sulzenbacher vom QWIEN – Zentrum für schwul/lesbische Kultur und Geschichte danach, was sich aus den hier entwickelten Strategien marginalisierter Geschichtsschreibung für ein Archiv der Migration lernen lässt. Li Gerhalter von der Sammlung Frauennachlässe schließlich beschäftigt sich vor dem Hintergrund ihrer eigenen Arbeitserfahrungen mit praktischen Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Etablierung eines Archivs der Migration stellen.

Einstweilen verdichten sich die Anzeichen dafür, dass in absehbarer Zukunft konkrete Schritte in Richtung der Realisierung eines solchen Archivs unternommen werden könnten. So trafen sich beispielsweise Anfang November dieses Jahres Archivar_innen und Museumsleiter_innen aus Vorarlberg mit den Mitgliedern des Arbeitskreises „Archiv der Migration“ im neuerrichteten Vorarlberg Museum in Bregenz, um Erfahrungen aus Wien, Innsbruck und Vorarlberg auszutauschen und gemeinsam zu diskutieren. Auch in anderen Bundeshauptstädten wie zum Beispiel Linz oder Graz scheint in NGOs und migrantischen Strukturen in jüngster Zeit vermehrt über das Thema nachgedacht zu werden. Und nicht zuletzt steht die Stadt Wien der Idee wohlwollend gegenüber. Diese positiven Entwicklungen hoffen wir, mit der vorliegenden Kulturrisse-Ausgabe weiter befördern zu können.

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