Von Sinnen und Ansprüchen – Der 6te Sinn

Der 6te Sinn, ein partizipatives Kulturprojekt organisiert von der IG Kultur Wien, hat ein Experimentierfeld mit hohen Ansprüchen eröffnet: Kulturinitiativen, KünstlerInnen, soziale Initiativen sowie Gewerbetreibende des sechsten Bezirkes sollten in einen Prozess der Auseinandersetzung versetzt werden. Die alte Losung von der „Kultur für alle“ sollte von einer Praxis der „Kultur von allen“ abgelöst und nicht der kleinste gemeinsame Nenner gefunden werden.

Der 6te Sinn, ein partizipatives Kulturprojekt organisiert von der IG Kultur Wien, hat ein Experimentierfeld mit hohen Ansprüchen eröffnet: Kulturinitiativen, KünstlerInnen, soziale Initiativen sowie Gewerbetreibende des sechsten Bezirkes sollten in einen Prozess der Auseinandersetzung versetzt werden. Die alte Losung von der „Kultur für alle“ sollte von einer Praxis der „Kultur von allen“ abgelöst und nicht der kleinste gemeinsame Nenner gefunden werden. Entlang von Bruchlinien und Differenzen sollten gemeinsame Projekte entwickelt werden. Spartenübergreifende Vernetzung und Partizipation auf möglichst vielen Ebenen waren die obersten Prämissen, die auch mit viel Engagement von den Beteiligten hochgehalten wurden.

Anspruch und Wirklichkeit eines partizipativen Kulturprojekts

Schon zu Beginn wurde niemand aufgefordert, gar ein fertiges Projekt, oder Konzept einzureichen, sondern sich einer Zulosung hinzugeben: nämlich einer Zulosung eines/einer PartnerIn. Im Zuge dieser PartnerInnenschaft hieß es, ein gemeinsames Konzept zu erstellen. Die Konzepte wurden präsentiert und einem Public Voting übergeben, das dann über die Förderungen entscheiden sollte. Ein spielerischer Austausch zwischen den so Zusammengewürfelten war angestrebt, Funfaktor inklusive. Der an sich wohlgemeinte offene Ansatz hat aber einige Tücken an sich: Zusammenlosungen mögen zwar ein Glücksradeffekt und somit unerwartete Freuden auslösen, sie retten jedoch niemanden vor einer genaueren politischen Auseinandersetzung mit Formen der Zusammenarbeit und Allianzenbildung. Genauso birgt das Public Voting die Gefahr in sich, dass Gruppen, die schon vernetzt sind und Zugang zu diversen Öffentlichkeiten haben, auch mehr an Stimmen für sich und das Projekt lukrieren können. Viel grundsätzlicher stellt sich jedoch nochmals die Frage nach der Teilhabe von sozialen Initiativen, sowie von KünstlerInnen, die sich und ihre Arbeit als subversiv verstehen: Eine Beratungsstelle wie der Lila Tip, die Lesbenberatung in der Rosa Lila Villa, verfolgt spezifische Politiken der Arbeit an der Öffentlichkeit. Wir sind wenig interessiert am Abcashen so genannten sozialen Kapitals, sondern an (gesellschafts-)politischen Interventionen im lesbophoben Alltag. Nicht nur, dass unsere Arbeit geprägt ist durch Nichtfinanzierung. Auch wird durch den flockigen Umgang mit dem Anspruch einer Partizipativität, die Tatsache unterschiedlicher ökonomischer und personeller Voraussetzungen sowie eben auch unterschiedlicher Teilhabe an gesellschaftlichen und medialen Voraussetzungen verschleiert. In keinem Fall jedoch ist es die Bringschuld marginalisierter Gruppen, einer Majorität gegenüber unbekannte oder gar radikale Positionen erklären zu müssen. Um sich partizipatorisch nennen zu können, muss eine Initiative wie der 6te Sinn sich mit folgender Fragestellung auseinandersetzen: Wie können annähernd gleiche Zugangsbedingungen hergestellt werden? Notwendig wird sicherlich eine Offenlegung sein, die klarlegt, dass die Initiative niemanden einlädt zu partizipieren, der/die sich nicht selbstkritisch mit Homophobie, Sexismus, Rassismus, Klassismus oder Antisemitismus auseinandersetzen will. Nicht die Marginalisierten müssen diese Grundvoraussetzungen für Zusammenarbeit erklären, das muss im Selbstverständnis der koordinierenden Organisation liegen.

Durch Losentscheidung zu emanzipatorischer Kulturarbeit?

Um auf die Frage nach der Möglichkeit der Allianzenbildung zurückzukommen: Eventuell können vielleicht wirklich zufällig welche zusammengelost werden, die sich gegenseitig mittels ihrer verschiedenen Perspektiven und Einblicke bestärken und somit ihre Lust an Streit und Verschiebung der Wahrnehmung steigern, aber muss das dem Zufall überlassen werden? Denn was heißt dann eigentlich „partizipativ“, wenn wir uns kollektiv aus der Affäre ziehen und uns nicht der Auseinandersetzung stellen, die auch heißen muss: Welche Kriterien lege ich an eine politische, emanzipatorische Kulturarbeit? Wie kann ich von der offiziellen Kulturpolitik fordern, dass sie sich gefälligst ihrer Verantwortung stellen muss und nicht alles dem (neoliberalen) Glück oder dem (noch neoliberaleren) Markt überlassen kann? Und wen schließe ich aufgrund der fälschlichen Annahme einer grundsätzlichen Offenheit einer „Kultur von allen“ von vorne herein aus, weil Zugänge zu diesen Prozessen nicht von Natur aus offen sind. Umso wichtiger ist es in den Kontexten selbstorganisierter Kulturarbeit, nicht die Tendenzen der offiziellen Kulturpolitik zu reproduzieren: nämlich einer Entpolitisierung eben dieser.

Claudie Goutrié und Marty Huber sind Mitarbeiterinnen vom Lila Tip, der Lesbenberatung in der Rosa Lila Villa

Ähnliche Artikel

IG KiKK Symposium "Kultur muss wachsen/naj raste kultura" anlässlich des Schwerpunktjahres für freie Kulturinitiativen 2016 im Landhaushof. Wie Kunst und Kultur abseits von monetärer Förderung unterstützt werden kann. Kunst und Kultur dienen der Unterhaltung, aber auch der Bildung und der Weiterentwicklung der Gesellschaft. Gerade am Land sind Kulturstätten oft Zentren von sozialem Austausch und Teilhabe. Niederschwellige Kulturangebote wirken der Vereinsamung im Alter ebenso entgegen wie der Abwanderung der Jugend. Schließlich ziehen sie noch auswärtige Besuchende an. Um Kunst- und Kulturarbeit zu ermöglichen und nachhaltig zu stärken, braucht es mehr als monetäre Zuwendungen – gelungene Rahmenbedingungen sind entscheidend.
Die Auseinandersetzung mit Kulturentwicklungsprozessen ist gerade in Krisenzeiten von entscheidender Bedeutung, da sie nicht nur zur Stärkung der Kunst- und Kulturszene beiträgt, sondern – richtig eingesetzt – auch als wirksames politisches Instrument zur Lenkung gesellschaftlicher Umbrüche wirkt. Das Land Kärnten hat 2024 die Erarbeitung der Kunst- und Kulturstrategie 2030 begonnen. Damit wurde ein auf zweieinhalb Jahren angelegter, partizipativer Prozess gestartet. Zugleich legte die IG KiKK ihren Arbeitsschwerpunkt auf Kulturentwicklung und begleitet den Prozess mit ihrer Expertise. Der folgende Text beleuchtet, wie Kulturentwicklung umgesetzt wird und warum dieses Instrument von vielen unterschätzt wird.
Das neue und künstlerisch angereicherte Kooperationsformat zur Beteiligung junger Menschen an Politik und Demokratie, das Demokratie Repaircafé & Kunst, fand erstmals in der privaten katholischen Mittelschule Ludesch statt und überzeugte in seiner Wirkung. Sowohl die IG Kultur Vorarlberg und IG Demokratie als auch die kooperierende Schule für globales Lernen, die Workshopleiter und die 30 Schülerinnen und Schüler im Alter von 13 bis 15 Jahren äußerten den Wunsch nach Fortführung des Beteiligungsprojekts.