Das Bündnis Kreativität und Wirtschaft. Österreichs Kulturpolitik auf der Suche nach neuem Anschluss

Es kommt nur sehr selten vor, dass ein mit prominenten Gästen versehenes Arbeitstreffen bereits zweieinhalb Stunden vor dem offiziellen Programmschluss ein abruptes Ende findet. Doch in diesem einen Falle hatte man sich zum Thema der öffentlichen Veranstaltung eigentlich weiter nichts zu sagen.

Martin Wassermair

Es kommt nur sehr selten vor, dass ein mit prominenten Gästen versehenes Arbeitstreffen bereits zweieinhalb Stunden vor dem offiziellen Programmschluss ein abruptes Ende findet. Doch in diesem einen Falle hatte man sich zum Thema der öffentlichen Veranstaltung eigentlich weiter nichts zu sagen. Demzufolge blieb den PR-Sprechern der österreichischen Wirtschaftskammer Anfang Dezember 2001 auch mehr Zeit, ein bisschen länger an der dennoch unvermeidlichen Presseerklärung herumzufeilen. "Die Kreativwirtschaft, ein Image-Produzent erster Ordnung, ist gerade für ein kleines Land, das nicht im Zentrum internationaler Aufmerksamkeit steht, besonders wichtig."

Österreichs Unternehmervertretung suchte ganz offensichtlich Ausflucht im rhetorischen Rückzugsgebiet der rot-weiß-roten Minderwertigkeit. Dabei hatte man zuvor noch selbstbewusste Pläne ausgeheckt, an deren Ende ein "Bündnis zwischen Wirtschaft und den Kreativen dieses Landes" stehen sollte. Wahrscheinlich hat das Misslingen nicht zuletzt auch daran gelegen, dass Gastredner Franz Morak in seiner Funktion als Kunststaatssekretär nicht so recht zu überzeugen wusste, worin die neoliberalen Gewinnabsichten nach der politischen Wende des Jahres 2000 nun in seinem Wirkungsbereich eigentlich ihre Entsprechung finden.

"Kulturpolitik", so dozierte der Staatssekretär im Kreise der Kämmerer, "ist mehr als Kunstpolitik." Er wolle demnach Kreativität als Leistung an sich sichtbar machen, sie entsprechend fördern und dann bewusst dafür einsetzen, heimische Produktionen und Dienstleistungen konkurrenzfähig zu halten. "Werbestudios und Medienlabore erzeugen Produkte mit hoher kultureller Aufladung, welche international imagebildend wirken." Daraus zieht Morak vor allem einen Schluss: "Die Kreativwirtschaft ist letztlich ein Instrument, um an der Globalisierung erfolgreich teilzunehmen." Reinhold Mitterlehner, der stellvertretende Generalsekretär der WKÖ, rief - übrigens in verblüffender Nähe zu den jahrelangen Forderungen der IG Kultur Österreich - dem Politiker daraufhin die Notwendigkeit in Erinnerung, dass dafür strukturelle Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, ohne die Kunst und Kultur selbst im Umfeld der Wirtschaft nicht ernsthaft vor Anker gehen können. Der gegenseitige Austausch von Ratlosigkeiten mündete letztlich in den Entschluss des kreativen Bündnisses, zu weiteren Beratungen eine Arbeitsgruppe einzusetzen.

Zu gemeinsamen Beratungen hatten Ende November 2001 auch die Grünen ins Hohe Haus eingeladen. Gemeinsam mit der Grünen Wirtschaft und der Grünen Bildungswerkstatt wollte der Parlamentsklub das Dickicht rund um die "Creative Industries" entwirren. Wie notwendig eine solche Erhellung ist, wurde alleine durch den Irrlauf eines der vier Referate sichtbar. Josef Trappel, Medienwissenschafter und Bereichsleiter des europäischen Beratungsunternehmens Prognos, sprach über die New Economy und über das persönliche Unbehagen, dass deren hohe Sterblichkeit allmählich in aller Munde ist. Und dennoch kam die Erörterung von Zusammenhängen nicht ganz zu kurz. Insbesondere von Andrea Ellmeier (Österreichische Kulturdokumentation) und Monika Mokre (Akademie der Wissenschaften) war zu erfahren, dass das Konzept "Creative Britain" eines Premierminister Tony Blair sowie die Leitsätze der finnischen "Content Creation"-Initiative in einem ganz anderen Kontext gelesen werden müssen als ein Kulturwirtschaftsbericht aus Nordrhein-Westfalen. Auch dass Kreativ- oder Kulturwirtschaft keineswegs per se etwas Böses verkörpert, sondern nur in der Deutungsvielfalt richtig auszuloten ist, um daraufhin die eigentliche Funktion in der politischen Handhabung zu verstehen. Alles in allem vermochte die parlamentarische Enquete aber auch nicht mehr zu leisten, als letztlich noch einmal sehr deutlich zu unterstreichen, dass - neben einer Forcierung der Grundlagenforschung und einer begleitenden Schärfung der Begrifflichkeiten und der Anwendungsgebiete der so genannten "Creative Industries" - angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen nicht weiter untätig zugesehen werden kann.

Die Grüne Kultursprecherin Eva Glawischnig ist jedenfalls der Meinung: "Das Konzept der 'Creative Industries' ist nur in einem wirtschaftspolitischen, aber nicht in einem kulturpolitischen Kontext sinnvoll." Kunststaatssekretär Franz Morak betreibe "eine unzulässige Vermischung von Kultur und Wirtschaft". Zugleich unterwerfe er "die Kunst dem Primat der Ökonomie" und verunmögliche "damit das Entstehen von Diskurs und einer kritischen Öffentlichkeit". Aus diesem Grunde sei umso mehr darauf zu achten, dass "die öffentliche Hand dort ihre Aufgaben deutlich wahrnimmt, wo gegenüber privaten Interessen jene der Gemeinschaft Vorrang haben".

Hier scheint sich eine rot-grüne Einigkeit anzubahnen. Denn auch Christine Muttonen, die neue Kultursprecherin der SPÖ, unternimmt erste konkrete Schritte, die kulturpolitische Position ihrer Partei nun endlich aus der zu lange andauernden Cap'schen Teilnahmslosigkeit herauszuführen. "Mit dem Konzept zur Kreativwirtschaft", heißt es in einem Statement auf Anfrage der IG Kultur Österreich, "offenbart die ÖVP eine neo-konservative Facette ihres Kulturbildes: Denn ein kritischer und emanzipativer Anspruch an Kunst, Kultur und Kulturpolitik ist damit nicht verbunden; es ist keine Rede von der Notwendigkeit politischer, sozialer und ökonomischer Rahmenbedingungen, die Kreativität, Kunst und Kultur überhaupt möglich machen und die Freiheit der Kunst garantieren. Keine Rede davon, dass Kritik an der Gesellschaft, Provokationen und Tabubrüche durch Künstler und Kulturschaffende eine wichtige gesellschaftspolitische Funktion erfüllen."

Und tatsächlich verbirgt sich auf der Ebene der politischen Maßnahmen hinter dem Schlagwort Kreativwirtschaft seit geraumer Zeit nichts anderes als die Rechtfertigung stetig sinkender Kulturbudgets und der zunehmenden Unterdotierung wachsender sowie vor allem missliebiger Kunstbereiche. Der Bundeskunstbericht 2000, dessen Zahlenwerk das erste Amtsjahr der Regierungsverantwortung von FPÖ und ÖVP beschreibt, bestätigt die schlimmsten Befürchtungen: Kunststaatssekretär Franz Morak hat in diesem Zeitraum einen Kürzungsrundumschlag vorgenommen, der nachhaltige Schäden hinterlassen wird. In einigen Bereichen kam es zu geradezu drastischen Einsparungen, die das unsägliche Nulldefizit-Gebot noch bei weitem überbieten, vor allem aber das ursprünglich angekündigte Minus von 4,5 %. Folgende Kürzungen stechen besonders hervor: Regionale Kulturinitiativen -10,54%, Film -24,2%, Freie Theater -25,8%, Netzkultur -33% und natürlich die Freien Radios mit -57,5%.

Erstaunlicher Weise flossen aber sehr wohl Gelder aus der Kunstförderung in Kanäle der privaten Wirtschaft. So zählt das Salzburger Forschungs- und Entwicklungszentrum Techno-Z mit Euro 54.504,63 (entnommen aus dem kargen Budget der damals für Neue Medien zuständigen Abteilung II/4 der Kunstsektion) für den "Europrix Festival 2000" zu den größten Nutznießern der neuen österreichischen Kunstförderungspraxis. "Der Europrix", so Gabi Kepplinger als Sprecherin des konsortium.Netz.kultur in einer ersten Reaktion, "ist ein Paradebeispiel der Morak'schen Doktrin der Kreativwirtschaft: Es handelt sich in keiner Weise um eine Förderung eigenständiger künstlerischer Produktion, sondern um staatliche Starthilfe für Unternehmen."

Ebensowenig vergessen ist der kräftige Finanzierungszuschuss des Kunststaatssekretärs an Landeshauptmann Jörg Haider, der 2000 eine Bronzeskulptur errichten ließ, dessen Hommage an den Kärntner Abwehrkampf gerade vor der aktuellen Debatte rund um die slowenischen Ortsbezeichungen erneute Aktualität erfährt. Alles in allem wurde bereits 2000 ein Exempel statuiert, das durch das Zusammenwirken von neoliberaler Kreativwirtschaft und blau-schwarzem Kameradschaftsgeist gerade für die weitere Zukunft nichts Positives erahnen lässt.

Im Gegenteil: Obzwar es der kritischen Aufmerksamkeit der rot-grünen Opposition entgangen war, stand Mitte November die Tagung der europäischen Kulturminister recht augenfällig unter dem Motto "Creative Europe". Eine illustre Schar namhafter Persönlichkeiten aus Kunst, Kultur, Politik und Wirtschaft hatte sich in Innsbruck eingefunden, um eigentlich schon sehr konkret abzubilden, wohin die Reise gehen soll. "Win-win-Partnerschaften" sind das Ziel. Es sei alles, so erklärte ein führender Vertreter von BMW Deutschland, eine Frage der "richtigen Partnerwahl". Als Entscheidungskriterien dafür gelten "Besucherzahlen, Medien-Coverage, der Zugang zu Netzwerken, aber auch das Motivationspotential für die Mitarbeiter". So also versteht ein Motorenwerk den Imageproduzenten der ersten Ordnung: Kunst und Kultur als ideales Schmieröl für eine nicht mehr so reibungsfreie Arbeitswelt. Im Gegenzug dazu dürfen Kulturschaffende auch ein wenig von der Wirtschaft lernen. Zum Beispiel dass "Wettbewerb ein positives Element darstellt", erläuterte der Sprecher eines französischen Telekom-Konzerns. Aus dieser Branche kam auch ein österreichischer Vertreter zu Wort. Mit der Präsentation einer multimedialen Breitbandinfrastruktur betonte er die Bedeutung einer "flächendeckenden Verbreitung von Avantgarde-Technologie", die eine "grenzüberschreitende Plattform im Sinne der Europäischen Integration" möglich macht. Eines Tages soll dafür ein "paneuropäisches Backbone", ein europaweites Hochgeschwindigkeits-Netz geschaffen sein.

Bei soviel Lobpreisung des privatwirtschaftlichen Engagements nahm sich der Appell eines Mannes geradezu verwegen aus. Denn Hans Zehetmair, der bayerische Staatsminister für Wissenschaft, Forschung und Kunst, unternahm immerhin den Versuch, das Koordinatensystem in Creative Europe wieder ein wenig zurechtzurücken. "Öffentliche Leistungen für Kunst und Kultur dürfen nicht nur im Hinblick auf ihren materiellen Nutzeffekt legitimiert werden. Wir brauchen den öffentlichen Kulturauftrag, wenn die Kultur auch in Zukunft ein autonomes Korrektiv in einer fast nur noch an den Kriterien des Marktes orientierten Gesellschaft bleiben soll."

Ist damit auch schon wieder das Ende des neuen Unternehmertyps als Kreativer und Financier im Superlativ der Personalunion eingeläutet? Wie weit das christlich-soziale Gewissen des weiß-blauen Kulturverantwortlichen in das Gehör seines österreichischen Ressortkollegen Eingang gefunden hat, wird sich spätestens bei genauerer Betrachtung der zweiten Hälfte dieser Legislaturperiode weisen. Bislang hat Kunststaatssekretär Franz Morak in erster Linie jene Initiativen als Opfer seiner restriktiven Politik auserkoren, die bereits seit langem an grenzüberschreitenden Plattformen arbeiten und nicht zuletzt als technologische Grundlage dafür einen europäischen Backbone ins Auge fassen. Damit erklärt der Gastgeber von "Creative Europe" dasselbige im Handumdrehen bewusst zur Farce - und kaum jemand nimmt Notiz davon.

Das kulturelle Feld ist somit gefordert. Und mit ihm die Opposition von SPÖ und Grünen. Denn bei aller Ungenauigkeit der Terminologie verbirgt sich hinter den Schlagworten "Organisierte Kreativität", "Kulturwirtschaft", "Creative Europe" vor allem die neoliberale Absicht, die öffentliche Verantwortung aus der Kunstförderung zurückzunehmen. Im schlimmsten Falle darf Franz Morak dann doch eines Tages seinen Erfolg vermelden: "Die non-konforme Kunst- und Kulturausübung, ein Image-Produzent niedrigster Ordnung, war gerade für ein Land, das nach neuen Anschlussmöglichkeiten sucht und auf seinen Standort achtet, nicht besonders wichtig."

Martin Wassermair ist Sprecher der IG Kultur Österreich und Vorstandsmitglied des konsortium.Netz.kultur


Weitere Beiträge zu dem Thema:

Monika Mokre, Die Creative Industries und ich, in: Kulturrisse 02|01.

Elisabeth Mayerhofer, Paul Stepan, Creative Industries. This Stuff Sucks!, in: Kulturrisse 02|01.

Martin Wassermair, Ohrenbetäubende Schweigsamkeit. Zur Schmerzbehandlung in der Kultur- und Medienpolitik, in: Kulturrisse 04|01.

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