Salto Mortale … oder Rolle rückwärts

In ihrer Rede zum nationalen Tag des Gedenkens konstatiert Ruth Klüger: „Wie der Holocaust möglich war, bleibt ein ungelöstes Rätsel. Es ist im Grunde das Rätsel der menschlichen Freiheit. Wir sind nicht vorprogrammiert, wie sich herausstellte, ein Rechtsstaat bleibt nicht unbedingt ein Rechtsstaat und seine Bewohner können ihre Vorstellungen und Absichten jederzeit über den Haufen werfen und es sich anders überlegen“.

In ihrer Rede zum nationalen Tag des Gedenkens konstatiert Ruth Klüger: „Wie der Holocaust möglich war, bleibt ein ungelöstes Rätsel. Es ist im Grunde das Rätsel der menschlichen Freiheit. Wir sind nicht vorprogrammiert, wie sich herausstellte, ein Rechtsstaat bleibt nicht unbedingt ein Rechtsstaat und seine Bewohner können ihre Vorstellungen und Absichten jederzeit über den Haufen werfen und es sich anders überlegen“ (Rede im Österreichischen Parlament am 5. Mai 2011).

Die Verschärfung des Asyl- und Aufenthaltsgesetzes …

Traumsicher und punktgenau nahm die Rednerin damit Bezug auf eine naheliegendste österreichische Gegenwart, unter deren Vorzeichen die Veranstaltung am 5. Mai im Parlament bitter als Farce erschien: Nur wenige Tage zuvor hatte die 13. Verschärfung des Asyl- und Aufenthaltsgesetzes ebenjenes Parlament passiert – mit den Stimmen der SPÖ; singuläre Ausnahme: deren Kultursprecherin Sonja Ablinger. Selbst unbedarfte und wahrlich nicht linker Couleur verschriebene Medien wie die unspektakulären Kieler Nachrichten bemerkten außerhalb der Republik: „Österreich europaweit ‚Spitze‘ in restriktiver Asylpolitik“ (Kieler Nachrichten am 3. Mai 2011).

Nur fünf Tage nach den Verschärfungen inklusive versammelter rechter Nomenklatura in einem feierlichen Akt sich demokratisch zusammenzufinden „Gegen Gewalt und Rassismus“, wie es vom Großbildschirm Schwarz Rot Grau dem Publikum entgegen pochte, kann mit Verdrängung respektive Verschiebung nicht allein erklärt werden. Es ist ein so dreister wie verzweifelter Akt der Selbstbehauptung eines „alles ist erlaubt“, ein grober Verstoß gegen demokratisches Grundgebaren und eine Verhöhnung der Zivilgesellschaft in österreichischer Operettenmanier: Wir feiern, wann und was wir wollen, heute hü und morgen hott, da fahrt die Eisenbahn drüber. Wir lassen uns auch das Lebensgefühl der Entschuldung nicht verbieten. Den radikal kritischen Unterton der Rednerin, die sich eine Einmischung in die österreichische Tagespolitik explizit versagte hatte, bemerkte niemand öffentlich – es bleibt die Frage, ob im Stillen. Dabei hat es gegen die geplanten Gesetzesvorhaben von breiten Bündnissen getragene Proteste, offene Briefe an alle im Parlament Vertretenen wie Minister_innen gegeben, Bündnisse von Kunst, Kultur, Wissenschaft und Bildungsinitiativen, die sich nicht in einer moralisch-politischen Abwehrargumentation erschöpften, sondern der Regierung sehr sachlich belegten, dass die Gesetzesinitiative anderen Selbstverpflichtungen der Republik diametral widerspricht, etwa der Deklaration zur kulturellen Vielfalt: Die erneut verschärften Restriktionen ermöglichen nichts, sondern verhindern kulturelle Vielfalt ebenso wie Mobilität in Kunst und Kultur (vgl. den offenen Brief der ARGE UNESCO).

Die interministerielle Arbeitsgruppe zu Mobilität

Bitterer jedoch als eine Farce erscheinen die getroffenen Entscheidungen vor dem Hintergrund eines gleichzeitig erfolgten demokratiepolitischen Prozesses: Dieselbe Regierung, die diese restriktiven Gesetze so einvernehmlich beschließen konnte, hat parallel in einem großangelegten Prozess interministerieller Arbeitsgruppen (IMAGs) die Zivilgesellschaft ernsthaft um ihre durchaus kritische Stimme gebeten – und das nicht ohne Erfolg: In acht Arbeitsgruppen wurden und werden noch weiter die Rahmenbedingungen von Arbeit in Kunst und Kultur diskutiert und mögliche Veränderungen angedacht. Auch eine Arbeitsgruppe zu Mobilität tagte mehrfach. Ebendiese Arbeitsgruppe hat einen umfassenden, jedoch im Rahmen des Realpolitischen konkret argumentierenden Forderungskatalog zur Verbesserung der Mobilitätsbedingungen in Kunst und Kultur verfasst, hat eine ganze Liste praktischer Vorschläge vorgelegt. Auf diese alle wurde nicht nur nicht gehört, sie wurden schlichtweg ignoriert, einfach nicht zur Kenntnis genommen.

An dieser Stelle kommt der als partizipative Einbindung der Zivilgesellschaft vorgestellte Prozess der IMAGs an die Grenzen der Belastbarkeit bzw. hat er diese brisant überschritten:

Wenn in ernstzunehmenden Gesprächsrunden auf höchster Ebene zentrale Agenden mit Diskursbewusstsein kommunikativ bewegt werden und dann politisch nicht nur nichts, sondern faktisch das Gegenteil passiert, wie soll man das verstehen? Wie kann man es anders deuten als – in vulgo –Verhöhnung von Zivilgesellschaft wie von Instrumenten der Demokratie? Gleichzeitig bleibt ein Modus des Mitgehangens nicht zu leugnen, denn bislang hat sich ja keiner/keine nach der Gesetzesnovelle dem Fortschreiten des übrigen Prozesses verweigert, der in anderen Fragen ja positive Veränderungen, sogar Gesetzesänderungen aufweist.

Hält sich in diesem speziellen Fall die Regierung die kritische Stimme der NGOs als politische Gespiel_in zu deren letztlich unkritischen Zeitvertreib? Fängt so Gleichschaltung an, gibt es überhaupt noch einen (hermeneutisch respektive politischen) Ort der Unbefangenheit? Wenn in den letzten Tagen in Rede und Gegenrede darüber debattiert wird, inwiefern öffentliche journalistische Kritik an den nationalen Kontext gebunden sein muss/darf/kann/sollte, wenn sich die Rechte von der Aberkennung der Ehrenbürgerschaft des Herrn AH in mehreren Gemeinden Österreichs distanziert, wird dabei das eigentlich Skandalöse doch schamlos unter alle Tische gekehrt: Allein und eigentlich der Fakt, DASS Herr AH – mit Zulassung/Duldung/Billigung öffentlicher Organe? – in mehreren Gemeinden Österreichs im Jahr 2011 (!) noch immer eine Ehrenbürgerschaft innehat, ist so symptomatisch wie untragbar für eine Demokratie wie nur irgendwas.

Was wird in dieser erneuten Verschiebung des faktischen Skandals ins Mediale sichtbar? Ruth Klüger wurde am 5. Mai mit stehenden Ovationen im Parlament verabschiedet – ein ernst gemeinter und glaubwürdiger Applaus und Dank. Kann einem/einer derartiger Widerspruch nur in Wien so passieren? (1) Es bleibt die Frage: Und wo stehen wir?

Fußnote
(1) Der Schriftsteller Robert Schindel kennt sein Wien als ein „nachblutender Witz“ (Robert Schindel, Mein Wien), (wieder-)abgedruckt in der von Ruth Wodak herausgegebenen Sammlung von Alltagsgeschichten „Das kann einem nur in Wien passieren“, Wien 2001.

 

Sabine Kock ist Geschäftsführerin der IG FreieTheaterarbeit, Vorsitzende des Kulturrat Österreich, Kulturarbeiterin und Philosophin.

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