Zwischen Selbstausbeutung und politischer Marginalisierung

<p><b>Perspektiven salzkämmerischer Jugendkulturarbeit</b><br /> <br /> <br /> Was ist denn das eigentlich: Jugend und Jugendkultur. Damit haben der Staat, die politischen Parteien, die Kirchen, die Öffentlichkeit, nicht zuletzt die Wirtschaft ihre liebe Not. Es herrscht Verwirrung. Aus den Ruinen des vorigen Jahrhunderts hat sich auf dem Weg in die postmodernen Fertigteile der Beliebigkeit eine vielfältige und widersprüchliche Generation entwickelt.<br /> <br />

Perspektiven salzkämmerischer Jugendkulturarbeit


Was ist denn das eigentlich: Jugend und Jugendkultur. Damit haben der Staat, die politischen Parteien, die Kirchen, die Öffentlichkeit, nicht zuletzt die Wirtschaft ihre liebe Not. Es herrscht Verwirrung. Aus den Ruinen des vorigen Jahrhunderts hat sich auf dem Weg in die postmodernen Fertigteile der Beliebigkeit eine vielfältige und widersprüchliche Generation entwickelt.

Konnte man in den 60er und 70er-Jahren noch von einer relativ homogenen Szene sprechen, die sich im wesentlichen aus dem gesellschaftlichen Aufbruch der sog. 68er-Bewegung und der Love&Peace- und Hippie-Kultur entwickelte, kam es schließlich Ende 70 Anfang 80 mit dem Überschwappen der Punk-Welle aus England zu einer rapiden Umordnung. Aus der Jugendszene wurde dann mit den 90er-Jahren eine vielfältige, ständigen Verwerfungen ausgelieferte, an Unübersichtlichkeit und Dynamik kaum zu überbietende Landschaft an Subkulturen. Wir sprechen nicht mehr von der Jugendkultur sondern von einem sich immer mehr ausfransenden, zersplittenden Sektor.

Dabei sind 5 Szenemuster relevant:
 

  1. Fankulturen (Fussball, Musikgruppen)

  2. Musikkulturen (Musikgruppen, damit verbundene Kleidercodes)

  3. Körperbezogene Funkulturen (Snowboarder, Inline-Skater, Mountainbiker, Fitnessfreaks)

  4. New-Media-Kulturen (Computerspieler, Computerfreaks)

  5. Engagement- und altruistische Kulturen (Tierschutz)

Diese dargestellten Muster zeigen auch recht deutlich: die Szenekulturen drehen sich primär um Pop-Culture, das heisst, um moderne Unterhaltungskulturen. Wenig ist von Sinn, Tiefsinn und Engagement, Revolution, Reaktion oder Partizipation im traditionellen Sinn die Rede, einmal abgesehen vom Tierschutz. Es geht um populäre Jugendkultur.

Parallel zu der sich ständig entwickelnden Jugendkultur hin zur Popkultur gab es immer auch die traditionell vorherrschenden Segmente, insbesondere im regionalen, nichturbanen Raum. Hier haben sich Bindungen stärker Erhalten als in den Städten und ihren Randzonen. Musikkapellen. Trachtenvereine, Jungschargruppen, Sportvereine, Freiwillige Feuerwehren zählen dazu und haben noch immer ihren Platz im jugendkulturellen Spektrum.

Ebendiese im Salzkammergut auch besonders verwurzelten und einer regionsspezifischen Sturschädeligkeit geschuldeten Strukturen wurden und werden aber immer schon hinterfragt, kritisiert, herausgefordert, als Zielscheiben jugendlicher Rebellion gewählt. In unserer Region geht das zurück bis Anfang der 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts, als sich sporadisch eine widerständige Jugendkultur zu regen begann.

In einzelnen lokalen Gruppen entstanden Szenen, die sich um ihre eigenen jugendkulturellen Images bemühten. Bands, die dem damaligen revolutionären, angloamerikanischen Anspruch von Rockmusik verpflichtet waren gehörten genauso dazu, wie bestimmte Kleidercodes, deviantes Freizeitverhalten und ein Ablehnen von tradierten Salzkammergutklischees.

Es entstanden Subkulturen, die sich ihre Freiräume gegen gesellschaftliche und politische Widerstände immer wieder neu erkämpfen mussten. Beispiele dafür sind etwa in Bad Ischl "Der Schulklub" (Optos), "Der Keller", in Ebensee der "Kulturverein Ebensee" und diverse andere kurzzeitig auflodernde Initiativen von basisorientiertem gemeinschaftlichem Engagement.

Jugendkulturarbeit fokussiert immer auf das Durchsetzen von selbstdefinierten Ausdrucksformen, hat per se ein Problem mit dem gesellschaftlichen Mainstream und basiert dort, wo in Eigeninitiative gearbeitet wird auf nahezu lebenslanger Selbstausbeutung und politischer Marginalisierung.

Warum ist das so?

In einer brauchtumsorientierten und tourisitischen Klischees verhafteten regionalen, ländlichen, gegenurbanen Gesellschaft, die aufpassen muss, nicht Opfer ihrer eigenen tradierten Klischeehaftigkeit zu werden, haben es Gegenkulturen nachweislich schwer. Und das reicht bis heute herauf in eine Welt zunehmender Globalisierung mit allen ihren positiven und negativen Effekten. Als Gegenentwurf zum "globalen Dorf" wird relativ schnell rückwärtsgewandter, reaktionärer Provinzialismus ins Spiel gebracht, der Hammer der "Mia san mia"-Mentalität. Die Unbeweglichkeit politischer Parteien und deren Entscheidungsträger tragen ihrerseits ihren Teil zur präkären, marginalisierten Lage der jugendkulturellen Entwicklung bei. Nur selten wird das kommunale Potential jugendkultureller Initiativen als ein belebender, zukunftsorientierter Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung für die gesamte Region gesehen.

Einige wenige, dafür umso stärker wahrnehmbare Initiativen haben es trotz vielfältiger Widerstände in den letzten 20 Jahren geschafft, ein gewisses, überregional relevantes Spektrum an jugendkulturellen Ausdrucksformen zu einer unbestrittenen Teilmaterie der salzkämmerischen Kulturlandschaft zu machen.

Bezeichnenderweise gelang dies immer dort, wo in langjähriger Selbstausbeutung Idealismus zu Engagement und Kompetenz sich vereinten und im Idealfall - so wie in Ebensee geschehen - verantwortliche Politiker sich des ortsentwicklerischen Potentials ihrer Jugend bewusst waren. Das heisst, es wurden Strukturen geschaffen - dies alles in einem dialektischen Auf und Ab zwischen konfliktueller Kooperation, Enttäuschung, Anti- und Sympathie, Ablehnung und Support - die geeignet waren, kontinuierlich, professionell und finanziell einigermassen dotiert autonom basisorientierte Kulturarbeit betreiben zu können.

Ich will damit sagen, dass vor allem die Politiker gefordert sind, Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen, in deren Kontext junge Menschen die Möglichkeit haben, ihren gesellschaftlichen Gegenentwurf zu entwickeln. Das beginnt bei der Zurverfügungstellung von geeigneten Proberäumen für Bands, die gerade im Salzkammergut eine ungeahnte Kreativität, und das mit einem zeitlichen Kontinuum über bereits Jahrzehnte hinweg, entfalten. Diese kleinen, mit Fanbases versehenen, Zirkel rund um aktive Musikerinnen, möchte ich fast als die Zellen jugendkulturellen Engagements bezeichnen. Daraus leitet sich auch ein Recht auf die Möglichkeit öffentlicher Präsenz und geeignete Produktionsbedingungen ab. D.h. Lokalitäten müssen geöffnet werden, damit dieses kreative Potential in die Öffentlichkeit dringen kann, Studios mit zeitgemässen Standards zur Verfügung gestellt werden. Genauso muss der Umgang mit neuen Medien gelernt und ausprobiert werden. Auch dafür gehört Infrastruktur zur Verfügung gestellt.

Unrühmliches Beispiel ist der Untergang der "Zone" in dieser Stadt, wo ein ambitioniertes Jugendkulturprojekt spektakulär zum Scheitern gebracht wurde. Da haben offensichtlich die Rahmenbedingungen nicht gestimmt.

Auch lokale Medien müssen sich ihrer Verantwortung Jugendlichen gegenüber mehr bewusst werden. Hier gibt es regional schon gute, wahrnehmbare Ansätze: etwa im Freien Radio Salzkammergut oder in der Kulturberichterstattung eines regionalen Printmediums. Da muss aber noch ordentlich nachgebessert werden.

Es müssen sich aber auch die Jugendlichen in ihrer Selbstverantwortung stärker artikulieren. Denn sie sind ein gestalterisch wirkender Impuls auf dem Weg in eine solidarische, aufgeklärte, auf Gemeinsinn basierende, engagierte Zivilgesellschaft. Ein schönes Beispiel dafür waren erst kürzlich die 400 Schülerinnen und Schüler, die ihre ablehnende Haltung zum imperialistischen Angriffskrieg auf den Irak durch die Bush-Administration unüberhörbar zum Ausdruck gebracht haben. Da gibt es auch in Zukunft noch viel zu tun an Friedensinitiativen, Politik- und Globalisierungskritik.

Und die Erwachsenen-Welt soll sich mit ihrer Altersweisheit ein wenig zurücknehmen und mit engagierterem Einfühlungsvermögen die Befindlichkeiten der nachrückenden Generationen zu verstehen versuchen. Ausserdem ist jung sein nicht ausschließlich eine Frage des biologischen Alters, sondern die Fähigkeit zu ständiger, intensiver Kommunikation und Lernwilligkeit.

Als Zukunftsszenario ist eine Entwicklung wünschenswert die einigen Parametern gehorcht:

Öffnung der politischen Parteien für jugendliche Anliegen: nicht Alibiaktionen in Vorwahlzeiten, sondern handfeste Angebote. Das Schaffen von Rahmenbedingungen, materielle und ideelle Hilfestellung, wenn benötigt, etwa die Verbesserung der Produktionsbedingungen, will heissen Tonstudios, Medienwerkstätten, Veranstaltungsmöglichkeiten, autonome Kulturstätten.

Finanzielle Dotierung zivilgesellschaftlichen, basisinitiativen Engagements. Mehr Mut zu politischen Schwerpunktsetzungen - Position beziehen, Jugendkulturarbeit als Kernaufgabe kommunalen Handelns begreifen. Nicht allen recht machen wollen, in der Mitte liegt noch immer das Problem. Die Jugend nicht mit inkompetenten Gesetzen und Formalismen vor ihr schützen wollen (Alkoholverbot, Kriminalisierung von Cannabis, Lärmschutz bei Rockkonzerten etc.). Denn die englischen Gang of Four haben bis heute recht behalten, als sie dem Establishment ins Gesicht schmetterten: "Save me from the people who would save me from myself!"

Abschließend möchte ich noch auf ein mit meinem Referat korrespondierendes Thema verweisen: wie notwendig die von mir skizzierte Aufwertung jugendkulturellen Engagements tatsächlich ist, und wie himmelschreiend die Versäumnisse der Politik dabei sind, zeigt die, jetzt durchgesickerte, Konzeption der Landesausstellung 2008 im Salzkammergut. Ausschließlich historisierend und sämtliche Klischee-Fadesse bedienende Themenwahl. Kein Wort zu einer Einbindung jugendlicher Zielgruppen, kein Funken eines Willens zur Nutzung des jugendkulturellen Kreativpotentials, kein Versuch einer nachhaltigen Initiative zur Stärkung der regionalen Kulturentwicklungsarbeit. Ganz zu schweigen von einer Vernetzung der drei Bundesländer OÖ, SBg., Stmk., um in einem Europa der Regionen das Zukunftsmodell einer länderübergreifenden Landesausstellung zu erproben. Da schmort man doch lieber im eigenen Saft.

Stattdessen versucht man in einem erst kürzlich erstellten oberösterreichischen Entwicklungsleitbild das Salzkammergut als geriartrischen Klub zu definieren und ihm dafür langfristige Entwicklungschancen einzuräumen. Da glaubt man, nur mehr zu träumen.

Was also tun? Wirbel schlagen, Politiker informieren, einbinden, anbeissen lassen, überzeugen, schließlich sind diese Generationen zwischen 15 und 35 die Wählerinnen von heute und morgen. Medienarbeit starten, eine Internetplattform einrichten. Eigeninitative ergreifen, selber machen, Zähigkeit beweisen und Kompetenz erwerben. Die Zeit ist günstig und gibt ausreichend Kreativ- und Konfliktpotential an die Hand, wo Jugendlicher sagen muss: "Des schau i ma o!"

Ich habe versucht einen bruchstückhaften Überblick anzustellen, die Komplexität des Themas und ihre regionale Relevanz würden eine vertiefende Beschäftigung durchaus lohnen. So gesehen bin ich den Veranstaltern dieses Symposiums dankbar, dass einmal der Anstoss dazu gegeben wurde. Vielleicht ist diese Veranstaltung ja ein Impuls für eine nachhaltige regionale Kulturentwicklungsarbeit. Das Potential ist zweifellos vorhanden, an der Urbarmachung haperts noch.


Das Referat wurde am 12. April 2003 von Klaus Wallinger im Rahmen des Symposiums "Drei Länder - eine Region. Perspektiven der Kulturarbeit im Salzkammergut" in Bad Ischl gehalten.

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